NE MUTLU TÜRKÜM DİYENE

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Apr 212009
 

Diesen Satz las ich oft in Stein gemeißelt und auch überlebensgroß auf Berghängen hingewuchtet bei meinen Reisen in der Türkei.

Interessanter Artikel über Abwanderungswünsche junger türkischer Deutscher in der heutigen taz. Nach einer Studie tragen sich viele hier lebende junge deutsche Türken mit Rückkehrwünschen. Ich verstehe das. Die Türkei ist ein wunderschönes Land. Ich verstehe, wenn man Sehnsucht  nach ihr hat – habe das Land mehrfach besucht, bin absolut fasziniert von Geschichte, Kultur und Natur. Und ich mag die Leute, ich komme prima mit ihnen aus. Auf den Straßen und Plätzen herscht insgesamt mehr soziale Nähe, es ist ein menschlich wärmeres Land als Deutschland. So habe ich das erlebt, und so erlebe ich die Türken eigentlich fast immer auch in Berlin: in der Schule, im Laden, bei Besuchen. Auch deswegen lebe ich gerne in Kreuzberg.

Jeder Türke soll dieses Land in seinem Herzen tragen, wo auch immer er sich befindet. So Premierminister Erdogan in Köln. Der türkische Staat hat es über all die Jahrzehnte hinweg geschafft, bei den meisten Türken ein starkes Familienbewusstsein, ja geradezu ein eingeschworenes Zusammengehörigkeitsgefühl einzupflanzen. „O meine geliebten Brüder und Schwestern“ – so redet der türkische Staat in Gestalt des Herrn Erdogan zu den Auslandstürken.

Dem dienen die allmorgendlichen Eide auf ein gemeinsames, staatlich verordnetes Ethos. Die Türken haben in der Schule jeden Tag Morgenandacht, eine Art ritualisierten Ethik-Unterricht.“Wie glücklich ist der, der sich Türke nennt!“ Wie toll wäre es, wenn unsere türkischen Schüler einmal einen Monat an einer türkischen Grundschule verbringen könnten und einmal erführen, was echte Disziplin für gute Türken bedeutet (nicht in Kreuzberg, sondern in der echten Türkei)!

Hier der verpflichtende Eid aller türkischen Schüler laut Wikipedia:

 „Ich bin Türke, ehrlich und fleißig. Mein Gesetz ist es, meine Jüngeren zu schützen, meine Älteren zu achten, meine Heimat und meine Nation mehr zu lieben als mich selbst. Mein Ideal ist es aufzusteigen, voranzugehen. O großer Atatürk! Ich schwöre, dass ich unaufhaltsam auf dem von dir eröffneten Weg zu dem von dir gezeigten Ziel streben werde. Mein Dasein soll der türkischen Existenz ein Geschenk sein. Wie glücklich derjenige, der sagt ,Ich bin Türke‘!“

O meine lieben türkischen Brüder und Schwestern, da können wir nicht mithalten! In Deutschland ist Familie Familie, Gesellschaft ist Gesellschaft, der Staat ist der Staat, und das sind wir alle. Wir sind in Deutschland keine einzige große Familie. Der einzelne muss selbst dafür arbeiten, dass er sich zugehörig fühlt. Etwa durch beruflichen Erfolg, durch soziales und politisches Engagement. Dieser Weg steht allen offen, die noch kein großes Heimatgefühl entwickelt haben.

Mir gefällt die Zuschrift eines Italieners zum heutigen taz-artikel:

Abwanderung der Deutschtürken: Braindrain nach Istanbul – taz.de
Ich als Italiener werde ständig auf meine Herkunft angesprochen und wurde auch schon oft dumm angemacht (wenn bspw. in der Videothek von einem Mitarbeiter lahme Witze à la „Willse tu einä Filmä ausleihe, meinä Freund“ gerissen werden oder bei der Fußball-WM oder oder oder). Aber: das tangiert mich nicht, ich lache darüber, solche „Nettigkeiten“ erreichen mich überhaupt nicht. Ich versinke nicht in Selbstmitleid und Mimosenhaftigkeit. Ich steigere mich nicht in diffuse Erwartungshaltungen hinein. Ich habe eine relativ große Verwandschaft, zum größten Teil einfache Leute aus dem armen Süden. KEINER von ihnen hat die Probleme, die sie hier beschreiben. Und wenn, dann pflegt er einen anderen Umgang damit. Die Besten studieren, von Ökotrophologie bis Germanistik. Wir machen unser Glück nicht von der Rückständigkeit anderer Leute abhängig. Wir schmieden es selbst. Wir geben das Tempo vor […]

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Online – offline: die Verlinkung macht’s

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Apr 212009
 

Marlene Halser bringt in der tageszeitung vom 19.04.2009 eine schlüssige Zusammenfassung eines Workshops, den ich leider beim taz-Kongress nicht verfolgen konnte:

Politische Mobilisierung im Web 2.0: „Gutes Image für lau“ – taz.de
Seit Obama im Internet Millionen von Unterstützern für seine Politik mobilisierte, spielt das Web 2.0 zunehmend auch für den deutschen Wahlkampf und in der politischen Lobbyarbeit eine wichtige Rolle. Nach dem Vorbild Obamas melden sich auch deutsche PolitikerInnen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier beim Sozialen Netzwerk Facebook an und lassen sich auf Twitter das Zwitschern beibringen.

Guter, sehr lesenswerter Artikel!

Was mich immer besonders fasziniert, ist, wenn Medienwelten zusammentreffen. So konnte ich den taz-Kongress besuchen und am selben Abend noch mich mit anderen Besuchern im Internet darüber austauschen. Man kann in solch einem Blog aus dem Koran, aus Platon zitieren und erhält über Nacht eine Antwort nicht zwar aus aus dem Grabe von den zitierten Geistesgrößen selbst, aber aus der „echten“ Welt.

