Jul 212009
 

Kaum jemand weiß, dass nicht das Neue Deutschland, sondern dieJunge Welt die am meisten verbreitete Tageszeitung der DDR gewesen ist. Während das Neue Deutschland 1989 noch etwa 1 Million Auflage hatte, brachte es die Junge Welt, das Organ der FDJ, auf etwa 1,5 Millionen. Beide Zeitungen erscheinen noch heute und liefern weiterhin wie in einem Teleskop einen verlässlichen Einblick in die konservative, dogmatisch-linientreue Lesart der Zeitgeschichte. Ich vermute: Viele, wenn auch nicht alle Artikel hätten so oder so ähnlich auch in der DDR erscheinen können. Einen wertvollen begriffsgeschichtlichen Hinweis liefert heute in der Jungen Welt der Verfasser Ludwig Elm:

Nicht zuletzt mit Rücksicht auf beträchtliche Teile der Anhänger- und Wählerschaft der Mitte-Rechts-Koalitionen im Bund und in einigen Ländern wurden im Sprachgebrauch der Bundesrepublik die Selbstbezeichnungen der Nazis für ihr verbrecherisches Regime umstandslos beibehalten: »Nationalisozialismus«/»Drittes Reich«.

via 22.07.2009: Deutsche Kontinuitäten (Tageszeitung junge Welt).

Bei den Demonstrationen in Friedrichshain-Kreuzberg wird stets voller Inbrunst gegen die Faschisten zu Felde gezogen. Poveri italiani, denke ich oft! Müssen die armen Italiener denn alles ausbaden? Was liegt an diesem Wort?

In der Tat: Die Selbstbezeichnung der deutschen Nationalsozialisten war – Nationalsozalisten. Sollte man ihnen  den selbstgewählten Namen absprechen?

Immer wieder beklagt man, dass ganze Völker und auch  wichtige politische Richtungen durch die Sieger ihrer Selbstbezeichnung beraubt würden. Dass ganze Gruppen nicht mehr ihren eigenen, selbstgewählten Namen tragen dürfen, wird als Diskriminierung empfunden.  Deshalb spricht man heute auch nicht mehr von Zigeunern (also „Unberührbaren“), sondern von Sinti und Roma (Menschen). So sollte man heute nicht mehr von Eskimo (also verächtlich „Rohfleischessern“) sprechen, sondern von Inuit (also Menschen). Die Indianer nennen sich nicht mehr Red Indians sondern First Nation People. Die selbstgewählte Bezeichnung genießt Vorrang vor Fremdbezeichnungen.

Was für Völker gilt, sollte auch für politische Bewegungen gelten! Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 wurde innerhalb der kommunistischen Bewegung in einem gewaltigen Kraftakt die Selbstbezeichnung der deutschen Nationalsozialisten aus dem Sprachgebrauch getilgt und durch die italienische Bezeichnung Faschisten ersetzt. Faschismus galt fortan als notwendige Spätform der Kapitalismus, auf den früher oder später der Sozialismus folgen müsse.

Die Herkunft sowohl des italienischen Faschismus wie des deutschen Natianalsozialismus aus der Gedankenwelt des Sozialismus wurde systematisch unterschlagen. Dabei war Mussolini selbst einige Jahre lang Mitglied der Sozialistischen Partei Italiens gewesen, sagte sich aber von den Sozialisten los, weil sie die nationale Begeisterung nach dem Seitenwechsel im Großen Krieg nicht mittragen wollten.  Hitlers Spießgesellen wählten den Namen NSDAP – National-Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei (bis 1920 nur DAP Deutsche Arbeiterpartei) – mit vollem Bedacht. Sie wollten eine echte, allerdings nationalistische Alternative zum Internationalismus der sozialistischen Bewegung schaffen. Sie traten dabei in einen Wettstreit mit ihren ärgsten Rivalen: den Kommunisten. Wie die Kommunisten taten sie alles, um der verhassten Weimarer Republik einen schmählichen Untergang zu bereiten.

Die deutschen Nationalsozialisten setzten vom ersten Anfang an auf eindeutig verbrecherische Methoden: Störung und Sprengung von Veranstaltungen der Gegner, Hetze, Zersetzung, übelste Propaganda, Verleumdung, Verschwörung, Staatsstreich, Morde. Auch die Kommunisten waren ab 1917 in vielen europäischen Ländern bei ihren Methoden der Machtergreifung ebensowenig wählerisch. Die Revolution ist eben nicht mit Rosenwasser getauft – wie Rosa Luxemburg so treffend und hellsichtig vorausgesehen hatte.

Grundgedanke der nationalistischen Varianten des Sozialismus war: Weg von „Zuerst Klassenkampf, dann  Sozialismus!“ Hin zu „Zuerst Kampf der Nationen, dann eine Art Sozialismus“. Das war die Grundformel der Deutschen Arbeiterpartei, die sich höchst bewusst dann in Nationalsozialistische Arbeiterpartei umbenannte. Sie ersetzten also den absoluten Vorrang der Arbeiterklasse durch den absoluten Vorrang der Nation. Das Rezept ging auf: in Italien, in Deutschland, in Ungarn, in Polen, in den meisten europäischen Ländern außer Großbritannien kamen nach dem Großen Krieg nationalistisch-kollektivistische Regierungen an die Macht. Sie alle übernahmen wesentliche Bestandteile der sozialistischen Ideen und formulierten sie nationalistisch um.  Sie errichteten nationale Ein-Parteien-Diktaturen, die der sowjetischen Ein-Parteien-Diktatur in manchem verblüffend ähnlich waren.

