Jan 312009
 

28012009.jpg Bittere Enttäuschungen bereiten mir weiterhin die deutschen Politiker und die deutschen Journalisten, wenn sie auf Barack Obama zu sprechen kommen. Immer wieder frage ich sie entgeistert: Ja, könnt ihr denn kein Englisch? Lest ihr denn keine Bücher? Habt ihr denn die Bücher des Barack Obama nicht gelesen? Interessiert ihr euch denn gar nicht für Verfassungsgeschichte? Seid ihr denn nur daran interessiert, wie ihr euren nächsten lächerlichen gewöhnlichen Bundestagswahlkampf einigermaßen über die Runden kriegt, ohne dass die Wähler vorher schon abwinken: „Nein, ihr könnt es nicht!“?

Ich selber habe Obama in seinem Wahlkampf offen in diesem Blog und auch auf seiner Homepage unterstützt – obwohl ich deutscher Staatsbürger bin. Ich tat dies, nachdem ich einige seiner Reden im Internet gehört hatte. Ich tat dies, weil ich den großartigen Moment an der Berliner Siegessäule miterlebt hatte (dieses Blog berichtete am 24.07.2008). Und ich fühlte mich noch einmal bestätigt, als ich seine beiden Bücher las.

Die deutschen Politiker und Journalisten starren gebannt auf die Strategien Obamas. Sie fragen: Wie macht er das? Sie interessieren sich jedoch nicht für seine Inhalte. Sie starren nur auf die Verpackung. Wenn Obama seine Pakete mit DHL verschicken würde, dann würden die deutschen Politiker halt Stammkunden bei DHL. Und wenn mit UPS – dann eben bei UPS.

Ganz typisch für die rührende Hilflosigkeit unserer deutschen Politstrategen ist parteiübergreifend das neueste Plakat der SPD vor meiner Haustür. Es hängt z.B. gegenüber der SPD-Parteizentrale in der Wilhelmstraße. Ich fahre jeden Tag mindestens einmal daran vorbei. Man sieht ein riesiges rotes Paket.

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Irgendein Inhalt des Pakets ist nicht erkennbar. Darunter die einfältige Zeile: „Anpacken. Für unser Land.“

Bei der CDU sieht es nicht besser aus: „Die Mitte.“ Auch hier gilt: Inhalte, irgendwelche Botschaften sind nicht erkennbar. O sancta simplicitas – bitte einpacken!

Ein weiteres mitleiderregendes Dokument der Ratlosigkeit liefert eine Konferenz in Berlin, über die der Spiegel berichtet – und zu der ich natürlich nicht eingeladen worden bin.

Von Obama lernen: Die Angst deutscher Wahlkämpfer vor dem „Yes we can“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Die versammelten Polit-Profis reden über „grass-roots efforts“ und „consumer generated campaigns“, „www.whitehouse.gov“, die vom Obama-Team neu gestaltete Website des Weißen Hauses, wird so selbstverständlich zitiert, als habe das Konferenzpublikum sie längst als Internet-Startseite gespeichert.

Ich sehe das so: Die deutschen Polit-Strategen haben mitbekommen, dass Obama nicht berittene Boten aussendet oder sich auf eine Seifenkiste stellt, um ein paar Wählerstimmen einzusammeln, sondern dass er die besten verfügbaren Mittel auf die klügste denkbare Weise einsetzt, um für sein Anliegen zu werben: das Internet, die Blogs, die mediale Vernetzung. Aber das Internet, die Blogs, die mediale Präsenz, das sind für ihn alles nur Mittel zum Zweck.

Was ist aber sein Anliegen? Das hat er wieder und wieder dargelegt, und zwar zuerst und am überzeugendsten in seinen beiden Büchern, in ganz normalen Wahlkreisbegehungen, in ganz normalen Parteitagsreden, und zwar über einige bittere dürre Jahre hinweg, in denen er keineswegs als der große Star herauskam, der er jetzt geworden ist. In diesen bitteren Jahren der Niederlagen hat er aber sicher eines gelernt: Er hat gelernt, den Leuten zuzuhören. Er hat gelernt, was er sagen kann, und was er tunlichst verschweigen muss, um Zustimmung zu sichern.

Aber er hielt an seinen Grundüberzeugungen fest. Über all die Jahre hin, die ja bestens in Wort und Bild dokumentiert sind, haben sich seine Werte nicht verschoben. Welche sind dies? Ich habe es wiederholt in diesem Blog versucht in möglichst einfachen deutschen Worten wiederzugeben:

Ein tiefer Glaube an die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen, und einhergehend damit die Verurteilung jedes kollektivistischen Denkens, etwa des Kommunismus, des italienischen Faschismus, des Nationalsozialismus.