So meine ich grundsätzlich: Wenn das Medium für die angezielte Gruppe wichtig ist, muss man es nutzen. Wenn man jüngere, digital gebildete Wähler ansprechen will, muss man zweifellos das Medium Blog und Homepage nutzen – möglichst interaktiv, also so, dass die Angesprochenen ihrerseits zu „Ansprechenden“ werden.

Soziale Netzwerke, wie etwa Facebook, oder auch das neue Twitter sollte man dann nutzen, wenn man Lust darauf hat – für obligatorisch halte ich diese Werkzeuge noch nicht. Sie sind derzeit noch ein nettes Extra.

Aber das Medium ist nicht die Botschaft. Das Medium ist letztlich auch nur ein Mittel, um Fragen zu stellen, Antworten zu geben, Botschaften zu senden und zu empfangen. Im Internet geht es zu wie in der Judenschul: Jeder, der vorbeigeht, hört ein unbegreifliches Rauschen. Wer drin ist und sich konzentrieren kann, wer Lesen und Schreiben gelernt hat, der wird mit großen Gewinn daraus hervorgehen. Es wäre eine Selbsttäuschung zu glauben, durch ein schickes Medium allein könne man den Wahlkampf entscheidend beeinflussen.  Das Internet ist ein Resonanzboden – es ist nicht die Musik selbst.

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Apr 212009
 

Den obigen Ausruf mögen die älteren unter den Leserinnen noch kennen. Ich hörte ihn in höchster Erregung vorgetragen als Sechstklässler, als wir bildungsfernen Rabauken mal wieder Rabatz schlugen, ehe der erwartete Lehrer endlich erschien, um mit dem Lateinunterricht zu beginnen. Er schalt uns tüchtig: „IST hier jetzt gleich Ruhe, hier geht’s ja zu wie in der JUDENSCHUL!“

Was steckt hinter dieser Redewendung? „Schul“, das ist im Jiddischen der Ausdruck für Synagoge, also für das Versammlungshaus der jüdischen Gemeinde. Das jiddische Wort kommt aus dem deutschen Wort „Schule“, weil die Synagoge selbstverständlich nicht nur Versammlungshaus, sondern auch auch Lernort, eine Stätte der Wissensweitergabe war. Die Judenschul, das war die Synagoge. Unser deutsches Wort Schule wiederum stammt von lateinisch schola, die Schule, ab, welches seinerseits wiederum aus dem griechischen σχολή, die Muße, die freie Zeit stammt.

Die Juden lehren und lernen ihre grundlegenden Schriften bis zum heutigen Tage durch individuelles, halblautes Lesen, durch ständiges wechselseitiges Befragen, es wird häufig in einem vielstimmigen Stimmengewirr rezitiert, geredet,  gestritten. In Rede und Gegenrede wird um die rechte Auslegung gerungen. Der Lehrer schreitet durch die Lernenden hindurch, wird selbst zum beständig Lernenden. Für den draußen Vorbeigehenden ergab sich ein unerträgliches, chaotisches Durcheinander – die Judenschul ist ein vielstimmiges Klanggebilde, aus dem allerlei Unverständliches herausdringt.

Was ist das Ergebnis der Judenschul, dieser Art des vielstimmigen Lernens in einem gemeinsamen Lernort? Man werfe einen Blick auf die Statistik der Nobelpreisträger, der Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler, und man wird erkennen: In allen Bereichen, wo es besonders stark auf die Weitergabe, Vermittlung und produktive Anwendung von Wissen und Erkenntnis geht, sind Juden seit Jahrhunderten weit überdurchschnittlich vertreten.  Ich führe das vor allem darauf zurück, dass bei den Juden seit der Antike höchst effiziente, selbstgesteuerte Formen des gemeinschaftlichen Lernens und Lehrens gehegt werden. Ein besonders beeindruckendes Monument dieses Lernens-Lehrens ist übrigens der Talmud. Und Talmud heißt auf hebräisch nichts anderes als Lernend-Lehren oder auch Lehrend-Lernen.

Neben der Akademie Platons halte ich die Judenschul für eines der großen wegweisenden Modelle des selbstgesteuerten, in Rede und Gegenrede sich entfaltenden Lernens, wie es neuerdings seit einigen Jahrzehnten wieder vermehrt gefordert wird. Zwischenfrage: Wieso sagt das Blog hier „neuerdings, seit einigen Jahrzehnten“? Antwort: Wir denken hier selbstverständlich in Jahrtausenden, nicht in Legislaturperioden. Selbst 30 Jahre taz sind noch nicht so arg viel. Wodurch wir zum gestern erwähnten taz-Forum über das heilige deutsche Gymnasium zurückkommen. Immer wieder wurde dort verlangt, die Schülerinnen sollten einander lehren, die Stärkeren sollten die Schwächeren mitnehmen und ähnliches mehr.

Mehrere Lernvorgänge sollen gleichzeitig ablaufen: Binnendifferenzierter Unterricht, so lautet das Gebot der Stunde. Der binnendifferenzierte, auf den indivduellen Lernfortschritt abgestimmte Unterricht wird unabweisbar, wenn Kinder aus verschiedenen Milieus aufeinandertreffen: der Schüler, der stundenlang an der Video-Konsole Ego-Shooter spielt, der deutsche Jugendliche mit seinen statistisch nachgewiesenen 213 Minuten täglichem Fernsehkonsum trifft auf die Schülerin, die mit 7 Jahren selbständig ganze Bücher in den beiden Erstsprachen Polnisch und Deutsch flüssig vorlesen kann.

