Jul 262009
 

Gute Bestandsaufnahme der Bewusstseinslage im Tagesspiegel von heute durch Gerd Nowakowski. Die Probleme Berlins werden erkannt …

Kinder wagen
Zwar schneidet Berlin beim Punkt Vereinbarkeit von Beruf und Familie wegen des dichten Angebots von Kitaplätzen und Krippen gut ab, doch die sozialen Probleme wachsen. Wer sich in Berlin für Kinder entscheidet, ist keineswegs wirtschaftlich gesichert. Unter migrantischen Familien gibt es eine extrem hohe Arbeitslosigkeit; und auch akademisch gebildete Eltern leben vielfach in prekären Verhältnissen mit Kurzzeit-Jobs oder unterqualifizierten Tätigkeiten. Berlin, die Hauptstadt der Transferleistungen, hat ein Armutsproblem: Jeder fünfte Berliner und über ein Drittel aller Kinder in der Stadt leben von Hartz IV – da wächst eine Generation heran am Rande der Gesellschaft.

Die Armut spiegelt sich in maroden Schulen, Lehrermangel und unzureichenden Integrationsangeboten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit vertraut auf die Strahlkraft Berlins, doch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geht es kaum voran. Es fehlt der Anspruch und der unbedingte Wille, auch mal mehr als arm und sexy zu sein.

… und falsch benannt. Erneut der Fehler, das Leben von Hartz IV als „Armut“ oder als „am Rande“ zu bezeichnen. Wenn die Mehrheit eines Bezirks von Hartz IV lebt, steht sie nicht am Rande. Sie ist die Mitte. Sie ist auch nicht arm. Arm ist die Mehrheit der Menschen in Tschad, Eritrea und viele in Weißrussland. Nicht in Berlin. Hartz IV ist Mainstream geworden, ebenso wie das Klagen darüber.

Was die Lösungen angeht: Warum fordert niemand, dass diejenigen, die sich keine Chancen erarbeitet haben, selbst etwas für ihre Chancen tun können! Ich kann es nicht mehr hören, all das Gejammere über angeblich marode Schulen, fehlende Integrationsangebote, Lehrermangel usw. Das ist doch fast alles Unfug. Warum schaut ihr euch nicht bei uns Ausländern in Kreuzberg oder Neukölln um? Besucht uns doch bitte! Herr Nowakowski, die Schulen sind nicht marode. Dieses Denken ist marode, welches alle Schuld an allen Missständen immer den „Verhältnissen“, dem „Sozialsystem“, der Inländer- oder Ausländer-Diskriminierung, dem ewigen Migrantenstatus, dem Berliner Senat … zuschreibt. Die Liste der Instanzen, an die der Schwarze Peter weitergeschoben werden kann, ist endlos.

Sobald die Lehrer zum ersten Mal zu mir kommen und mir sagen: „Was ist los? Meine Schüler WOLLEN lernen. Sie fressen mir aus der Hand. Es geht voran!“, werde ich aufhören, mich über das Klagen zu beklagen.

Was uns hier in Berlin bitterlich fehlt, ist das Leitbild des selbstbewussten, selbstverantwortlichen, des freien Menschen. Es gibt einige dieser seltenen Gattung, auch in Berlin, auch unter Migranten. Sie haben Erfolg. Sie haben was gelernt. Aber sie stehen am Rande, weil sie nicht in den allgemeinen Jammerchor mit einstimmen.

 Posted by at 13:58

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