Nov 082007
 

Am 12.11. läuft unwiderruflich meine Leihfrist ab für das Buch von Friedbert Pflüger „Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung“. Zeit und Grund genug für eine Kurzbesprechung!

Erschienen ist das Buch 2004. Ist es veraltet? Keineswegs, die tiefschürfende Diagnose Pflügers trifft leider im wesentlichen auch im Jahr 2007 unverändert zu. Der Autor hat sich ausführlich mit den Entstehungsbedingungen des modernen Islamismus befasst. Er wirft einen kenntnisreichen Blick in die Gesellschaften von Marokko bis Indonesien, die, so unterschiedlich sie auch sind, eben doch von verschiedenen Varianten des Islam geprägt erscheinen. Er entwirft ein differenziertes Bild der islamistischen Bestrebungen, ist weit davon entfernt, den politischen Islam nur als Gefahr und Buhmann darzustellen. Vielmehr unternimmt er geistige und reale Erkundungsfahrten in die islamisch bestimmten Länder, bringt sie zum Sprechen, wie dies meines Wissens nur ganz wenige Autoren (und kein anderer aktiver Politiker) in Deutschland geleistet haben.

Besonders gefallen hat mir: Pflüger hält unseren westlichen Gesellschaften ebenfalls den Spiegel vor. Er fragt: Was haben wir eigentlich noch anzubieten? Weshalb leben wir unsere Modelle nicht überzeugend genug? Was sollten wir uns selbst abverlangen? Hier erhebt er Vorwürfe gegen unsere vom Kommerz und Entertainment geprägte Medienindustrie, wie sie ja in diesen Tagen auch in dem neuen Film „Free Rainer“ mit Moritz Bleibtreu ins Bild gebracht werden. Der Verfasser fragt: Was können wir von denen fordern, die bei uns zuwandern? Wo sind Gemeinsamkeiten, welches sind die Spielregeln, nach denen wir zusammenarbeiten können?

Ein kluges, im besten Sinne gelehrsames, stellenweise brillant geschriebenes Buch, das insofern aus der Fülle der wissenschaftlichen Publikationen zu dem Thema heraussticht, als es konkretes politisches Handeln einfordert und die Beziehung zwischen „uns“ und den „anderen“ trotz aller Gefährdungen als gestaltbar beschreibt. In der Demokratie sind wir Schmiede unseres Glücks, es gibt keine kruden Naturgesetze im menschlichen Zusammenleben.

Pflüger wünscht sich einen europäischen, aufgeklärten Islam, so wie es ja auch ein modernes, aufgeklärtes Christentum gibt. Die Diskussion über einen Islam, der republikanisches Bewusstsein, Demokratie und Menschenrechte affirmativ in politisches Handeln einbaut, wird übrigens meines Wissens derzeit vorwiegend in französischer Sprache geführt. Diese Diskussion rauscht im Moment in Deutschland noch an uns vorbei (wichtiger Ideengeber: Tariq Ramadan).

Gegenüber dem aufgeklärten, moderaten Islamismus, wie er in diesen Tagen etwa in der türkischen AKP eines Abdullah Gül auftritt, scheint mir Pflüger eher noch zum Abwarten zu raten, im Sinne unseres Sprichwortes: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!“ Das Buch schließt mit einem kraftvollen Schlussakzent auf den Gemeinsamkeiten zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Ich bin nicht sauer, dass ein anderer Leser dieses Buch in der Staatsbibliothek vorbestellt hat. Denn ich wünsche ihm viele Leser!

 Posted by at 22:12

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