Genau das scheint auch der Autor und Journalist Christian Füller, der sich gestern zu meiner großen Freude in diesem Blog zu Wort meldete, mit seinem Buch Die Gute Schule im Sinn zu haben. Denn es gibt gute Schulen! Füller schreibt:

Leseprobe Die Gute Schule
Die guten Schulen haben ihr Kerngeschäft reformiert: das Lernen der Schüler. Ihr großes Ziel ist es, die Machtverhältnisse des Lernens zu verändern. Sie versuchen, ihre Schüler aus der Rolle von Objekten der Beschulung zu befreien – und zu Subjekten ihres Lernens werden zu lassen. Schüler werden dort als kleine Forscher gesehen, die ihren Wissenserwerb, ihre Kompetenzfortschritte und ihre Lernprojekte selbst mitsteuern sollen. Dieser neue Lernstil hat einen Namen, er heißt individuelles und selbständiges Lernen. …

Da haben wir’s! Unabhängig davon, ob wir diesen Lernstil neu oder uralt nennen, ob wir ihn binnendifferenzierten Unterricht nennen oder in die alte Spruchweisheit Docendo discimusDurch Lehren lernen wir – kleiden: Immer geht es darum, dass die Lernenden in die Freiheit des selbstständigen Fragens, Redens und Widerredens hinein entlassen werden.

Letzte Frage: Was kostet das? Antwort: Diese neue, uralte Art des Lernens ist viel billiger als der einseitige Frontalunterricht, weil sie weniger Räumlichkeiten erfordert, weil die Lernenden weniger Betreuung brauchen, weil insgesamt weniger „angeboten“ und mehr „verlangt“ wird. Ein üppiges Medienangebot ist ebenfalls nicht nötig.

Die entscheidenden Arbeitsmittel sind: geschriebene Texte, also Bücher und Hefte. Ferner: der eigene Kopf. Weitere Arbeitsmittel: Schreibwerkzeuge, also Papier und Stift. Wichtigste Techniken des Arbeitens: Vorlesen, Lesen, Einprägen, Erinnern, Schreiben, Zuhören, Sprechen, Fragen, Antworten. Wichtigste Grundhaltung: Aufmerken – Mitmachen – Selbermachen. Die neue Schule ist nicht teuer. Sie ist arm und sie soll arm sein. Mindestens in den Augen der heute allesamt sehr reichen Schüler mit ihrem vielfältigen Zerstreuungsangebot: Handys, Internet, I-Pod. Die heutigen deutschen Schulen sind unvorstellbar reich und teuer im Vergleich zu den Schulen anderer Länder und anderer Zeiten, die mit wesentlich weniger Geld bessere Lern-Erfolge erzielten (etwa in der multiethnischen Sowjetunion).

Also – ja zur Judenschul, ja zur Akademie, ja zum binnendifferenzierten Unterricht! Meinem Lateinlehrer aus der sechsten Klasse, einem Benediktinerpater, danke ich noch heute. Denn er hat meine Neugierde für Latein geweckt und gepflegt – und auch für die Judenschul. Er hätte nicht in Zorn geraten müssen ob unseres Rabaukentums. Denn es steht geschrieben in Psalm 112: Wenn Schlimmes gehört wird, so braucht er sich nicht davor zu fürchten. 

 Posted by at 12:44
Apr 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: “Welche Schulformen werden benötigt?” und Unterrichtsqualität: “Wie soll gelehrt und gelernt werden?”

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett “Kind mit Migrationshintergrund” verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

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Apr 202009
 

Aus der frühen Bundesrepublik wird von einem Abgeordneten, dem Bundesinnenminister Hermann Höcherl,  berichtet, er habe sich beschwert, er könne doch nicht den ganzen Tag das Grundgesetz unter dem Arm tragen.

Ich meine: Doch, du kannst das – es passt auf jeden Speicherstick!

Soll man eine neue Verfassung ausarbeiten, wie Müntefering angeregt hat? Ich meine: Nein, erst einmal sollte man die Zustimmung zum Grundgesetz erhöhen, es stärker unter die Leute bringen und sich auf die Grundprinzipien der Gewaltentrennung besinnen. Warum nicht einmal die gesamte Parteingesetzgebung angehen und mehr direkte Einflussmöglichkeiten schaffen, etwa durch eine Änderung des Wahlrechts, wie Horst Köhler vorgeschlagen hat? Ich schlage eine Kommission „Wahlrechtsreform“ vor, unter Leitung eines ausgewiesenen Parteienkritikers, z.B. Franz Walter oder Hans Herbert von Arnim oder Roman Herzog. Ziel: Mehr Mitbestimmung der Bürger bei der Besetzung der Wahllisten, mehr Auswahlmöglichkeiten beim eigentlichen Wahlakt.

Eine neue Verfassung ist nicht nötig. Die stabilste, beste und erfolgreichste Demokratie der Welt, die USA, hat stets an ihren Gründungsdokumenten festgehalten – der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung mit den berühmten Zusätzen, den Amendments.

Merkwürdig: Auch Wahlkreiskandidatin Halina Wawzyniak scheint sich für dieses Grundgesetz erwärmen zu können. Sie weist den Vorschlag Münteferings ebenfalls mit folgenden Worten in ihrem Blog zurück:

Wahlkampfmanöver | Halina Wawzyniak
Also eine neue Verfassung. Warum jetzt? Ich finde ja, wer solche Projekte angeht, der sollte überlegen, was am Ende bei herauskommt. Eine Verfassung ohne Sozialstaatsgebot, ohne so etwas wie jetzt Artikel 14 und 15 wäre nicht besser als das Grundgesetz. Ich befürchte aber, genau das wird das Ergebnis sein. Deshalb dann doch lieber das Grundgesetz fortentwickeln, statt am Ende weniger zu haben als jetzt vorhanden ist.

