Jun 102009
 

Ein flüchtiger Blick in die heutige Berliner Zeitung liefert frisches Futter für die Methodenlehre der EU-weit agierenden organisierten Kriminalität (OK). Unter dem Titel „Ermittlung unerwünscht“ berichtet das Blatt (dessen Redaktion ehedem von der Stasi unterwandert war) auf S. 3 über den sogenannten Sachsensumpf. Die OK scheint sich in Sachsen einige gut eingewurzelte Netzwerke geschaffen zu haben. Alte Bekannte halten in Treuen fest zusammen, Wende hin, Wende her!

 

„Alles erstunken und erlogen“, so kommentierte der sächsische Innenminister Buttolo die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über ein dichtgewebtes Netzwerk von Richtern, Staatsanwälten, Kommunalbeamten und Kriminellen. Anders als Buttolo äußert sich der Kölner Rechtsanwalt Ulrich Sommer, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Strafrecht im Deutschen Anwaltsverein: „Wie hier in Sachsen versucht wird, mit staatlicher Macht Einfluss auf juristische Verfahren zu nehmen, das ist in Deutschland neu und unüblich. Um es einmal zurückhaltend auszudrücken.“

 

Richtig, Herr Sommer! In Deutschland noch unüblich. In Italien aber ist so etwas üblich. In Italien, namentlich im Kampanien der Camorra ist es auch durchaus gang und gäbe, potenzielle Abweichler und Aussteiger durch Streck- und Streifschüsse einzuschüchtern. Gambizzare nennt sich das. Wie schön klingt doch alles Hässliche im Italienischen! Doch genau diese Methode kommt nun auch in Sachsen zum Einsatz: Ein Leipziger Verwaltungsbeamter, der für dubiose Immobiliendeals zuständig war, wurde im Oktober 1994 durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Gefährliche Körperverletzung oder versuchter Mord? Das Gericht erkannte auf letzteres. Ich tippe eher auf die klassische „Warnung“, also auf einen diskreten Hinweis: „Halt das Maul, sonst … !“ Der Tod des Opfers ist bei solchen Angriffen allerdings in der Regel nicht beabsichtigt. Im Gegenteil. Das Opfer muss weiterleben, um den maximalen Effekt der Einschüchterung zu erzielen. Eine gerichtsfest nachweisbare Ermordung ist in der Gewinn- und Verlustrechnung der kriminellen Netzwerke stets nur die ultima ratio.

 

Unsere Methodenlehre ergibt also vorerst: Nach der Wende konnten sich die Einschüchterungsmethoden der Camorra in Sachsen festsetzen – damals noch ein Novum für Deutschland.

 

Kein Novum ist es dagegen, wenn der brandenburgische Innenminister Schönbohm berichtet: „Noch nie habe ich so viele anonyme Briefe bekommen, wie in Brandenburg. Die Leute sagen, sie hätten immer noch Angst, sich offen zu äußern. Ich will ihnen die Sicherheit geben, dass sie in einem Rechtsstaat leben.“ Dies berichtet die Berliner Zeitung heute auf S. 20. Die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter der Polizei sollen noch einmal überprüft werden. Grund: Stasi-Mitarbeiter hatten damals, Anfang der 90-er Jahre, Stasi-Mitarbeiter, also sich selbst, überprüft und durften entscheiden, ob sie selbst und ihre Bekannten belastet oder unbelastet waren.

 

„Immer noch Angst“, Unsicherheit, ob man in einem Rechtsstaat lebt? Angst vor der Einschüchterung durch den deutschen Staatssicherheitsdienst? Ist die deutsche Stasi nicht aufgelöst worden? Nun, als staatliche Organisation gibt es das MfS sicherlich nicht mehr. Aber – wie oben schon gesagt: Alte Bekannte halten in Treuen fest zusammen, Wende hin, Wende her. Kriminelle Netzwerke überdauern den Systemwechsel. Wer das jetzt immer noch leugnet, der will offenbar nicht wissen.

Dass die Leute sich überhaupt noch an den Innenminister wenden, ist immerhin schon gut! Es zeigt, dass der Rechtsstaat noch nicht für ohnmächtig gehalten wird. Diese Schlacht ist also noch nicht verloren.

Ermittlung unerwünscht : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv

 Posted by at 22:59

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