Sep 102008
 

Mir gefallen Menschen, die klar und deutlich sagen: Da lag ich daneben, ich habe mich geirrt. Und so einer möchte ich auch sein. Es gibt zwei Beiträge in diesem Blog, die geradezu einen Sturm an Reaktionen ausgelöst haben. Der erste betraf Judith Bonesky und Obama. Hatten sie was miteinander im Fitnessstudio? Ist Obama ein Gott oder doch ein Mensch, da er ja „danach“ nicht schwitzt? Dies war die Fragestellung am 28.07.2008. An diesem Tag hatte ich 1696 Seitenaufrufe – absoluter Rekord in der Geschichte dieses Blogs!

Der zweite Sturm wurde durch den Beitrag „Pflaster raus, Asphalt rein?“ vom 28.08.2008 ausgelöst. Leser schalteten sich ein, einige private Mails ereichten mich, in denen mir überzeugende Argumente gegen meine pflastersteinfreundliche Position vorgetragen wurden. Ich könnte auch sagen: Mir wurde der Kopf gewaschen. Und jetzt kommt’s: ich habe mich geirrt. Und ich habe meine Ansicht geändert. Ich muss den meisten Argumenten meiner Kritiker recht geben. Ich fasse die wichtigsten zusammen:

1) Wenn man den Fahrradverkehr erhöhen will, muss man auch den Fahrkomfort erhöhen. Der Belag auf ausgewiesenen Fahrradrouten muss ein angenehmes, sicheres Fahren ermöglichen. Nur dann werden mehr Autofahrer zum Umsteigen bereit sein. Kopfsteinpflaster ist hierfür ungeeignet. Insbesondere für ältere Menschen, Kinder, Behinderte stellt es ein Sicherheitsrisiko dar, gerade bei Nässe, Glätte und Dunkelheit.

2)  Im Fahrbereich brauchen die Radfahrer eine glatte ebene Oberfläche. Dies kann eine Fahrgasse sein oder ein Streifen von nur 1,60 m. Im sonstigen Straßenquerschnitt kann der Pflasterbelag bleiben. Der Einbau eines asphaltierten Radstreifens in eine Kopfsteinpflasterstrasse kostet jedoch offenbar ebenso viel wie die vollständige Asphaltierung.

3) Ästhetische Erwägungen sind sehr relativ. Sie hängen von höchst wandelbaren Vorstellungen des Menschen über seine Umgebung ab. Die Industrie bietet heute eine Fülle an Asphaltbelägen in den unterschiedlichsten Beschaffenheiten an. Dieser Asphalt bietet bei rechter Auswahl durchaus eine warme, gleichsam organische Anmutung. Stellvertretend für vieles sei hier aus derWebsite Asphalt+Bitumen-Beratung zitiert:

In verschiedenen Projekten hat Asphalt bewiesen, dass er diesen Anforderungen gerecht wird. Außerdem kann er durch unterschiedliche Asphaltsorten, verschiedene Mischgutzusammensetzungen, farbige Gesteine und Pigmente sowie verschiedene Verfahren der Oberflächenbehandlung an die Umgebung angepasst werden: Mal sieht er den ungebundenen Decken typischer Parkwege ähnlich, mal greift er die prägende Farbe der Umgebung auf, beispielsweise die Farbe des Sandes wie im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom. Dank der Vielfalt in der Farbgebung fügt er sich in verschiedene natürliche Umgebungen ein und kann, wie im Neuland-Park in Leverkusen, als dezent rot-braunes Band mit der Landschaft verschmelzen. In Parks und naturnahen Landschaften ermöglicht wasserdurchlässiger Asphalt zudem, dass die Niederschläge nicht in der Kanalisation versickern, sondern den Pflanzen zur Verfügung stehen.

4) Historisch gesehen sind Pflastersteine keineswegs überall Standard. Zu allen Zeiten gab es eine breite Fülle an Straßenbeschaffenheiten, vom Knüppelpfad der Steinzeit über gestampften Lehm, Schotter, Pflaster, Teer … kaum je präsentierten sich Straßen einheitlich. Stadtbilder wandeln sich. Entscheidend ist, dass man Zweckbestimmung und gestalterische Qualitätsansprüche zusammenbringt. Denkmalschutz heißt nicht Konservieren, sondern Weiterentwickeln, sodass alte Substanz für heutige Nutzer erlebbar bleibt.

