Nov 062008
 

Aufschlussreiche Kommentare zur Wahl des amerikanischen Präsidenten steuern heute Tanja Dückers und Frank Henkel bei. Dückers fragt: Wo ist unser Obama? Sie geißelt im heutigen Tagesspiegel die behaglich-negative Sicht auf die Welt, welche bei uns vorherrsche. Allzuviele Menschen hätten es sich bequem gemacht in einer gespaltenen Weltsicht: „Wir“ sind immer die Guten – die „anderen“, seien es die Amerikaner, die PDS, die Kommunisten, die Faschisten, die Russen, die Roma –   würden abgestempelt als die Bösen. Dückers erkennt sehr gut, dass nicht die jeweiligen Gegenstände des Feindbildes das Problem sind. Das Problem ist, dass überhaupt soviele Menschen in Berlin die Welt in Gut und Böse unterteilen. Wie leicht ist es dann, die Schuld an den Zuständen immer den anderen zu geben. Denken wir an die ständigen Überfälle auf den kleinen Subway-Laden in Kreuzberg: Auch hier haben einige eben offensichtlich ihren Feind erkannt: die bösen amerikanischen Kapitalisten.

Obama steht für etwa anderes: eine versöhnende, vermittelnde Haltung, die auf universalen Werten beruht. Auf Zuwendung, Gespräch, Hinhören. „Er hält immer die andere Wange hin.“ So schreibt Michael S. Cullen heute auf S. 7 in der BZ. Nicht zufällig ist dies ein Zitat aus dem Evangelium. Denn Obama ist Christ. In seiner Sanftmut, seinem ständigen Aufruf zum Glauben, seinem Bekenntnis zum Umdenken greift er in den Kernbestand der jüdisch-christlichen Botschaft hinein. Ich behaupte sogar: Es hat schon lange keinen Politiker gegeben, der mit derartigem Geschick und mit derartiger Leidenschaft die schlichten Gebote des Jesus von Nazaret beherzigt hätte. Eines seiner deutlich erkennbaren Vorbilder ist Johannes der Täufer, der ja ebenfalls umherlief und vor riesigen Menschenmengen verkündete: „Denkt um, wandelt euch! Habt Vertrauen, glaubt an euch!“ Die zentralen Botschaften des Evangeliums – das ständige Umdenken, der Wandel, das Vertrauen – diese hat Obama ins Weltlich-Politische übersetzt und lebt sie mitreißend vor. Barack Obama ist ein im tiefsten Sinne christlich-demokratischer Politiker, wie man ihn sich vorbildlicher gar nicht ausdenken könnte. Natürlich, er spricht öffentlich nicht darüber, das tut man als Politiker nicht. Man spricht als Politiker nicht über Religion. Aber ich halte diesen Glauben für eine ebenso starke Triebkraft wie seine Verwurzelung im amerikanischen Traum, in der großartigen Tradition der über mehr als 200 Jahre bestehenden Demokratie der Vereinigten Staaten. Und diese Demokratie fasste sich ja ebenfalls als die Wiederherstellung eines verlorenen Ideals auf – des Ideals der griechischen Demokratie und des römischen Imperiums. Die amerikanische „Re-volution“ war also eine „Rück-Wendung“ zu den Wurzeln der europäischen Überlieferung – gegen die bedrückende Gegenwart der Monarchie.

Der gefeierte Neuansatz durch Barack Obama ist also – eine Wiederbelebung uralten Erbes. Eines doppelten Erbes: das der amerikanischen Demokratie und das des jüdisch-christlichen Weltvertrauens. Obamas Reden sind gespickt mit wörtlichen Zitaten aus den uralten Gründungsdokumenten der amerikanischen Demokratie, aus den großen Reden seiner längst verstorbenen Vorgänger. Sein Internetauftritt überfällt einen geradezu mit Losungen, die so oder so ähnlich auch in hebräischer Bibel, Neuem Testament und Koran stehen könnten. Etwa: „Change you can believe in.“ Das heißt ein Doppeltes: Glaube an den Wandel – wandle dich zu einem glaubenden, vertrauenden Menschen! Diese beiden – das Erbe der amerikanischen Demokratie, das Erbe der drei mosaischen Weltreligionen – sind die Fundamente, auf denen die Gründer der USA ihren so erfolgreichen Staat aufgebaut haben. In ihren Fußstapfen folgt Obama.

Etwas davon scheint auch Frank Henkel, ein Berliner Politiker, erkannt zu haben. Er wird heute im Tagesspiegel zitiert, für ihn sei Obama bislang ein Mysterium. Henkel verwendet also die Sprache der Religion – er sieht also in Obama etwas, was seine Fassungskraft übersteigt, etwas, wovor er nur die Augen staunend verschließend kann. Denn das Geheimnis, das Mysterium ist im Wortsinne etwas, was zu hoch für uns ist, was wir nur glauben und hoffend annehmen können.

Das ehrt Henkel. Denn es gibt kaum größere Gegensätz als manche Berliner Politiker und Obama: Bei manchen Berliner Politikern  finden wir eine klare Freund-Feind-Linie, eine aggressive, feindselige, stets zum Zuschlagen bereite Sprache ohne jede vermittelnde Kraft, ein Vorherrschen von negativen, anklagenden Tönen. Die Welt ist grau oder schwarz. Es gibt keine Freude. Ein Alleinstellungsmerkmal mit Forderungen, die sonst niemand teilt. Kein Fachpolitiker, kein Fachmann, keine Fachfrau aus Justiz und Verwaltung. Wie etwa die Forderung nach Heraufsetzung der Höchststrafe im Jugendstrafrecht von 10 auf 15 Jahre. Niemand außerhalb vertritt derartige Forderungen, kein Richterbund, keine Bundespartei, keine Polizeigewerkschaft. Ein großer, bewundernswerter Mut zur Selbstisolation, zur „Wir-gegen-den-Rest-der Welt-Haltung“, die man nicht genug loben und ehren kann.

Und als Gegensatz dazu Obama: ein Mensch des Ausgleichs, der Versöhnung, ein Mann, der auch angesichts gigantischer Probleme stets Zuversicht ausströmt, ein Mann des Wortes und der Tat.

Zu recht fragt Tanja Dückers: Wo ist unser Obama?

Ich meine: Die Anti-Obamas haben wir schon. Dann werden irgendwann auch die Obamas kommen.

Ganz viel Hoffnung

 Posted by at 11:06

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