 Posted by at 15:49
Apr 202009
 

Zu meiner großen Verblüffung musste ich am Wochenende feststellen, dass die ehemals ein klein bisschen linksradikale taz nunmehr das Thema „Verantwortung“ in allen Tonarten spielt.  Tönte dieser Begriff nicht stets aus dem anderen, dem konservativen Lager?Liegt hier ein Fall von rechtswidrigem Ideenklau vor? Betrachten wir das Thema doch auch einmal von der anderen Seite her!

Björn Böhning schreibt in seinem Blog:

Elterngeld und Teilzeitarbeit | Bjoern-Boehning.de
Das von der SPD entwickelte Elterngeld ist erfolgreich: es reduziert den Einkommensverlust im ersten Lebensjahr des Kindes, führt zu einem früheren Wiedereinstieg von Müttern und regt immerhin 16 % aller Väter zu einer beruflichen Auszeit von mindestens 2 Monaten an.

Hat er recht mit seiner Behauptung, die SPD habe das Elterngeld entwickelt? Meine Recherche ergibt: Das Elterngeld im heutigen Sinne haben einige skandinavische Länder als erste eingeführt – und zwar angeleitet durch die dortigen sozialdemokratischen Parteien. Der Grundgedanke „staatliche Unterstützung zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ klingt eher nach Sozialdemokratie, und die deutsche SPD warb im Wahlkampf 2005 damit. Die SPD hätte das Elterngeld unter Gerd Schröder schon lange vorher einführen können. Tatsächlich aber hat Ministerin von der Leyen von der CDU das Elterngeld mit Wirkung ab 01.01.2007 eingeführt. Durfte sie das? Oder hat sie im Bereich einer anderen Partei gewildert?

Ich meine ja, sie durfte! Keine Partei genießt Patentschutz auf sinnvolle sozialpolitische Ideen. Im Gegenteil, die Parteien sollten in einen friedlichen Wettstreit treten, wer die besten Ideen herausfiltert und zu seinen eigenen macht. Die politischen Konzepte sind frei – es kömmt darauf an sie umzusetzen.

 Posted by at 15:26
Apr 202009
 

Gestern erlaubte ich mir die Bemerkung, die CDU sei die Partei der „bildungsfernen Schichten“. Das war natürlich überspitzt, zumal es gerade unter den Spitzenleuten der Union viele Menschen mit Doktortitel gibt. Aber der Besuch des taz-Kongresses in den vergangenen zwei Tagen zeigte doch, dass die Musik der Akademiker heutzutage weitgehend außerhalb der Unionsparteien spielt. Immerhin war mit Wolfgang Schäuble ein namhafter Vertreter der Unionsparteien geladen, und die Reaktion im Saal habe ich so erfühlt: „Der Mann hat völlig recht, auch wenn er von der CDU ist.“ Aber die eigentlichen Debattenthemen kann die Union nicht setzen. Der Zentralbegriff der ganzen Veranstaltung war Verantwortung – eigentlich ein Kernbegriff der CDU/CSU. Auch hier hat sich die Union offenbar die Diskurshoheit abnehmen lassen. Die taz ist nunmehr – unter diesem Leitbild der Verantwortung – weder eine linke noch revolutionäre Zeitung mehr, das wissen sie auch längst. Der herausragend gut besetzte taz-Kongress spiegelte vielmehr den Hauptstrom des bürgerlich-gesitteten Tischgesprächs wider. Sie, die taz, ist eine Zeitung der Töchter und Söhne der bürgerlichen Mitte. Während die Väter und Mütter des bürgerlich-gesitteten Tischgeprächs die Nase weiterhin in Zeitungen wie etwa FAZ, Süddeutsche oder Berliner Zeitung  stecken.

Ganz wichtig: Die lokale Berliner CDU muss sich wegbewegen von einer Politik der heruntergezogenen Mundwinkel, von einer Politik des Ressentiments. Unter Ressentiment meine ich hier den Appell an negative Grundhaltungen, Haltungen der Mißgunst, des Neides, des Schlechtredens, der Verteufelung. Re-Sentiment – das heißt ja: Eine Re-Aktion in den Gefühlen auslösen, und zwar eine vorwiegend negativ besetzte Reaktion. Das Grau der Antipathie herrscht dann vor. In einem Ruf lässt sich diese Haltung zusammenfassen: „Tu nix – es bringt nix!“

Erfolgreiche Politik arbeitet mit Zuversicht, mit den bunten Farben der Sympathie und Ermutigung. Sie äußert sich in Aktionen, nicht in Reaktionen, also in positiven, nach vorne gerichteten Botschaften. In einem Grundwort: „Tu was – du kannst was!“

Hier noch ein empirischer Beleg aus der Morgenpost vom 17.04.2009 für meine gestrige Behauptung:

Berlin-Trend – SPD baut Vorsprung vor der CDU wieder aus – Berlin – Printarchiv – Berliner Morgenpost
Die Daten verdeutlichen einige gravierende Probleme der CDU. Die Partei kommt nicht nur im Ostteil schlecht an, sondern bei jüngeren Leuten generell. Erst in der Altersgruppe 45 bis 60 überspringt die CDU die 20-Prozent-Marke, bei der Generation 60 plus liegt sie dann mit 33 Prozent vorn. Entsprechend der Altersstruktur ihrer Wählerschaft liegt die CDU auch unter den Eltern schulpflichtiger Kinder mit 19 Prozent deutlich hinter SPD (25) und Grünen (22) zurück. Unschön für die CDU ist ein weiterer Befund. Unter den besser gebildeten Berlinern fällt die Union durch. Bei Menschen mit Abitur oder Fachhochschulreife, die die Mehrheit der vielen Zuzügler in die Stadt stellen, kommt die CDU gleichauf mit der Linken nur auf 18 Prozent. Bei den Hochgebildeten rangiert abermals die SPD mit 25 vor den Grünen mit 24 Prozent.