5)  Was die Umweltbelastung angeht, so macht sie nur einen winzigen Bruchteil der Menge aus, die beim Straßenbau für den PKW-Verkehr erzeugt wird. Und die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe des Teers, die in der Tat krebserregend sind, gehören dem modernen Asphalt seit 30 Jahren nicht mehr an. Wir zitieren erneut aus der „Asphalt+Bitumen-Beratung“:

Noch heute wird in der Umgangssprache eine Straße zumeist geteert, wenn sie einen neuen Asphaltbelag erhält. Doch Teer ist im Asphalt seit rund 30 Jahren nicht mehr enthalten. Da der aus Holz, Braun- oder Steinkohle gewonnene Teer gesundheitsschädliche polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthält, ist sein Einsatz im öffentlichen Straßen- und Wegebau in Westdeutschland seit den 70er Jahren verboten, in den ostdeutschen Bundesländern seit 1990. Doch bereits viel früher hat Bitumen den gesundheitsschädlichen Teer als Bindemittel abgelöst, so dass Straßenbeläge aus Asphalt heute teerfrei und durch und durch natürlich sind.

6)  Es gibt einige in der öffentlichen Verwaltung anerkannte Regelwerke des Radwegebaus, hinter die man nicht zurückfallen sollte, namentlich:

ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen), die neue RASt 06 (Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen), Technische Regelwerke der FGSV, in Berlin die revidierte Ausführungsverordnung (AV) Geh- und Radwege oder die  Regelpläne der Zentralen Verkehrslenkung Berlin (VLB).

7) Kopfsteinpflaster stellt keinen Wert an sich dar. In vielen Fällen ist es einfach der zum damaligen Zeitpunkt gewählte Straßenbelag ohne jeden Eigenwert. Straßenbeläge müssen periodisch erneuert werden. So eben auch Pflaster.

Ich hoffe, ich habe die wichtigsten Argumente meiner Kritiker gerafft, aber doch korrekt wiedergegeben. Ich danke euch für eure zahlreichen Klarstellungen und Anregungen.

In der Rückschau fällt mir noch ein: In meiner Vaterstadt Augsburg erlebte ich als Jugendlicher eine heftige öffentliche Debatte mit, als die erste Fußgängerzone eingerichtet wurde. Der vorhandene Asphalt wurde damals mit heiligem Ernst zurückgebaut und durch den historisch geweihten Pflasterbelag ersetzt. Riesige Klopper, wuchtige Granitklötze breiteten sich aus! Es erhob sich ein Sturm der Entrüstung – bei der Damenwelt! „Wir kommen nicht voran, unser Absätze verhaken sich in den Fugen, wir stürzen, wir brechen uns die Knochen!“ Ich ergriff damals die Partei der historischen Pflastersteine. Heute sähe ich das anders. Frauenfreundlicher.

Und bitte versteht auch: Ich bin wirklich durch die Umweltbewegung der 80-er Jahre entscheidend mitgeprägt worden. Und Asphalt hatte einen furchtbar schlechten Ruf – erinnert ihr euch nicht an den Kampf gegen die zunehmende Oberflächenversiegelung? Wie erscholl es damals doch? „Jeden Tag verschwindet in Deutschland eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld, wird verbaut und zerstört durch undurchdringlichen Asphalt …!“ Da war absehbar, dass irgendwann gar nichts mehr von Deutschland übrigbliebe!

Aber auch hier gilt es umzudenken: Es gibt mittlerweile einen wasserdurchlässigen Asphalt. Und es gibt Asphalt, der bei niedrigen Temperaturen hergestellt wird, wodurch entscheidend weniger Schadstoffe in die Umgebungsluft geraten als beim Heißauftrag.

Also – genug des Widerrufs. Lasst uns alle gemeinsam an den besten möglichen Lösungen arbeiten. Für den Radverkehr. Für ein bewusst gestaltetes  Stadtbild. Für die Umwelt. Für die Gesundheit.

Und lasst uns die Denkmalschützer, Stadtplaner und Bauingenieure mitnehmen, indem wir ihre Sprache vernehmen und uns in ihre Gedanken hineinversetzen.

 Posted by at 22:21

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