Apr 112008
 

Der Bundestag hat soeben beschlossen, den Stichtag, vor dem die zur Nutzung freigegebenen menschlichen Stammzellen erzeugt worden sein müssen, einmalig auf den 01.05.2007 vorzuverlegen. Als eine der wichtigen Fürsprecherinnen für den später dann angenommenen Gesetzentwurf erwies sich erneut unsere Justizministerin. Die Süddeutsche Zeitung berichtet:

Der neue Stichtag ist nach Ansicht von Justizministerin Brigitte Zypries mit der Verfassung vereinbar. Der Staat habe zwar die Pflicht, menschliches Leben zu schützen. Genauso müsse er aber darauf achten, dass die Freiheit der Forschung nicht eingeschränkt werde, sagte Zypries.

Wie so oft, genügt es, genau zu lesen: Wenn Zypries das wirklich so gesagt haben sollte, dann hieße dies: Wir stecken in einem ethischen Dilemma, in dem es zwei Rechtsgüter abzuwägen gilt. Auch Ministerin Schavan sprach ja mehrfach von einem „Dilemma“, also einer Lage, in der es zwischen zwei Rechtsgütern abzuwägen gelte. Die Pflicht des Staates, menschliches Leben zu schützen, wäre gleichrangig mit der Pflicht, die Forschung vor Einschränkungen ihrer Freiheit zu schützen. Dann stünde freilich die Justizministerin im Widerspruch zur herrschenden Rechtsauffassung über den Rang der im Grundgesetz verankerten Rechtsgüter. Denn der Schutz der Menschenwürde, also der Schutz menschlichen Lebens genießt höheren Rang, ja sogar den höchsten, „unantastbaren“ Rang. Die grundgesetzlich ebenfalls gesicherte Freiheit der Forschung ist ihm eindeutig unterzuordnen.

Spiegel online berichtet:

In namentlicher Abstimmung votierten 346 Abgeordnete für eine einmalige Verschiebung des Stichtags für zur Forschung freigegebenen Stammzellen auf den 1. Mai 2007. Dagegen stimmten 228 Parlamentarier, 6 enthielten sich.

Zuvor hatte der Bundestag bereits über weitere Anträge zur Stammzellforschung abgestimmt. Dabei lehnten die Abgeordneten sowohl ein Totalverbot der Forschung an embryonalen Stammzellen als auch die völlige Freigabe solcher Forschungsarbeiten ab. Die Abstimmungen erfolgten namentlich und ohne Fraktionszwang.

Einen guten Kommentar zu dieser Entscheidung lieferte vor der Abstimmung bereits die Abgeordnete Maria Böhmer:

„Wenn der Bedarf einmal der Grund für die Verschiebung ist, kann er es auch ein zweites und drittes Mal sein und dann sind wir auf einer schiefen Ebene.“

Ich stimme dieser Einschätzung zu. Eine völlige Freigabe menschlicher Stammzellen gleich welcher Herkunft für Forschungs- und Heilungszwecke wäre zumindest ehrlicher gewesen. Die Mehrheit des deutschen Bundestages hat sich heute für ein bequemes Sowohl-als-auch entschieden: „Ja, wir geben es zu, wir finden es bedenklich, wenn embryonale menschliche Stammzellen, die aus der Tötung eines menschlichen Embryos gewonnen wurden, bei uns für Forschungszwecke verwendet werden. Deshalb müssen diese Stammzellen auch im Ausland gewonnen worden sein. Bitte nicht bei uns so etwas machen, wir haben unser 2000 verabschiedetes Embryonenschutzgesetz!“

Es bleibt abzuwarten, ob und wann das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 2000 ebenfalls zugunsten der Forschungs- und Verwertungsfreiheit sturmreif geschossen wird. Wir sind noch nicht im freien Fall. Das heute veränderte Stammzellengesetz wird keine lange Lebensdauer haben. Ich gebe ihm 5 bis 7 Jahre.

 Posted by at 13:21

  3 Responses to “Stichtagsverschiebung ist durch – Bundestag schreitet entschlossen ein bisschen auf die schiefe Ebene”

  1. Die Bundestagsabgeordneten haben sich die endgültige Entscheidung nicht einfach gemacht. Das verdient auch meinen vollen Respekt. Ich kann – glaube ich – die Argumente aller Seiten verstehen und nachvollziehen. In der Berichterstattung und dem kommunikativen Auftreten der Meinungsführer trat zuletzt dieser sehr achtbare Wunsch, das Leiden kranker Menschen zu lindern, etwas hinter dem Bestreben zurück, Deutschland durch kluges politisches Handeln in der Nationenkonkurrenz stärker nach vorne zu bringen, etwa in Sätzen wie: „Deutschland muss wieder die Apotheke der Welt werden!“, oder auch: „Wir müssen ein Signal aussenden, dass die Wissenschaft bei uns willkommen ist!“ Das sind alles wirklich sehr erstrebenswerte Ziele, für sich genommen.

    Ihrem Wunsch nach Hilfe für Schwerkranke zolle ich in der Tat meine ganze Achtung.

    P.S.: Ich würde selbst jedem Kranken dankbar jedes hinreichend erprobte Medikament gegen Alzheimer oder Parkinson einflößen, egal unter welcher Landesfahne die Apotheke oder das Forschungslabor auftritt. Es kann schließlich jeden irgendwann treffen.

  2. Ich widerspreche einem entschieden: Dass die Entscheidung „bequem“ war, dass sie oberflächlich getroffen wurde, nur mit dem Argument der Forschungsfreiheit oder dem Hintergedanken „das beste Material“ dem „Forschungsstandort Deutschland“ zur Verfügung zu stellen.
    Es geht nicht um gutes oder besseres Material, es geht um Zelllinien, die uns bei der Entwicklung von Therapien gegen schwere, auf anderem Wege bislang nicht heilbarer Krankheiten weiterführen oder nicht. Auch wenn die embryonalen Stammzellen vmtl. nie selbst zum Einsatz kommen – hier hat die Gruppe um Herrn Hüppe ja recht: die bessere Erfolgsaussicht haben allen Erfahrungen zufolge die adulten Stammzellen – sie sind nun mal unentbehrlich bei der Erforschung der biologischen Prozesse, derer man sich zur Therapie bedienen muss. Sorry, auch an die Adresse von Frau Böhmer und ihren Ausführungen auf dem Bundesparteitag der CDU: Es gibt bislang KEINE Alternative zur Verwendung embryonaler Stammzelllinien für diese Forschungsarbeiten.
    Zelllinien, die einmal gewonnen (in Zukunft wahrscheinlich sogar bei einem Weiterleben des Embryos) über Jahre und Jahrzehnte weltweit zum Einsatz kommen können.

    Ich habe stets großen Respekt vor „Gesinnungsethikern“, und spreche niemandem hehre Motive ab, der gegen diesen Teil der medizinischen Forschung ist – erwarte diesen Respekt aber auch von der Gegenseite: Mit meinem Gewissen könnte ich es nicht vereinbaren, schwerkranke Menschen mit dem Hinweis auf derartige Bedenken zu vertrösten und es nicht einmal zu versuchen, eine Therapie zu entwickeln. Ich habe auf dem Bundesparteitag für meine Position geworben und werde dies auch weiter tun, dass dies nun auch die Position der Mehrheit des Deutschen Bundestages wurde, freut mich natürlich sehr.

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