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Apr 192009
 

19042009002.jpg Der Kongress 30 Jahre taz hat meine Erwartungen weit übertroffen. Ich habe gestern 5 Stunden lang des Programm verfolgt, heute noch einmal 4 Stunden. Wo auch immer ich hineinschneite: Es tat sich was. Alle Lesungen, Gespräche und Plaudereien haben mich bereichert. Dies galt auch für das Gespäch zwischen Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin: „Wer hat Angst vor Schwarz-Grün?“ Weit entfernt von billiger Effekthascherei, gelang es vor allem Wolfgang Schäuble, die grundlegenden Funktionsmechansimen von Koalitionsregierungen zu erklären. Trittin musste ihm in allen wesentlichen Punkten zustimmen. Koalitionen sind keine Liebesheiraten, sondern „Zweckbündnisse zwischen Gegnern, die sich davon Vorteile versprechen“ (Trittin). „Große Koalitionen sind gewissermaßen Kartelle zwischen den Hauptteilnehmern des Wettbewerbs. Sie laufen der Wettbewerbsdemokratie zuwider, da sie das Wesen der Demokratie, nämlich das streitige Aushandeln der besten möglichen Lösungen, unterlaufen“ (so sinngemäß Schäuble). Eingeleitet durch einen kabarettistisch gewürzten, aber im Sachlichen brillanten Analyseversuch des Parteienforschers Franz Walter, entspann sich eine dialogdemokratische Sternstunde. Kernaussagen: Die Grünen sind heute die Partei der Akademiker, der Besserverdienenden, der Jüngeren. Die Union ist um so stärker, je niedriger der Bildungsabschluss und je höher das Alter liegen. (Dies hat übrigens auch die letzte Umfrage gerade für das Bundesland Berlin ergeben.) Die Unionsparteien sind heute gewissermaßen die Partei der bildungsfernen Schichten geworden. Insofern passen die beiden Parteien komplementär zusammen, zumal bei den Anhängern sich in Einzelfragen erstaunliche Übereinstimmungen ergeben.

Keine Ellenbogenschläge, kein Gezänk, sondern respektvolle, mitunter humorvolle Anerkennung des Anderen – das zeichnete sowohl Schäuble als auch Trittin aus. Ich habe selten einen aktiven Politiker so unverstellt über Funktionsmechanismen der Macht und über die Wirkweisen der öffentlichen Kommunikation reden hören wie Wolfgang Schäuble heute im Haus der Kulturen der Welt.

In der Aussprache meldete ich mich zu Wort: „Wäre es nicht an der Zeit, dass die Partei der Töchter und Söhne, also die Grünen, sich mit der Partei der alten Väter, also der CDU, aussöhnte?“ Ich glaubte damit zu provozieren, denn wenn man meine Behauptung so hinnähme, hätte man zugegeben, dass ein im Grunde psychologisches Motiv wie der Generationenkonflikt letztlich die Auseinandersetzung zwischen den „Altparteien“ und den Grünen wesentlich bestimmte. Ich bin übrigens tatsächlich dieser Auffassung: Die Grünen sind eine Partei, die sich im wesentlichen als Partei der Töchter und Söhne sieht. Und deshalb erwartete ich Widerspruch. Doch weit gefehlt! Jürgen Trittin stimmte mir ausdrücklich zu und führte aus: „Wir haben dieses Muster geradezu klassisch bei der bayerischen Sozialministerin Stamm und ihrer Tochter, die für die Grünen im Landtag sitzt. – Politisch bleibt es dabei:  Wir Grünen bleiben widerborstig – ich wäre vorsichtig mit der Versöhnung“ (Zitat sinngemäß).

Der Trialog zwischen Franz Walter, Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin ist das beste, was ich seit sehr langer Zeit an politischer Rede und Gegenrede erlebt habe! Sensationell gut!  Sollte die Veranstaltung  als Mitschnitt im Netz verfügbar sein, so empfehle ich mit Nachdruck das genaue Studium.

Übrigens habe ich selbst eine Art persönliches Fazit des taz-Kongresses öffentlich gemacht und in die Form der oben wiedergegebenen Frage gekleidet.

Die taz ist 30 Jahre alt geworden, also erwachsen. Ich hörte keinen anderen Leitbegriff so oft, wie diesen: Verantwortung. Es ging nie um Protest, nie um mehr Freiheit, sondern um Verantwortung, um neue Gemeinsamkeiten, Chancengerechtigkeit und ähnliche Grundworte der klassischen Ethik. „We must hold everybody accountable for what they do.“ So Richard Sennett gestern vor einem hingerissen lauschenden Publikum.

Ich dachte oft und oft:

„Mann, taz, wie haste dir verändert!“

Die Auswertung und Nachbereitung dieses taz-Kongresses wird sich in diesem Blog noch einige Tage hinziehen – zu viel Grundlegendes konnte ich an Einsichten gewinnen.

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Apr 182009
 

18042009007.jpg Heißes Wasser über die Köpfe der Gegner – so kennzeichnet der Prophet in Sure 22 die Grundhaltung des Streits.

Von Streit und unversöhnlichen Gegensätzen war die Podiumsdiskussion zwischen Necla Kelek und Tariq Ramadan auf dem heutigen taz-Kongress 2009 „30 Jahre taz“  gekennzeichnet.

Tariq Ramadan malte mit kräftigem Strich seine  Vorstellung eines aufgeklärten, fragenden, weltoffenen Islam. Überall in Europa bewegten sich die Muslime zu neuen Ufern hin. Ein neues Schriftverständnis breche sich Bahn, der Koran werde als etwas gesehen, was kontextualisiert werden müsse.

