Mrz 012008
 

Aus dem Institut für Soziologie einer namhaften deutschen Universität erreicht uns die Einladung, an einer wissenschaftlichen Umfrage zum Thema bikulturelle Partnerwahl teilzunehmen. Wir sind geehrt – und überrascht. Woher haben die unsere Adresse, woher wissen die, dass wir ein russisch-deutsches Ehepaar sind? Antwort: Aus dem Melderegister. Das Melderegister, so erfahren wir, steht wissenschaftlichen Anfragen offen. Und noch stärker geehrt fühlen wir uns, als wir lesen: „Wir würden uns sehr über Ihre Antwort freuen, weil ohne Ihre Mitwirkung keine seriöse Forschung möglich ist.“ Was für eine Verantwortung, was für eine Last! Können wir sie ernsthaft schultern? Wenn wir also nicht teilnehmen, sackt die ganze Studie in sich zusammen, verbläst ins Unseriöse wie ein Kinderluftballon. Na, denn mal los! Den Datenschutzhinweis haben wir gelesen.

Wir studieren die Fragen. Sie sind sowohl in deutsch wie in russisch verfasst, für Mann und Frau getrennt. Ira ist bass erstaunt, denn die Ehefrau soll vieles preisgeben, z.B.: „Hatten Sie vor Ihrer jetzigen Ehe Partnerschaften mit Männern, die mindestens 6 Monate gedauert haben? Wenn Sie einmal an Ihre früheren Beziehungen zurückdenken, würden Sie sagen, dass Sie eher gute oder eher schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben? Ihr Körpergewicht zu Beginn der Partnerschaft? Für mich ist ein Mann anziehend, wenn er Lust auf Sex hat. Für wie wichtig halten Sie diese Aussage?“ Und so weiter, und so weiter …

Ira ist empört: Was bilden die sich ein! Sie greift sofort zum Telephonhörer, ruft die Kontaktadresse an der Universität an und sagt: „Verzeihen Sie, Sie stellen Fragen, die ich nicht einmal meiner Mutter beantworten würde. Ich werde nicht teilnehmen.“ Die sehr freundliche Dame am Telephon weist noch einmal auf die sofortige Anonymisierung der Daten, die absolute Seriosität der Erhebung hin – nichts zu machen! Ira bleibt ungerührt, und ich bin stolz auf sie. Ich werde selbst auch nicht teilnehmen, ergreife den Hörer und erkläre ausführlicher: „Selbst wenn wir uns auf Ihren Datenschutz zu 100% verließen – was wir gerne tun würden – hätten Sie bedenken müssen, dass derartige intime Details in einer rein postalisch hergestellten Verbindung nur schwer preisgegeben werden. Außerdem finden wir es bedenklich, dass nach Ihrer Aussage die Forschung unseriös wird, wenn wir beide nicht teilnehmen. Allein schon durch diese Aussage erscheint uns das Projekt nicht seriös.“ Die Dame bedankt sich betroffen und höflich, und wir beenden das Gespäch im besten Einvernehmen.

Am Abend lese ich Ira einen Abschnitt aus einer Biographie vor, die Gerd Langguth über eine in der DDR aufgewachsene deutsche Frau verfasst hat. Ich zitiere: Diese Frau …

… hatte von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen, gegenüber Lehrern, manchen Klassenkameraden oder Repräsentanten des Staates nie zu offenbaren, was sie wirklich denkt. Dieses Element der Gefahrenvermeidung lernt in einer Diktatur jeder, der die Abhängigkeit seines Fortkommens von Partei, Geheimdienst und Staat erkennt.

Voller Genugtuung und etwas ironisch frage ich Ira: „Und? Was hältst Du davon? Das ist doch gut beobachtet, das gilt doch für euch ‚Ostfrauen‘ ganz allgemein, oder?“ Ira zuckt mit den Achseln. Sie meint: Natürlich ist es so. Das sei doch so selbstverständlich, dass man es nicht eigens aufzuschreiben brauche. Der Exhibitionismus des westdeutschen Reality-TV-Dschungelcamps sei ihre Sache nie gewesen.

P.S.: Ich habe die Genehmigung Iras, dieses Erlebnis in diesem Blog zu berichten.

Übrigens: Die genannte Frau, eine bekannte Politikerin, scheint irgendwie über ihren Schatten gesprungen zu sein und offenbart im SZ-Magazin dieses Wochenendes, wie sie die 68-er Jahre erlebt hat. Garniert mit privaten Fotos aus ihrer Jugend. Sehr erhellend, eine gute Zugabe zu der Biografie des Politikwissenschaftlers Langguth!

Bibliographischer Hinweis: Das Zitat entstammt dem lesenswerten, höchst kentnisreichen Buch von Gerd Langguth: Angela Merkel. Aufstieg zur Macht. Biografie. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Dezember 2007, S. 401

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