Es ist interessant, wie die kommunistische Partei Russlands dieses Erfolgsrezept strategisch und auch sprachlich einige Jahre nachzuahmen versuchte, indem sie bis zum Überfall des Deutschen Reiches von Nationalbolschewismus sprach – in klarer Anlehnung an das siegreiche Rezept des Nationalsozialismus.

Die Sowjetunion war ab 1917 eine diktatorische Einparteienherrschaft, wie das sogenannte Dritte Reich auch. Wie das sogenannte Dritte Reich errichtete sie ein umfassendes System an Lagern und Zwangseinrichtungen. In diese Lager und Zwangseinrichtungen wurde Hunderttausende von echten und vermeintlichen Gegnern des Regimes gesteckt. Viele Hunderttausende überlebten die Strapazen nicht und starben in Lagern, Gefängnissen und Folterkellern.

Oft wird gesagt: „Die kommunistischen Staaten haben im Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschland keine Kriege vom Zaun gebrochen! Sie haben nicht Millionen und Millionen  von unschuldigen Opfern umgebracht.“ Beides stimmt nicht. Wie das Deutsche Reich, so überzog auch die Sowjetunion angrenzende Länder bereits vor 1941 mit verbrecherischen Angriffskriegen. Und die Geheimpolizeien der Sowjetunion, die Hinrichtungskommandos, das Lagersystem, die herbeigeführten Hungersnöte in der Ukraine, die Zwangsumsiedlungen haben sehr wohl Millionen und Millionen von zivilen Todesopfern hinterlassen. Die Strukturähnlichkeit zwischen Sowjetkommunismus und Nationalsozialismus lag allen Zeitgenossen klar vor Augen. Alles schien jedoch bis 1941 auf ein friedlich-schiedliches Auskommen der beiden Großdiktaturen hinauszulaufen.

Erst nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion änderten sich die militärischen und kommunikativen Strategien erheblich. Die Waffenbrüder Hitler und Stalin wurden von einem Tag auf den anderen erbitterte Feinde. Das verlangte eine völlige Revision der Sprache. Fortan war nicht mehr von Nationalsozialismus zu sprechen, sondern nur noch von Faschismus, Hitlerfaschismus, deutschem Nazifaschismus und ähnlicher Begriffskosmetik mehr.  Eine ganze Heerschar von Historikern wurde bestallt, um die Tragfähigkeit des Faschismusbegriffes zu beweisen. Dies alles geschah unter strikter Leugnung einiger wichtiger Tatsachen. Und auch zahlreiche Werke aus der Zeit vor 1941 wurden verbrannt.

In ihrem Buch „Mein Weg zur Freiheit“ berichtet Vera Lengsfeld sehr anschaulich, wie ganze Bibliotheken in den fünfziger Jahren gesäubert werden mussten:

„Ich musste die Bücher in das Heizhaus schaffen, wohin wir immer unser Altpapier brachten. Oberhalb der vier Öfen waren eiserne Stege gebaut, über die man zu den Feuerklappen gehen konnte. Man musste den Heizer rufen, der dann kam und alles in die Flammen schmiss. „

Der hier schreibende Blogger hatte das Glück, einige verbleibende Werke der genannten Diktatoren Mussolini, Lenin, Stalin, Hitler im Original und in den originalen Sprachen in Händen zu halten. Daneben konsultierte ich viele originale Zeitungen aus den 20er und 30er Jahren, bereiste Italien, Russland und Deutschland, sprach mit Überlebenden der drei Diktaturen (faschistisches Italien, Sowjetunion, nationalsozialistisches Deutschland). Ich steckte die Nase in so manches historische Werk, und so hat sich mir das hier dargelegte Geschichtsbild ergeben.

Ich glaube, die hier dargelegte Sicht der Dinge – so holzschnittartig sie sein mag – guten Gewissens vertreten zu können.

Ich meine also zusammenfassend: Ja, die Nationalsozialisten waren durchaus Sozialisten, aber eben nicht im Sinne der kommunistischen Internationale, sondern in ihrem eigenen, nationalistisch-kollektivistischen Sinne. Nicht erst Hannah Arendt, sondern bereits Mussolini, Lenin, Stalin und Hitler sprachen ausdrücklich und bejahend von diesem totalitären Politikansatz.

Ich behaupte: Die Selbstbezeichnung Nationalsozialisten sollte durchaus beibehalten werden. Sie entspringt nicht, wie in der Jungen Welt heute gemutmaßt, einem klammheimlichen Einverständnis mit dem verbrecherischen Regime des sogenannten Dritten Reiches. Sie gibt vielmehr das Selbstverständnis, die extreme Konkurrenz zu den Sozialisten der Internationale und auch die recht ähnlichen Methoden sowohl der internationalistischen wie der nationalistischen Sozialisten zutreffend wieder. Der italienische Faschismus, und nur dieser, sollte allerdings eigenem Wunsch folgend weiterhin Faschismus genannt werden. Seine Genese aus dem italienischen Sozialismus wäre ein lohnendes Forschungsgebiet.

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