Ich fand, Tariq Ramadan zeichnete eine freundliche Vision, wie sich ein aufgeklärter Islam in Europa entwickeln könnte. Aber ich glaube: Vorerst sind davon keine echten Anzeichen zu erkennen, wie wir hier in Berlin eingestehen müssen. Ramadan glaubt an die Gestaltungskraft von Sozialpolitik. Allerdings kann er nicht erklären, weshalb die deutschen Familien Reißaus vor den türkischen und arabischen Schulkindern nehmen, wenn doch die Türken und Araber sich so bereitwillig als aufgeklärte Europäer sehen, wie er wähnt. Er glaubt an den Wandel.

Necla Kelek ging von der Beharrungskraft des im Grunde zutiefst konservativen Islam aus. Sie nahm den Ist-Zustand auf, und der sei nun einmal hier in Deutschland durch eine sich abschottende türkische und arabische Gemeinde gekennzeichnet. Besonders die Migrantenverbände seien letztlich von muslimischen Ländern aus gesteuert und finanziert. Die deutsche Gesellschaft werde durch einen kämpferischen, missionarischen Islam zielgerichtet unterwandert, bereits jetzt stünden den Muslimen genauso viele Moscheeräume zur Verfügung wie es Kirchen gebe. Im Islam sei individuelle Freiheit nicht möglich. Dies zeige sich daran, dass die Eltern es nie zuließen, wenn sich ein Kind vom Islam lossagen wolle.

Kelek und Ramadan bezichtigten einander wechselseitig der bewussten Entstellung, der bewussten Propaganda. Hier vermisste ich eine Grundhaltung des gegenseitigen Wohlwollens, wie sie doch angeblich für den Islam kennzeichnend sein soll.  Ein echtes Gespräch war unter diesen entgegengesetzten Vorzeichen nicht möglich, und die Moderatoren sahen ihre Aufgabe nicht darin, die beiden auf mögliche Gemeinsamkeiten hinzuführen. Ganz abgesehen davon, dass natürlich die Deutschen im Saal erkennbar kaum Erfahrungen mit Muslimen hatten und haben – wie sollten sie auch? Die Muslime leben in Deutschland weitgehend in ihrer eigenen, von außen nicht durchschaubaren Welt.

Die Fragen des Publikums waren ebenfalls emotional aufgewühlt: Eine deutsche Muslima beschuldigte beispielsweise Kelek, mit groben Falschaussagen ein verzerrtes Bild des Islam zu zeichnen. Ich selbst versuchte, die Wogen zu glätten, indem ich fragte: „Ich erlebe sich immer stärker abschottende Familien. Die muslimische Kindermehrheit und die wenigen deutschen Kinder driften immer mehr auseinander. Wie kann man das ändern?“Ramadan antwortete: „Da ist die Sozialpolitik gefragt.“ Nachher plauderte ich noch mit ihm. Ich bedankte mich für die Antwort, fügte aber offen hinzu: „Es wäre schön, wenn die Schüler sich mischen würden. Aber ich habe den Glauben an die Sozialpolitik nicht mehr. Wir brauchen einen neuen Geist.“

Es war eine Veranstaltung, in der die Luft flirrte und die Köpfe heiß liefen. Meine wichtigste Beobachtung: Die Deutschen haben eigentlich keine Ahnung von dem, was Islam bedeutet, und deshalb sind wir kaum imstande, den Wahrheitsgehalt von Keleks und Ramadans Äußerungen zu überprüfen. Wir sind auf das angewiesen, was einige wenige Muslime sagen und was wir beobachten. Wir tappen im Dunkeln. Schaut auf das Bild: Dort seht ihr eine große weiße unbeschriebene Leinwand. Das ist unser Bild vom Islam.

 Posted by at 23:30

Presseerklärung des TBB im Original

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Apr 182009
 

Ich versäume nicht, die Presseerklärung des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg hier im unveränderten Original einzurücken. Sie hat mich heute nacht erreicht.

FÜR GEGENSEITIGES VERSTÄNDNIS UND GEGENSEITIGE ANERKENNUNG – FÜR PRO ETHIK

 

Der Sprecher des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB), Safter Çınar, erläuterte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Türkischen Elternverein Berlin-Brandenburg und dem Kulturzentrum Anatolischer Aleviten, die Gründe für die Ablehnung der Initiative Pro Reli:

 

Berlin ist eine multikulturelle Stadt mit Menschen aus über 170 Herkunftsnationen mit sehr unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Die Gewährleistung eines respektvollen Zusammenlebens ist eine der vordringlichsten Aufgaben der Schulen.

 

Welchen Beitrag ein Pflichtfach Ethik hierzu leisten kann, hat das Bundesverfassungs­gericht in seinem Beschluss vom 15.3.2007 (‚Einführung des Ethikunterrichts in Berlin als Pflichtfach verfassungsgemäߑ) eindrucksvoll begründet:

 

“Die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog ist eine Grundvoraussetzung nicht nur für die spätere Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess, sondern auch für ein gedeihliches Zusammenleben in wechselseitigem Respekt vor den Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen anderer.“

 

Dieser Bildungsauftrag kann und darf nicht zur Disposition stehen und dürfte eigentlich auch von den Befürwortern von Pro Reli nicht infrage gestellt werden. Umso bedauerlicher ist es, dass sie den unrichtigen Eindruck zu erwecken versuchen, der Religionsunterricht solle aus der Schule verbannt werden.

 

Die Regelung des Artikel 141 GG (Religionsunterricht als freiwilliges Fach) hat sich ein halbes Jahrhundert lang bewährt. Hierdurch ist auch eine religiöse Erziehung gewährleistet, deshalb sollte der jetzige Zustand beibehalten werden.

 

In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass die Erteilung eines Islamischen Religionsunterrichts durch die sog. Islamische Föderation weiterhin auf Bedenken stößt. Deshalb ist die Senatsbildungsverwaltung aufgefordert, den vom TBB 1998 unterbreiteten Vorschlag der Einführung eines freiwilligen Faches „Islamkunde“ wieder aufzunehmen.

