Dez 162007
 

Necla Kelek, die türkisch-deutsche Soziologin, zieht in ihrem Beitrag für die FAZ vom 15.12.2007 „Freiheit die meine“ eine nüchterne Bilanz dessen, was geleistet wurde, woran die Beteiligten sich abmühen, und welche Erwartungen unrealistisch sind. Zitate:

Es handelt sich bei der Auseinandersetzung mit dem muslimischen Wertekonsens nicht um Probleme, die man nur „erklären muss, um sie zu verstehen“. Lange haben die Integrationsbeauftragten und Islamkundler so gearbeitet, haben sie für Verständnis geworben, um den Muslimen ein „Ankommen“ in dieser Gesellschaft zu erleichtern. Wenn wir aber genau hinsehen, werden wir erkennen, dass wir es mit einem Wertekonflikt zu tun haben. Er berührt die Grundlagen unseres Zusammenlebens und wird Europa verändern, wenn wir uns nicht zu einer eigenen europäischen Identität bekennen.

Dieser Konflikt ist seit einiger Zeit Thema auf der deutschen Islamkonferenz, an der ich teilnehme. Seit fast einem Jahr diskutieren wir mit den Islamverbänden über eine gemeinsame Erklärung zum Wertekonsens. Der strittige Text lautet: „Grundlage ist neben unseren Wertvorstellungen und unserem kulturellen Selbstverständnis unsere freiheitliche und demokratische Ordnung, wie sie sich aus der deutschen und europäischen Geschichte entwickelt hat und im Grundgesetz ihre verfassungsrechtliche Ausprägung findet.“ Die Islamverbände des Koordinierungsrates der Muslime weigern sich bis heute, dieser Formulierung zuzustimmen.

Wohltuend finde ich die klare, schnörkellose Sprache der Autorin, ihre entschiedene Parteinahme für „unsere Gesellschaft“ und ihre Art, wie sie aus dem eigenen Erleben erzählt – etwa, welchen Riesenschritt es für sie bedeutete, im Alter von 18 Jahren erstmals eine Bratwurst zu bestellen. Zitat:

Wir sprechen von unterschiedlichen Dingen, auch wenn wir dieselben Begriffe verwenden. Freiheit, Anstand, Würde, Ehre, Schande, Respekt, Dialog – mit alldem verbinden westlich-europäische Gesellschaften bestimmte Vorstellungen, die von der islamisch-türkisch-arabischen Kultur ganz anders definiert werden. Es müsste so etwas wie ein Wörterbuch Islam-Deutsch, Deutsch-Islam erstellt werden, das diese Differenzen benennt.

Der Mut zur Bratwurst

Ich selbst musste mir meine Freiheit nehmen, sonst hätte ich sie nicht bekommen. Ich war achtzehn Jahre alt, also volljährig und im letzten Ausbildungsjahr zur technischen Zeichnerin, als ich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit allen Mut zusammennahm, um – was ich lange beschlossen hatte – eine Bratwurst zu essen.

Bratwürste aßen nur die gavur, die Ungläubigen, denn sie bestehen meist aus Schweinefleisch – und Schweinefleisch ist haram, verboten. Ich bestellte also die Wurst und erwartete, dass mit dem ersten Biss sich entweder die Erde auftat und mich verschlang oder ich vom Blitz erschlagen wurde. Die Wurst war nicht besonders lecker, aber das Entscheidende war, dass – nichts geschah.

Ich beschliesse, Keleks Buch „Die verlorenen Söhne“ zu lesen.

 Posted by at 13:06

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