Nov 042008
 

Im letzten Eintrag spießten wir einige besonders abschreckende Beispiele für einen kommunikativen Stil auf, der heute nicht mehr zielführend ist. Wir nannten diesen Stil „Negativpropaganda“. Dieser Stil herrschte nach unseren Beobachtungen in der Berliner Landespolitik mindestens bis zum Jahr 2001 vor. Manche haben ihn auch heute immer noch nicht überwunden. Die rot-rote Koalition brachte hier ein Umdenken. Durch geschicktes Umsteuern in der Kommunikation gelang es der SPD, die vormaligen Gegner, also die damalige PDS, zu hilfreichen Partnern in einem Bündnis zu machen, das sich dank beständiger Schützenhilfe einer zerstrittenen Opposition bis heute an der Macht halten konnte.

Das Aushandeln von durchsetzbaren Lösungen ist heute die wichtigste Voraussetzung, um an die Macht zu gelangen, sich an der Macht zu halten, und Macht auch in Zeiten der Krise zu behaupten. Dabei gilt es, berechtigte Interessen aller Seiten anzuhören und zu einem vertretbaren Ausgleich zu bringen. Nur wer diese Kunst beherrscht, wird dauerhaften Erfolg haben. Wir fanden, dass die Ausführungen Thomas de Maizières, über die wir am 09.05.2008 in diesem Blog berichteten, unserer hier vertretenen kooperativen Politikauffassung am nächsten gelangen.

Dies ist auch der Tenor eines äußerst lesenswerten Artikels im aktuellen gedruckten Spiegel Nr. 45/2008. Autor Dirk Kurbjuweit analysiert unter dem Titel „Unwirkliche Wirklichkeit“ ab Seite 32 die gegenwärtige  Krisensituation und stellt fest, dass in Deutschland ein erschreckender Mangel an verhandlungssicheren, sachlich versierten Spitzenpolitikern herrsche. In der englischen Online-Ausgabe lesen wir:

Officials at the Chancellery in Berlin recently came up with a list of Germans capable of understanding the financial crisis and helping to develop a solution. The list amounted to less than 10 people. This deficit is a consequence of German restraint. The French are better at placing their people in international institutions. Germany, however, has granted itself the luxury of remaining provincial, and has done well for itself as a result, but this period of cultivating the idyllic is coming to an end.

This is especially true of the politicians themselves. If we add up the number of people in Germany that can be trusted to discuss complex issues in daily telephone conferences with the Bushs, Sarkozys, Wens, Singhs and Medvedevs of this world, we are hardly likely to hit upon more than five. Merkel is one of them, and Foreign Minister Frank-Walter Steinmeier can work his way into the role. Kurt Beck, the former leader of the Social Democrats (SPD), already seems like a man from a different era.

Kurbjuweit erhebt Forderungen, die man eigentlich allen Berliner Regionalparteien ins Stammbuch schreiben sollte:

„Das heißt, dass die Politik ihr Rekrutierungsverfahren umstellen müsste, von Ortsvereinstauglichkeit auf Weltgewandtheit. Politische Karriere macht bislang, wer bleibt. Die Hauptkompetenzen sind Machtsicherung und Machtverteidigung. Aber in der Weltkrise ist eher ein kluges Ingenieurtum nötig, dazu Verhandlungsgeschick auf höchstem Niveau.“

Ich meine: Die Parteien müssen andere Fertigkeiten schulen – bei sich selbst, bei ihren Mitgliedern, vor allem aber bei den Berufspolitikern. Nur der darf Berufspolitiker werden, der die nötigen Schlüsselqualifikationen mitbringt: Verhandlungsgeschick, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Verschwiegenheit, ständige Lernbereitschaft, gute Beherrschung der Muttersprache – sowie die Fähigkeit, die Wirkung der eigenen Worte mit einiger Wahrscheinlichkeit vorherzusagen. Flüche, Beleidigungen, Verunglimpfungen – all das kann man sicherlich zuhause in den eigenen vier Wänden tun (ich versuche es auch hier zu unterlassen). Auf der politischen Bühne haben Unflätigkeiten und Flegeleien – so meine Auffassung – nichts verloren.

Ich meine: Wer diese  sieben wichtigen Tugenden

Verhandlungsgeschick, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Verschwiegenheit, ständige Lernbereitschaft, gute Beherrschung der Muttersprache, Fähigkeit, die Wirkung der eigenen Worte vorherzusehen

nicht mitbringt, der sollte sich fragen, ob er oder sie für wichtige politische Ämter geeignet ist. Ich meine: Eher nein. Umgekehrt gilt: Wer diese Tugenden hat, der muss meines Erachtens ganz nach vorne gelangen.

Merkel’s Push for Consensus: Crisis Creates a New German Politics – SPIEGEL ONLINE – News – International

This shift means that the political world will have to modify its recruitment parameters from an emphasis on local skills to urbaneness. Until now, the key to a political career was staying power, not mobility. The ability to secure and hold on to power was the principal competency. But the kind of person who can prevail in a world crisis is someone with clever engineering abilities and high-level negotiating skills.

 Posted by at 12:57

Sorry, the comment form is closed at this time.