Apr 202008
 

Es gibt Künstler, die sich durch längeres Liegenlassen, durch längere Zeiten der Nichtbeachtung verändern. Die innere Architektur ihrer Werke verschiebt sich. Was vormals ansprang, skandalisierte, ätzte, tritt zurück. Das Stille, Verhaltene und Unaufregende tritt vor. So geht es mir mit Pasolini. Erstaunt stelle ich fest, dass die öffentliche Person Pasolini sich nahezu unkenntlich vor sein Werk geschoben hat. Dazu hat er selbst auch beigetragen. Durch sein Auftreten, durch seine Verurteilungen, durch die zahlreichen Tabubrüche, die er begangen hat. Insbesondere aber haben seine zahlreichen politischen Essays und Glossen, die man heute bequem in den Scritti corsari nachlesen kann, einen nahezu undurchdringlichen Begriffsnebel um sein künstlerisches Schaffen gelegt. Man kann diese Essays und Reden lesen als einen Versuch der Selbsterläuterung: politische Einsichten, ja selbst politisch greifbare oder angreifbare Aussagen enthalten sie nicht. Man lese doch nur etwa – um nur eines von Dutzenden von Beispielen zu nehmen -, was er 1974 zum Thema Genozid in seiner Rede „Il genocidio“, erklärt, die nachträglich am 27.09.1974 in der Rinascita erschien:

Quando vedo intorno a me i giovani che stanno perdendo gi antichi valori popolari e assorbono i nuovi modelli dal capitalismo, rischiando così una forma di disumanità, una forma di atroce afasia, una brutale assenza di capacità critiche, una faziosa passività, ricordo che queste erano appunto le forme tipiche delle SS: e vedo così stendersi sulle nostre città l’ombra orrenda della croce uncinata. Una visione apocalittica, certamente, la mia. Ma se accanto ad essa e all’angoscia che produce, non vi fosse in me anche un elemento di ottimismo, il pensiero cioè che esiste la possibilità di lottare contro tutto questo, semplicemente non sarei qui, tra voi, a parlare.

(Pier Paolo Pasolini, Scritti corsari, Garzanti Elefanti, Milano 2004, S. 231)

Beständig vergleicht Pasolini in diesen wie in anderen Passagen den Genozid, den systematischen Massenmord unter den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, mit der schleichenden Erosison der „antichi valori popolari, der uralten Werte des Volkes“ und was dergleichen töricht-kunstgewerbliche Reden mehr sind. Schwer erträglich angesichts der Millionen und Abermillionen Getöteten, wie er der Kulturindustrie, dem Fernsehen, der bürgerlichen Presse dieselbe Brutalität unterstellt! Vor allem deshalb, weil das italienische Volk ja gar nicht bemerkte, wie es den von Pasolini apokalyptisch erschauten kulturellen Genozid erlebte. Auch in Deutschland wetterten kritische Geister damals gegen die abstumpfende Macht der Medien und verstiegen sich zu allerlei begrifflichen Zieraten wie etwa der „strukturellen Gewalt des Systems“, die in einer bruchlosen Kontinuität mit dem Nationalsozialismus stehe. Vieles ist grotesk, unfassbar, skandalös, wenn man es heute noch einmal liest! Eine Wolke an Selbsttäuschungen, in die sich ein Teil der westeuropäischen Intellektuellen einspann.

Ich meine: Man lasse den politisch-öffentlichen Pasolini ruhen, seine endlos wiederholten Selbstzeugnisse legen falsche Spuren, und ihn als den großen Dichter, Deuter und Künder zu verklären, wie das Moravia in seiner Grabrede tat, hilft beim Verständnis seiner Werke nicht weiter.

Entdeckungen gibt es aber in seinen anderen Schriften zu machen, den frühen Gedichten, den erzählerischen Werken wie etwa den Ragazzi di vita, den Filmen. Heute las ich zweimal Il pianto della scavatrice – Die Klage des Baggers aus dem frühen Gedichtband Le ceneri di Gramsci. Pasolini ist kein abstrakter Denker, aber ein sehr guter Worte-Musiker. Hier beschreibt er einen Spaziergang durch die römische Vorstadt, entwirft jagende, dicht gedrängte Bilderketten, furiose Staubwolken des Begehrens, mit halluzinatorischer Präzision in einem Dämmerzustand zwischen Tag und Nacht ausgefeilt. Großartig! Alles wird zuletzt eingeblendet in das Bild des kreischenden Baggers, der sich unerbittlich in die Erde hineinfrisst:

Nella vampa abbandonata /del sole mattutino – che riarde, /ormai, radendo i cantieri, sugli infissi

riscaldati – disperate /vibrazioni raschiano il silenzio /che perdutamente sa di vecchio latte,

di piazzette vuote, d’innocenza.

(Pier Paolo Pasolini: Poesie. Garzanti Elefanti, Milano 2001, S. 40-41)

Hier ist alles ineinandergedrängt und verrührt: Genaue Beobachtungen, drängendes, stoßhaftes Verlangen, allegorische Begrifflichkeiten. Gut, überzeugend, mitreißend finde ich solches plastische Schaffen bei diesem Dichter. Hier gibt es noch viel freizulegen. Das Bild, das die Öffentlichkeit von Pasolini pflegt und hegt, bedarf der behutsamen Abtragung von Vorurteilen und Verklärungswolken. Nicht der Bagger ist hierzu vonnöten, sondern der feine Pinsel, das Staubtuch, das die Asche seiner Gebeine freilegt.

Unser heute geschossenes Bild zeigt ein aufgegebenes Abwasserprojekt in einem Kreuzberger Innenhof (Bernburger Str./Köthener Straße): Geplant war, das gesamte Abwasser einer Siedlung durch schilfbepflanzte Teiche klären zu lassen und dann als Brauchwasser wiederzuverwerten. Offenbar wurde dieser Plan aufgegeben. Das grünlich veralgte Abwasser steht brackig und trüb im menschenleeren Innenhof, umgeben von Hunderten von Parabolantennen. Das Volk sieht fern. Das Abwasser stockt und fault reglos in den Becken aus Beton.

 Posted by at 22:45

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