 

Der TBB bittet alle Wahlberechtigten türkischer Herkunft, am 26.4. an der Volksabstimmung teilzunehmen und mit NEIN zu stimmen.

 Posted by at 12:08
Apr 182009
 

Wie von mir schon oft beklagt, kommen von den Hunderttausenden von Muslimen, von den Türken, Arabern und Bosniern fast keine Äußerungen zu den politischen Vorgängen in unserer Stadt. Selbst zu Pro Reli erkenne ich nur ein dürftiges Rinnsal von Stellungnahmen, ein Rinnsal, das zudem in unterschiedliche Richtungen fließt.

Das sollte niemanden wundern.

Geprägt durch ein jahrzehntelanges propagandistisches Trommeln der Kemalisten, durch gewaltsame Türkisierung oder Vertreibung der Minderheiten,  eingetrichtert durch die säkularen Eliten der Republik, sehen die Türken in Deutschland sich zuerst als Türken (oder Kurden oder etwa Tataren), erst dann als Muslime, Christen, Jeziden was auch immer – oder auch ohne Bekenntnis.  Sie sehen schlicht keinen Anlass, über ihren Glauben mit der Bürgergesellschaft zu diskutieren. Das Wichtigste ist, dass es der Familie insgesamt gut geht. Und das ist ja auch meist der Fall. Alles andere tritt dahinter völlig zurück.

Pro Reli kann weder zum Christentum noch zum Islam und schon gar nicht zum Judentum irgendeine, auch nur die allergeringste sachhaltige Aussage machen, die irgendeinen Verächter der Religion hinter dem Ofen hervorlocken könnte.  Pro Reli hat es durch haltlose Behauptungen geschafft, die Religionsgegner zusammenzutreiben. Was für ein erbärmliches Schauspiel! Was für ein Missbrauch des Wortes Freiheit! Damit ist der Schlüsselbegriff „Freiheit“ über Jahre hinaus in unserer Stadt Berlin verbrannt. Weder CDU noch FDP werden in den nächsten Kampagnen auf das Wort Freiheit setzen können.

Das ganze Desaster von Pro Reli enthüllt sich in den folgenden schmallippigen Verlautbarungen der türkischen und muslimischen Verbände. Man lese diese Äußerungen bitte Wort für Wort, recht langsam, ehe sie auch schon wieder vorbei sind.

Hintergrund – Das sagen die islamischen Verbände zu Pro Reli – Berlin – Berliner Morgenpost
Türkischer Bund
Berlin Der Türkische Bund hat sich gestern gemeinsam mit den Aleviten gegen Pro Reli und für die Beibehaltung der jetzigen Regelung ausgesprochen. Gleichzeitig äußert der TBB aber auch Bedenken gegenüber dem jetzt von der Islamischen Förderation angebotenen Islamunterricht und fordert den Senat auf, in Eigenregie das freiwillige Fach Islamkunde einzuführen.
Islamische Föderation
Die Föderation will keine Stellung zum Gesetzentwurf nehmen. Rechtliche Konsequenzen seien noch nicht abschließend geklärt, so die Begründung.
Ditib
Die Türkisch-Islamische Union untersteht der Aufsicht des türkischen Staats und unterstützt die Forderung nach einem Wahlpflichtfach Religion. flo

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Apr 172009
 

Ich bin natürlich ein Produkt meiner Zeit und der westlichen Moderne, ich bin ein Stiefkind der Aufklärung. Der dekadente Punkt ist, dass mich in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen vor allem interessiert, daraus Kunst zu machen.“ So äußert sich Feridun Zaimoglu in einem Interview im neuesten Magazin tip Berlin 09/2009, S. 50, unter dem Titel: „Wo gärt das Böse?“ Allein schon deswegen musste ich mir Karten für morgen abend bestellen. Dann wird Zaimoglus neues Theaterstück „Nathan Messias“ unter der Regie von Neco Celik im Ballhaus Naunystraße aufgeführt. Ich bin selbst dort schon mehrfach mit der Geige aufgetreten – wie mag es sich seither verändert haben? Ich werde euch von der Aufführung berichten! Mir gefällt, dass endlich einmal jemand persönlich angeben kann, was ihn an den orientalischen Religionen Islam, Christentum und Judentum fasziniert! Pro-Reli-Unterstützer  – bitte hinschauen, gucken!

Das Foto oben zeigt die Knabenschule Bismarcks, die Plamannsche Anstalt, aufgenommen heute in der Stresemannstraße.

Als normales Produkt unseres staatlichen Unterrichts verließ ich 1832  die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte.“

An diesem Anfang der „Gedanken und Erinnerungen“ Otto von Bismarcks gefällt mir, wie nüchtern er seine Bedingtheit einschätzt. Er sagt: Als junger Mann teilte ich die wesentlichen Überzeugungen, die man im Laufe der Jugend einfach so erwirbt. Und so erwarb Bismarck auch sein Nationalgefühl und wurde vorübergehend Anhänger der deutschnationalen, demokratischen Burschenschaften. Sein knochentrockenes Verdikt: „Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Bildung.“ Großartig, dieser Schriftsteller! Seine kleinen Boshaftigkeiten beweisen, dass er weitergedacht hat, dass er – nicht anders als Zaimoglu – die Fähigkeit und Ehrlichkeit aufbrachte, über die Determiniertheit, die sich der Erziehung schuldet, hinauszugehen.

Wir sind – einerseits – schlicht ein Produkt unserer Erziehung und unserer Zeit. Das wird niemand leugnen können. Aber andererseits besitzen wir die Freiheit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Zaimoglu und Bismarck haben dies getan. Und dadurch wird die Sache so spannend.