Die Überzeugung, dass wir alle gemeinsam in der Verantwortung stehen. Deshalb auch die Ablehnung jedes Lagerdenkens.

Ein fester Glaube an die eigene Nation, in diesem Fall: die USA. Patriotismus. Bei allen Schattenseiten (jahrhundertelanger Rassismus, Sklaverei, Völkermord und Vertreibung an den Millionen von Indianern, amerikanischer Bürgerkrieg, völkerrechtswidriger Irak-Krieg, Guantanamo usw.) überwiegt doch überwältigend die Zustimmung zum eigenen Land. Obama spricht glaubwürdig von seiner Liebe zu den USA.

Ein starker Glaube an das Verfassungsrecht. Die Verfassung der USA muss immer wieder gegen Missbräuche und Auswüchse der Politik in Stellung gebracht werden.

Ein Glaube an das Legalitätsprinzip – der Rechtsstaat muss gepflegt werden. Wenn staatliche Organe rechtswidrig handeln, wie es immer wieder geschieht, bietet der Rechtsstaat die Mittel, solchen Missbrauch abzustellen.

Eine ständige Rückbesinnung auf die alten Werte, auf das, was sich in der Vergangenheit schon bewährt hat. Zu Recht bezeichnet sich Obama als wertkonservativ.

Wieviel haben die deutschen Politiker, die deutschen Journalisten davon mitbekommen? Ich fürchte: recht wenig. Sie interessieren sich jetzt natürlich für Obama, weil er es geschafft hat, weil er so erfolgreich ist. Aber von der Substanz seiner Politik, davon, was den Politiker Obama im Innersten zusammenhält, redet kaum jemand. Dabei wurde sein Buch The Audacity of Hope in den USA über 1,2 Millionen Mal verkauft. In Deutschland nur etwa 40.000 Mal.

Ich konstatiere wieder einmal eine niederschmetternde Entleerung der deutschen Politik – ja, fast eine Entpolitisierung der politischen Parteien. Da spiele ich dann doch lieber gleich Marionettentheater wie vor zwei Tagen in der Clara-Grunwald-Schule. Heiter und mit Musik von Mozart.

Deutsche Politiker, Journalisten, Strategen groß und klein: Da ihr schon offensichtlich so wenig Zeit zum Nachdenken und zum Lesen guter Bücher habt – ich empfehle euch eine Seite, nur eine Seite!, aus dem Buch „The Audacity of Hope“. Bitte, tut mir den Gefallen: Lest sie. Dieses Kapitel beginnt im englischen Original auf S. 97 mit den Worten

„I’M LEFT THEN with Lincoln, who like no man before or since understood both the deliberative function of our democracy and the limits of such deliberation.“

Ich habe euch die Seite sogar in das Foto am Beginn dieses Blog-Eintrags gesetzt. In der deutschen Übersetzung ist es Seite 132 im Buch „Hoffnung wagen“. Tollite legete!

Ihr braucht euch Obama nicht zum Vorbild zu nehmen. Das schafft ihr sowieso nicht. Aber ihr solltet zur Kenntnis nehmen, was er will, was er gesagt und geschrieben hat. Bitte nicht immer nur auf die glitzernde Fassade und auf Wahlerfolge starren. Das nervt allmählich. Zu gut Englisch: It sucks.

Gibt es außer dem Verfasser dieses Blogs jemanden, den das ebenfalls nervt? Ich hoffe – ja. Es scheint einen zu geben! Immerhin, das ist schon was. Es besteht Anlass zur Hoffnung. Ich zitiere aus dem Spiegel:

Doch dann steht ein Mann am Rednerpult, den das alles eher unberührt zu lassen scheint. Es ist Thomas de Maizière, als Chef des Bundeskanzleramtes so nah dran am bevorstehenden Kanzlerinnen-Wahlkampf wie kaum jemand sonst. Sicher, auch de Maizière ist der Schwung der Obama-Kampagne nicht entgangen. Dass Hunderttausende sich vom Ruf nach Wandel anfeuern lassen, das findet er schon beeindruckend, auch er lobt die Verschmelzung von Fakten und Gefühl. Doch Vorbild für Deutschland? Da spricht de Maizière lange von den Besonderheiten der politischen Kultur eines Landes, von der Notwendigkeit der „Plausibilität“ politischer Argumente, von der Abstimmung in parteiinternen Prozessen.

Deutsche entzaubern das „Yes, we can“

Es ist eine sehr nüchterne, eine sehr deutsche Entzauberung jeglichen „Yes we can“-Übermuts für den kommenden Bundestagswahlkampf.

 Posted by at 13:31

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