Jul 222008
 

Sattelt die Fahrräder! Unter diesem Motto diskutierten bestens bekannte Studiogäste bei Anne Will am vergangenen Sonntag darüber, ob das Auto ein Auslaufmodell sei. Franz Alt, Bärbel Höhn, Christine Haderthauer, Waldemar Hartmann und Matthias Wissmann tauschten auf freundlich-nette Art ihre Argumente aus. Bekannte Gesichter, bekannte Frontlinien! Herr Wissmann beschwor dessenungeachtet seine Mitstreiter zwei Mal, die alten Gräben „hier Auto, hier Fahrrad“ zu überwinden und beschwerte sich:

„Heute Abend sind wir in Adlershof. Nach Adlershof mit dem öffentlichen Verkehr oder mit dem Fahrrad zu kommen, ist praktisch unmöglich.“ (Dieser Satz wurde abgetippt von jemandem, der in weniger als 20 Minuten mit der S-Bahn nach Adlershof gekommen ist.)

Frau Haderthauer kämpfte wacker für die Wiedereinführung der Pendlerpauschale:

„Die Kanzlerin hat immer gesagt, dass sie die Neuregelung der Pendlerpauschale abhängig machen wird von der Entscheidung des Verfassungsgerichts. Es war nicht zu erwarten, dass sie da umsteuert. Das hindert uns nicht daran zu sagen, was wir richtig fänden.“

Franz Alt malte die „Autodiktatur“ an die Wand:

„Das Auto ist, so wie es heute läuft, unsozial. 5000 Tote durch den Autoverkehr im letzten Jahr, 430.000 Verletzte, davon Zehntausende verkrüppelt ein Leben lang – wir haben ein absolut irrationales Verhältnis zum Auto.“

Allerdings fährt er selbst eines, und zwar kein billiges, nämlich den Prius.

Die Sendung kann man sich gut noch einmal in der ARD-Videothek zu Gemüte führen. Noch besser: das zugehörige Blog. Heftig kritisiert wird von den Zuschauern die Gästeauswahl. Die Gäste seien zu bekannt, wird im Blog gesagt, sie hätten irgendwie unvermeidlich gewirkt und seien teilweise überhaupt nicht in erkennbarer Weise für das Thema qualifiziert gewesen. Das ist aber nicht nett, was die Zuschauer da sagen. Alle Studiogäste haben sich doch so redlich bemüht. Stellvertretend für viele der kritischen Einträge sei hier zitiert der Eintrag Nr. 197 von Blogger „Radfahrer“. Zunächst bemängelt er das Missverhältnis zwischen „bewegter Masse“ und Passagier, das unökonomisch sei. Er fährt fort:

„Und dennoch ist das gesamte Verkehrssystem auf das Auto zugeschnitten. Radfahrer und Fußgänger sind mittlerweile nur noch ein lästiges Übel, obwohl ihnen sowieso nur eine lächerliche Restfläche für ihre ökologisch vorbildliche Art der Fortbewegung zugestanden wird. Und das, obwohl es wohl alles andere als ökonomisch ist, sich mit dem 10-20 fachen seines eigenen Körpergewichts in der Stadt fortzubewegen und dabei den knapp zehnfachen Flächenverbrauch eines Fahrrades zu beanspruchen. Und zwar nicht nur wenn man fährt, sondern auch, wenn man das Auto parkt. So kommt es, dass unsere Innenstädte zu riesigen Autoparkplätzen verkommen, in denen Eltern sich nicht mehr trauen, ihre Kinder zu Fuß zur Schule laufen zu lassen (und wer das nicht lernt, wird auch später nicht laufen oder radeln!), weil sie es für die Kleinen für viel zu unübersichtlich und gefährlich halten. 
Alle nicht-motorisierten Menschen werden in ein von Autofahrern für Autofahrer gemachtes Verkehrssystem gezwungen und damit in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Das Geschrei ist groß, wenn tatsächlich mal ein paar Parkplätze wegfallen oder eine Straße verengt wird.“

Mir gefiel am besten Waldemar „Waldi“ Hartmann. Er gab sich überhaupt keine Mühe, seine Auto-Passion zu verstecken und meinte treuherzig, seine 350 PS seien vor allem deshalb gut, weil er mit einem Druck auf das Gaspedal bestimmten Gefahrensituationen entkommen könne. Er täuschte auch keine Fachkunde vor. Solche Ehrlichkeit kommt gut an.

Die Masse der Golf-Fahrer war im Studio nicht vertreten – also all jene, die mit der Familie am Sonntag ins Grüne hinaus wollen. Es war vertreten: die traute Einschalt-Elite. Das Übliche.

Eine kleine Anregung, – keine Kritik! – muss ich aber bei aller Begeisterung für diese Veranstaltung, die alle vorgefassten Urteile bestätigte, doch anbringen: Neben dem Auto-Lobbyisten Wissmann, der erprobten grünen Breitband-Politikerin Höhn, der neuen CSU-„Allzweckwaffe“ Haderthauer, dem unbequemen Mahner Franz Alt fehlte wieder einmal – die Fahrradlobby.

Es saß keine einzige Fachfrau für den Fahrradverkehr im Studio! Dabei gibt es doch Fachverbände wie den ADFC etwa, die seit Jahrzehnten konkrete Forderungen erheben und längst aus den Grabenkämpfen der Vergangenheit herausgeklettert sind. Wo war etwa Sarah Stark, die Berliner ADFC-Landesvorsitzende? Sie wäre umweltfreundlicher als alle die anderen angereist! Diese Fahrrad-Lobbyverbände haben ein enormes Fachwissen angesammelt. Es gibt auch bei ihnen hübsche, fernsehtaugliche weibliche Gesichter. Sie sind jung, jünger als der Durchschnitt der Studiogäste. Zu jung für die Öffentlich-Rechtlichen? Und diese Frauen und Männer bringen obendrein auch noch besondere Kenntnisse mit, sie könnten die Diskussion über die sattsam bekannten Argumente hinausführen. Sind sie deswegen schon disqualifiziert als Studiogäste? Sollen denn immer nur die „Urväter“ und die TV-Zelebritäten untereinander diskutieren? Zollt man so dem demographischen Wandel Tribut? Die Mischung aus alt und jung macht’s doch!

Liebe Anne Will! Bitte ignorieren Sie nicht die jungen Fachleute – mindestens nicht bei Sendungen, die sich den Anschein geben, eine Lanze fürs Fahrrad brechen zu wollen.

DasErste.de – [Anne Will] – Sendung vom 20. Juli 2008 um 21.45 Uhr

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