Aug 282008
 

15082008028.jpg Immer wieder spreche ich mit Berliner Radlern, die beredte Klage über „wüste Kopfsteinpflasterstrecken“ führen. Wahrhaftig, das Kopfsteinpflaster hat bei uns Radfahrern keine gute Presse, immer wieder kriegt es eins auf den Katzenkopf. Was soll ich dazu sagen?

Zunächst einmal: Das gute alte Berliner Kopfsteinpflaster genießt bei vielen Städtebauern und Architekten weiterhin einen guten Ruf: Es verlangsamt den Verkehr, es gliedert durch eine gleichsam organische Anmutung den strukturlosen Straßenraum, es „atmet“, es speichert Geschichte, es wirkt wie alle Natursteine „warm“ und naturnah im Gegensatz zum kalten, leblosen, hochtechnischen Asphalt, dessen Herstellung eine hohe Umweltbelastung – auch mit krebserregenden Stoffen – mit sich bringt.

Diese Vorteile des Kopfsteinpflasters werden auch wir als Fahrradlobby nicht bestreiten können.

Zu den überall freimütig eingeräumten Nachteilen des Pflasters gehören die höhere Lärmentfaltung und die unleugbare Unbequemlichkeit für Radfahrer und für Autofahrer.

Muss man sich als Berliner Radler auch halt mal „durchrütteln“ lassen? Sich durchbeißen, oder auf eine andere Strecke ausweichen? Ich glaube, mit einer  pauschalen Forderung „Pflaster raus, Asphalt rein“ würden wir – tja, „auf Granit beißen“.

Eines ist klar: Der Autoverkehr bedeutet viel härtere Einschnitte, ja Zerstörung von gewachsener städtebaulicher Substanz als noch so viele asphaltierte Radwege.

Was ich als Fragestellung wirklich gut finde: Radverkehrsinfrastruktur als städtebauliches Problem, am Beispiel eines Berliner Stadtbezirks. Hier gilt es, ganzheitlich, also „systemisch“ zu denken, das ist genau der Ansatz, der etwa schon 1987 bei der IBA verfolgt wurde. Ein Haus, ein Gebäude, eine Straße, sie stehen nicht für sich, nein, sie sind als Ensemble zu sehen. Das gilt auch für Fahrradwege. Wie bettet man Fahrradwege ein, wie erzeugt man einen stimmigen Gesamtklang von Straße, Verweilflächen wie etwa Plätzen, Arbeits- und Wohnbereich? Wir sollten dabei durch und durch konzeptionell denken, nicht parteiisch voreingenommen agieren.

Wie verändern Radwege, Radstreifen den städtischen Raum? Wie gliedert man die Radverkehrs-Infrastruktur sinnvoll, optisch ansprechend in das vorhandene Stadtbild ein? Wie befördert eine nachhaltige Verkehrspolitik das über die Jahrhunderte entstandene Bild von der Stadt? Hier sollten wir schwärmen, gute Beispiele zeigen, Ideen vorbringen, mit bunten Farben malen!

Das Kopfsteinpflaster wird und soll, so meine ich, an den allermeisten Stellen bleiben, wo es ist. Es lebt jahrhundertelang, länger als jede Asphaltdecke, und wird weiterleben. Vivant petri!

Unser heutiges Bild zeigt einen Blick auf die Hunderten von brandneuen Fahrradabstellbügeln, die, eingebettet in uralten Naturstein und kleinteilige Pflasterung, die noch nicht zugängliche Baustelle der O2-Arena in Friedrichshain-Kreuzberg zieren.

Aufnahme: Johannes Hampel vom 15.08.2008

 Posted by at 10:53

  4 Responses to “Pflaster raus – Asphalt rein, oder: Welche Stadt wollen wir bauen?”

  1. Wie lang muß man auf solchen Rüttelpisten fahren, bis man zur nächsten, hoffentlich rüttelfreien, Hauptstraße kommt?

  2. Kiezweit verlegtes Kopfsteinpflaster – wie in manchen Gegenden von Neukölln – ist einfach eine Bremse für den Fahrradverkehr. Da hilft nur, einzelne Straßen umzugestalten. Manchmal reicht es bereits, in einem schmalen Bereich Teer in die Fugen zwischen den Pflastern zu spritzen. So wird aus einer katastrophalen Rüttelstrecke eine für Radfahrer befahrbare Straße.

  3. Fahrradwege? Wer braucht Fahrradwege, zumal in Berlin? Da klappte es doch bisher wunderbar ohne.

  4. mir persönlich ist kopfsteinpflaster egal. bei manchen strassen frage ich mich allerdings, ob ein aufnehmen des pflasters um einen ebeneren unterbau hinzubekommen nicht nötig wäre. solange da aber riessenwellen zu durchtauchen sind machts kein spass.
    die fahrradindustrie hat aber auch schon reagiert, federungen sind ja nichts neues mehr, und für alle anderen bleiben ja noch die ballon-reifen wie der „big apple“.

    es ist manchmal erstaunlich wie aprupt der wechsel zwischen nahezu perfekter und katastrophaler streckenführung in berlin stattfindet. in kopenhagen müssten doch eigentlich ansprechpartner zu finden sein. zwei, drei tage dort mit den leuten reden, die stadt „erfahren“ – würde vielleicht nen guten ideen-schub bringen.

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