Apr 102008
 

Wird das ein Mensch? Am kommenden Freitag, dem 11. April, wird der deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung die vier unterschiedlichen Gesetzentwürfe zur Änderung des Stammzellgesetzes vom 28. Juni 2002 beraten. Wir kommentierten in diesem Blog bereits die erste Lesung am 15.02.2008. Ich versuche anhand der verfügbaren Quellen Tag um Tag den Stand der Diskussion aufzuarbeiten, studiere die vier unterschiedlichen Gesetzentwürfe, die dem Bundestag vorliegen. Ergebnis: Seit jener bekannten Rede der Justizministerin Zypries im Jahre 2003, als sie sich so vehement für den Biotech-Standort Deutschland einsetzte, sind keine wesentlich neuen Argumente aufgetaucht.

„Der Embryo in der Petrischale hat lediglich die Perspektive, das auszubilden, was ich eben als die wesentlichen Bestandteile der Menschenwürde beschrieben habe. Die Frage ist nun: Genügt dieses Potenzial für die Zuerkennung von Menschenwürde im Sinne des Artikels 1 Grundgesetz?“

Die Antwort der Ministerin steht zwischen den Zeilen: Nein, dies sind ihrer Meinung nach keine menschlichen Wesen, es sind allenfalls Noch-nicht-Menschen. Das Argument ist nicht neu. Neu ist vielmehr, dass der mühsam ausgehandelte Kompromiss des geltenden Stammzellgesetzes aus dem Jahr 2002 nicht mehr den Ansprüchen einer ehrgeizigen Forschergeneration genügt. Das humangenetische Material ist einfach nicht mehr gut genug, neues Material muss an die Front geworfen werden. Die Stichtagsregelung, die damals mit treuherzigen Versprechungen als vertretbare Markscheide, als nur einen Spalt breite Tür gepriesen wurde, ist nach wenigen Jahren schon nicht mehr das Papier im Bundesgesetzblatt wert, auf dem sie damals verkündet wurde.

„Die bioethische Diskussion hat, wie es scheint, ihren Höhepunkt überschritten. Die Argumente sind ausgetauscht, jetzt werden Fakten geschaffen. Der Bundestag wird vermutlich bald eine Verschiebung der Stichtagsregelung für den Import von embryonalen Stammzelllinien beschließen“, kommentierte Michael Pawlik zutreffend am 07.04.2008 in der FAZ.

Passend zur erneuten Lesung in zwei Tagen, und passend auch zu dem Umstand, dass sich 180 Bundestagsabgeordnete in dieser Woche als noch nicht entschieden erklärt haben, wird auch das mediale Begleitfeuer für die anstehende erneute „Türöffnung“ wieder hochgefahren: Am 08.04.2008 wird unter dem Übertitel „Stammzellforschung“ in der Süddeutschen Zeitung verkündet, dass Wissenschaftler ermutigende Experimente mit Parkinson-Patienten abgeschlossen hätten, denen sie ein Gemisch von Nervenzellen injiziert hätten. Obwohl dieser Weg, bei denen Nervenzellen aus abgetriebenen Föten verwertet worden seien, nicht dauerhaft zum Erfolg führen werde, setzten sie nunmehr große Hoffnung auf die Stammzellforschung. Die Nervenzellen, die bei einigen Patienten zu einer Besserung, bei anderen zu einer verheerenden Ausbreitung der Krankheit in andere Organe führten, stammten von abgetriebenen menschlichen Föten – und folglich setzten die Forscher jetzt ihre Hoffung auf embryonale Stammzellen. Ist das logisch?

Nein, man fasst sich an den Kopf: Es ist dieselbe verquere Denkbewegung wie bei der Verschiebung der Stichtagsregelung: Weil das vorhandene Material – also die von abgetriebenen menschlichen Föten stammenden Nervenzellen – sich als nicht gut genug erweist, muss frischeres Humanmaterial herangeschafft werden, diesmal eben nicht von den zu alten Föten, sondern von wesentlich jüngeren Embryos, deren totipotente Stammzellen gemäß den gänzlich unbewiesenen Verheißungen der Biotechnik die Leistungsfähigkeit der Föten um ein Vielfaches übersteigen. Das beste Material muss dem Forschungsstandort Deutschland zur Verfügung gestellt werden, selbstverständlich nur aus vor dem neuen Stichtag bestehenden, aus dem Ausland importierten Stammzelllinien.

Denn: Dem Forschungsstandort Deutschland geht es nicht gut genug. Ministerin Schavan führte am 02.03.2008 ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung beredte Klage über den Wissenschaftsstandort Deutschland. Es fehle an Kooperation zwischen Forschung und Wirtschaft, an Anreizen für Spitzenforschung, an langfristigen, sicheren Investitionen des Staates. Und zum Schluss des Interviews rechtfertigt sie, nachdem also der Grund vorbereitet worden ist, ihre Forderung nach einer Verschiebung des Stichtages:

„Die Forschung ist dabei, Wege zu finden, wie sie künftig ohne den Verbrauch von Embryonen zu fähigen Stammzelllinien für die Forschung kommt. Wir sind dabei aber auf das Wissen aus der jetzigen embryonalen Stammzellforschung angewiesen. Deshalb soll der Import in eingeschränktem Maß möglich bleiben und auch frischere Stammzelllinien einbeziehen. Das ist ein Dilemma, aber die deutsche Gesetzgebung setzt klare Grenzen wie kaum ein Land in der Welt. Es geht jetzt nur um eine Verlegung des Stichtages.“