Heute nahm ich an einer Führung der CDU durch Kreuzberg West teil. Der Herr Sielaff, durchtränkt mit Wissen über seinen alten Bezirk, zeigte uns das Haus, in dem einst die Plamannsche Anstalt untergebracht war. Dort ward Bismarck vom sechsten bis zum zwölften Jahre erzogen und genoß auch die turnerische Vorschule mit Jahnschen Traditionen. Mir fiel gleich der Anfang der Bismarckschen Autobiographie ein, und ich rezitierte ihn, wo nicht wort-, so doch sinngetreu. Und ich schloss keck an: „Auch wenn ich Demokrat und Republikaner bin: Die erste Seite von Bismarcks Lebenserinnerungen sollte jeder Politiker lesen!““Aber dafür haben die Politiker keine Zeit“, scholl es mir entgegen.

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Wie auch immer –  unser Viertel birgt so mancherlei kostbare Spuren – unter anderem auch das Wohnhaus von Konrad Zuse, in welchem der Erfinder des ersten funktionsfähigen Computers wohnte. War er auch nur ein Produkt Kreuzbergs? Oder hatte er die Kraft, der Welt mehr zu zeigen als das Produkt der Umstände, die ihn gemacht hatten?

 Posted by at 23:26

„Die Philosophie läßt alles, wie es ist.“ Und die Politik?

 Gute Grundschulen  Kommentare deaktiviert für „Die Philosophie läßt alles, wie es ist.“ Und die Politik?
Apr 172009
 

Ein im besten Sinne bescheidener, mir höchst sympathischer Philosoph ist Ludwig Wittgenstein. „Die Philosophie lässt alles, wie es ist.“ „Ein philosophisches Problem hat die Form: Ich kenne mich nicht aus.“

Wie oft würde ich in politische Diskussionen gerne diese Sätze werfen: „Die Politik läßt zunächst einmal alles, wie es ist.“ „Ein politisches Problem hat die Form: Wir kennen uns nicht aus.“

Was meine ich damit? Die aktuelle Debatte über die Hamburger und Berliner Schulpolitik  mag als Beispiel dienen: Während einige Parteien einer größeren Vereinheitlichung das Wort reden, einer Abschaffung  des gestaffelten und gegliederten Schulwesens, reden andere Parteien einer Neustrukturierung von Hauptschule und Realschule unter Beibehaltung des Gymnasiums das Wort. In jedem Falle aber wollen die Parteien etwas machen. „Wir müssen die Strukturen ändern. So kann es nicht weitergehen.“ Keine Partei behauptet zutreffend von sich: „Wir kennen uns nicht aus. Und deshalb lassen wir alles, wie es ist.“

Was schlage ich vor? Ich persönlich nutze jede Gelegenheit, um mit Lehrern, Fachleuten aus der Bildungsverwaltung, mit Eltern und Schülern ins Gespräch zu kommen – oder ihnen zuzuhören. Nicht die großen Programmatiker, die meinungsbildenden Politiker sind es, nach denen ich mich richte, sondern die mittlere Ebene, die Fachebene. Mein Ergebnis: Wie so oft, läuft die öffentlich-erregte Debatte windschief zu den Erkenntnissen der „mittleren Ebenen“ – also der tausenden und abertausenden an Schulleitern, Schulräten und Elternsprechern, die den besten Einblick haben.

Ihnen ist es nach meinen Eindrücken recht egal, in welcher Schulform sie sich bewegen – solange das Klima stimmt, solange sinnvolles Lernen möglich ist, besteht kein Anlass, „die Welt zu verändern“. Und wenn kein sinnvolles Lernen möglich ist – dann liegt der Grund dafür nicht in der gegenwärtigen Verfasstheit unseres Bildungswesens. Die Parteien hingegen suchen sich häufig durch programmatische Aussagen ein Profil zu geben. Durch Reformvorschläge – und ebenso durch den Widerstand gegen Reformvorschläge und das Vorlegen eigener Reformvorschläge – erzeugen sie den Anschein, die Welt erklären und verändern zu können. Ein kurzer Ausschnitt aus der guten taz mag dies beleuchten:

Politologe Greven über Schwarz-Grün: „Frieden zu Lasten der SPD“ – taz.de
Ist die Schulpolitik ein weiteres Thema, von dem die GAL profitiert und das der CDU zu schaffen macht?

Erstaunlicherweise ja. Die GAL mit ihrer bildungspolitischen Programmatik in Richtung Einheitsschule, hat eine Wählerbasis, in der die Anhänger des Gymnasiums weit verbreitet sind. Das müsste für sie eigentlich ein Problem sein. Aber hier kann die Konfliktphase noch kommen. Die Dezentralisierung der Umsetzung über die Schulkonferenzen, ist eine geschickte Verlagerung des Konfliktniveaus von der Senatsebene auf eine dezentrale Ebene, doch die Probleme der Umsetzung der schulpolitischen Reformen werden wieder in die Fraktionen und den Senat zurückgespült werden. Hier gibt es nach wie vor eine konfliktträchtige Situation in den regierenden Parteien und zwischen ihnen.

Ich meine: Solange die Gründe für das Scheitern von Bildungskarrieren so eindeutig außerhalb des Schulwesens zu suchen sind – sollte man an den äußeren Strukturen der Schulen wenig ändern. Dies gilt natürlich vor allem für die fälschlich als Kinder mit Migrationshintergrund bezeichneten Schüler.

Die Politik lasse zunächst einmal alles, wie es ist. Das klingt resignativ, ist es aber nicht. Resignieren wird man, wenn sich die Lage an den Schulen trotz all des Bosselns und Werkelns nicht verbessert. Verbessern lässt sich die Lage, indem man die Lage der einzelnen Kinder in den Familien verbessert, nicht durch noch mehr Geld, sondern durch Aufklärung, durch Patenschaften und Partnerschaften, nötigenfalls aber auch durch Druck und Zwang.

 Posted by at 10:55