Sep 292007
 

Lese einen aufschlussreichen Bericht vom deutschen Orientalistentag in der Süddeutschen Zeitung vom 29.09.2007. Verfasser ist Stefan Weidner, dessen Übersetzungen des Lyrikers Adonis mir sehr beim Eintreten in die orientalische Welt geholfen haben. Die islamistische Bedrohung habe das ganze Fach mittlerweile wachgerüttelt, freilich auf Kosten der Künste und der Literatur. Weidner referiert den Festvortrag von Patricia Crone: „Der Islam, darf man Crone deuten, ist in einem Teufelskreis gefangen: Ohne Säkularisierung kein Bruch mit dem tradierten Religionsverständnis; ohne Bruch mit dem traditionellen Verständnis keine Vereinbarkeit des Islams mit der säkularen Gesellschaft. Hoffnungsträger sind deshalb die Muslime, die im säkularisierten Westen leben; sie allein können ungefährdet aus diesem Kreis herausspringen.“ Darüber hinaus berichtet Weidner von einem Theologen, der die kühne These aufstellt, der frühe Islam sei eine christliche Sekte gewesen. „Mohammed (der Gepriesene) sei kein Eigenname, sondern bezeichne Jesus Christus.[…] Koranische Aussagen über die Einheit Gottes im Vergleich mit dem Deuteronomium und dem Nicaenischen Glaubensbekenntnis entpuppten sich als bewusster Gegenentwurf zu den christlich jüdischen Vorbildern.“ Ein sehr lesenswerter Artikel!

Diese drei aus Vorderasien stammenden Religionen, also zuerst das Judentum, daraus das Christentum und zuletzt der Islam, der beide zu überbieten versucht, gehören weiterhin zu den maßgeblichen Leitkulturen für riesige Gebiete der Erde, darunter unser Europa, der Nahe und Mittlere Osten, Nord- und Südamerika, Australien, Teile Südostasiens.

Spricht man mit Muslimen oder steckt man die Nase in den Koran, dann treten die Ähnlichkeiten und Abhängigkeiten zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Aussagen sehr deutlich hervor.

Ich werde weiterhin das Gespräch mit Muslimen in Kreuzberg pflegen. Wir sind hier im Vergleich zu den Orientalisten unvergleichlich privilegiert, weil wir tagtäglich zum Nulltarif das Eigene im Anderen entdecken können – und das alles obendrein in Sichtweite des Jüdischen Museums, in das in sechs Jahren 4 Millionen Besucher aus aller Welt geströmt sind. Kreuzberg ist ein großartiger Platz – ich bin dankbar, dass ich hier lebe!

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  2 Responses to “Orientalisten – von Bin Laden wachgeküsst”

  1. „Zu wissen, wie der Islam sich von innen verändert, ist eine Frage allerhöchsten Ranges für das Abendland.“ Mit diesem, vielleicht seinem wichtigsten Satz beendet Rainer Hermann in der FAZ von heute (02.10.2007) seinen sehr lesenswerten Bericht von diesem dreißigsten Orientalistentag. – Auch er bezieht sich auf den Vortrag von Patricia Crone, die insbesondere Koran 2, 256 (257) „Non vi sia alcuna costrizione per la religione – Es gibt/es gebe keinen Zwang in Glaubenssachen“ ausführlich erläutert hat. – (Da ich selbst leider kein Arabisch kann, greife ich auf die mir vorliegenden deutschen und italienischen Übersetzungen des Korans zurück.) – Die vielfältigen Ausdeutungen dieser Sure gehen allesamt auf die Frühzeit des Islams zurück, hierin stimmt ihr auch Rainer Hermann zu. Fazit des Berichts: Die Orientwissenschaften sehen sich in einer Zwickmühle – sie haben derzeit noch Möglichkeiten, die kulturellen Wurzeln der aktuellen politischen Konflikte (die im Irak etwa hunderttausende Tote gefordert haben) zu erkunden. Andererseits droht den Grundlagenstudien, darunter den verschiedenen Philologien, die Austrocknung. – Den Zeitungsartikel werde ich ausschneiden und archivieren.

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