Auch hier liegt eine merkwürdige Logik zugrunde: Der hochheilig gesetzte erste Stichtag soll jetzt nicht mehr gelten, weil wir eine millionenteure Forschung brauchen, die daran arbeitet, wie sie ihr eignes Forschungsmaterial überflüssig macht? Nein, wir können sicher sein: Es wird sich schon eine Begründung finden lassen, auch diesen Stichtag noch einmal zu verschieben, und dann noch einmal …

Um zum Abschluss zu kommen: Ich setze meine Hoffnung auf den Gesetzentwurf 16/7983 vom 18. Januar 2008, vorgelegt von den Abgeordneten Hüppe, Dött, Eichhorn und anderen. Leider finde ich unter ihrem Gesetzentwurf nur recht wenige Namen. Ich wünsche mir, dass es bis Freitag noch ein paar mehr werden. Diese kleine, unerschrockene Gruppe von Abgeordneten lässt sich nicht ins Bockshorn jagen. Sie lehnen die würdewidrige Zerstörung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke vollständig ab. Zusätzlich haben sie übrigens noch ein weiteres Argument auf ihrer Seite:

„Einerseits konnten in den zehn Jahren seit Beginn der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen weder irgendwelche Therapien unheilbarer Krankheiten gefunden noch angesichts des unbeherrschbaren Tumorrisikos embryonaler Stammzellen überhaupt klinische Studien am Menschen mit ihnen durchgeführt werden. Andererseits konnten auf ethisch unbedenkliche Art erreichbare menschliche pluripotente Stammzellen etwa im Nabelschnurblut oder im Fruchtwasser gefunden sowie durch genetische Reprogrammierung menschlicher Hautzellen erzeugt werden. Daher sind menschliche embryonale Stammzellen heute nicht mehr alternativlos.“

Das Argument scheint nach allen mir erreichbaren Informationen richtig zu sein. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, selbst wenn die maßlosen Versprechungen einiger ehrgeiziger Wissenschaftler und Forschungspolitiker gerechtfertigt wären, würde ich doch sagen: Die ungefähre Aussicht, irgendwann menschliches Leiden zu lindern, rechtfertigt keinesfalls den zerstörenden Zugriff auf menschliches Leben, das alle Anlagen zum vollen Personsein in sich trägt, und das deshalb ebenso schutzwürdig ist wie ein entwickelter Fötus im 8. Monat der Schwangerschaft oder ein neugeborenes Kind am Tage der Geburt.

Wenn ich Bundestagsabgeordneter wäre, wenn ich das Rederecht hätte, würde ich am Freitag laut und vernehmlich in den Saal hineinrufen:

„Meine Damen und Herren Abgeordneten, es liegt nicht in unserer Hand, nicht in der Hand des Staates, nicht in der Hand des Gesetzgebers zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt wir menschlichem Leben Menschenwürde zu- oder absprechen dürfen. Genau deshalb steht der Schutz der Menschenwürde als alle anderen Einzelrechte übersteigendes Gebot im Artikel 1 des Grundgesetzes. Die Tür, die mit dem Stammzellgesetz von 2002 einen Spalt breit geöffnet wurde, sollten wir hier und heute wieder fest verschließen, sonst wird sie Zug um Zug weiter geöffnet werden. Tun wir das nicht, dann werden die Grenzen des noch nicht schützenswerten menschlichen Lebens Zug um Zug verrückt werden. Und schauen wir doch noch etwas weiter in die Zukunft – oder muss ich sagen: in die Vergangenheit? Wer sagt uns denn, dass nicht irgendwann auch – wieder einmal – die Grenzen des nicht mehr schützenswerten menschlichen Lebens ins Wanken geraten?

Stimmen Sie mit mir für den Gesetzentwurf 16/7983 vom 18. Januar 2008, vorgelegt von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn und anderen.“

 Posted by at 00:22

  4 Responses to “Wird das ein Mensch? Bundestag berät am Freitag über Neufassung des Embryonenschutzes”

  1. Holger, der Forderung nach einem Forschungsstopp kann ich mich nicht anschließen. Ich und die Meinen genießen in vollen Zügen ein Leben weitgehend frei von Krankheit, dank der Erkenntnisse der medizinischen Forschung … wenn die öffentlichen Sozialsysteme überfordert sind, sind andere Formen der Solidartät gefragt, z.B. innerhalb der Familien.

  2. Korrektur:
    Welchen Sinn hat es dann, wenn öffentliche Mittel dazu verwandt werden …

  3. Wer sagt uns denn, dass nicht irgendwann auch – wieder einmal – die Grenzen des nicht mehr schützenswerten menschlichen Lebens ins Wanken geraten?
    Sehr richtig! Wehret den Anfängen!
    Was bei der gesamten Diskussion unberücksichtigt bleibt, ist die Frage ob medizinischer Fortschritt sozial überhaupt noch wünschenswert ist. Ist es nicht schon längst so, dass die Allgemeinheit medizinische Forschungen finanziert, deren Früchte nur „die Reichen“ ernten, weil die Krankenkassen der Normalsterblichen schon längst nicht mehr daran interessiert sind das durchschnittliche Lebensalter noch weiter anzuheben? Ich spreche mich schon seit Jahren für einen kompletten Stopp der medizinischen Forschung aus, weil wir uns mit jeder Krankheit, die wir erfolgreich behandeln können, teuerere Erkrankungen einhandeln, die die Menschen in Folges eines noch höheren Alters bekommen. Man denke z.B. an die sich unter Alten epidemisch ausbreitende Alzheimer Erkrankung. Schon die heutige durchschnittliche Lebenserwartung von etwa 80 Jahren ist für die Sozialsysteme kaum noch tragbar. Welchen Sinn hat es dann, wenn öffentliche dazu verwandt werden, diese Situation noch zu verschärfen?

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