Verdacht oder Vertrauen? (2)

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Nov 182008
 

obama.jpgMy failure to clean up the kitchen suddenly became less endearing.“ Diese Unfähigkeit von uns Ehemännern, die Küche aufzuräumen, stört die Ehefrauen, nährt Zweifel an unserem Realitätssinn, führt zu Groll. „You only think about yourself!“ Auch das habe ich selbst bereits öfter gehört.

Seht her – eine winzige Gemeinsamkeit zwischen dem neuen Präsidenten der USA und uns deutschen Ehemännern: wir hinterlassen Chaos nach dem Frühstück.  Wir zitierten eben zwei Sätze aus dem Buch „The Audacity of Hope“ von Barack Obama (S. 340).

Wie schon vor einigen Tagen stellte ich mir heute erneut zwei entgegengesetzte Auffassungen von Politik vor die Augen. In einer Buchhandlung kaufte ich erst das folgende Buch:

knabe20948309n.jpg Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur. List Taschenbuch, 2008

Und dann auch:

Barack Obama: The Audacity of Hope. Thoughts on Reclaiming the American Dream. Three Rivers Press New York, 2006

Erneut – zwei völlig unterschiedliche Entwürfe von Politik! Zwei wichtige, unerlässliche Bücher, die einem helfen, die deutsche Befindlichkeit und den amerikanischen Traum zu verstehen.

Bei Knabe sprang mich natürlich sofort der Satz an: „Weil sie nicht in der Gegenwart angekommen sind, leben sie weiter in der Vergangenheit“ (S. 14). Wer sind „sie“? Dieses Wörtlein könnte hier so manchen und so manche bezeichnen! Die Verteidiger der DDR ebenso wie diejenigen, deren Hauptaugenmerk heute darin zu bestehen scheint, die alten Seilschaften zu enttarnen. „Das sind ja immer noch die alten Kader! Sie haben nur zum Schein ein paar junge Gesicher vorne hingestellt.“

Der Beschreibende läuft Gefahr, sich dem Objekt seiner Beschreibung anzugleichen. Mir fällt Don Carlos von Schiller ein – jene zwiespältig-gebrochene Gestalten des Inquisitors, des Königs Philipp. Schiller geißelte – wie Hubertus Knabe – das System des Unrechts, der Unfreiheit. Aber Friedrich Schiller sprach nicht allen Vertretern der Unfreiheit jegliches Verantwortungsgefühl ab. Er erklärte sie nicht zu Feinden. Er versuchte, sich in sie hineinzuversetzen.

Um wieviel anders als Hubertus Knabe schreibt Obama! Was für ein meisterhaftes Buch! Erzählend, berichtend, nachdenkend umspannt der Verfasser sein eigenes Leben, die Gründungsmythen der Vereinigten Staaten, liefert eine brillante Einführung in Mechanismen der Parlamentsarbeit. Und er lässt uns teilhaben an seinen Enttäuschungen, seinen Niederlagen, seiner Unvollkommenheit. Obama schreibt ein wunderbar schwebendes, leicht hingespanntes, erzählendes Englisch. Aber seine Erzählungen sind erfahrungs- und theoriegesättigt zugleich. Weder die Schande der Rassentrennung, noch die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft im Bürgerkrieg spart er aus. Aber in allen Schrecknissen der Vergangenheit lässt er seine Hoffnung aufscheinen.

Als Beispiel für diese Großmut nenne ich hier eine Auseinandersetzung mit einem militanten Abtreibungsgegner, der Obama eine E-mail schrieb. Obama lässt sich beeinflussen. Er denkt um. Er zweifelt: Vielleicht haben unsere Gegner ja doch irgendwo auch recht? Er leitet die E-mail an alle Mitarbeiter weiter. Und er schließt diese Begegnung  mit den Worten ab: „Ich bat darum, dass ich bei anderen denselben guten Glauben voraussetzen möge, den sie mir entgegengebracht haben.“

Zitieren wir aus dem Original, S. 198:

„And that night, before I went to bed, I said a prayer of my own – that I might extend the same presumption of good faith to others that the doctor had extended to me.“

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