Sep 282009
 

Diesen Spruch hörte ich einmal von einem älteren Moslem an einen kleinen Jungen gerichtet, der  im Begriff war, etwas Unrechtes zu tun. Der Spruch wirkte. Ein guter Moslem darf nicht lügen! Die mehr oder minder bewusste Verpflichtung auf die sittlichen Gebote des Islam ist etwas, was man bei den allermeisten Jungen und Mädchen aus muslimischen Ländern hier in Berlin voraussetzen kann – und muss. Ob die Religion aktiv praktiziert wird, ob die fünf Gebote immer und überall  eingehalten werden, steht auf einem anderen Blatt. Aber dass fast alle  Jungen und Mädchen aus moslemischen Ländern – sofern sie nicht christlichen Minderheiten entstammen – sich eindeutig und ohne Zweifel zum Islam bekennen, das steht hier in Berlin fest. Die Jungen werden im Knabenalter, also etwa im Alter von 5 oder 6 Jahren, beschnitten, auch wenn einer der Ehepartner nichtmoslemischer Herkunft ist, und danach fühlen sie sich dem muslimischen Männlichkeitsbild ein Leben lang verbunden. Dies gilt auch dann, wenn sie selbst oder die Väter die islamische Religion ablehnen.

Die tiefe, unauslöschliche  kulturelle Prägung durch den Islam ist etwas, was für uns im Abendland kaum mehr vorstellbar ist. Nur wer wie ich in durch und durch katholischen Sippen aufgewachsen ist, die seit Jahrhunderten einen aktiven Katholizismus praktizieren, vermag sich ohne weiteres in eine derartige Geisteshaltung hineinzuversetzen. Ansonsten stoßen wirklich Welten aufeinander, die wenig oder nichts voneinander wissen. Zwei beliebige Beispiele für dieses Nichtverständnis! Der Tagesspiegel berichtet heute:

Muslimische Gebete am Gymnasium
Das Thema Schule und Religion hatte die Berliner erst vor wenigen Monaten beschäftigt, als die Initiative „Pro Reli“damit scheiterte, den Religionsunterricht als Wahlpflichtfach einzuführen. „Die Berliner wünschen sich ihre Schulen als religionsfreien Ort“, sagte Özcan Mutlu dem Tagesspiegel. „Ich hoffe, dass das Gericht sein Urteil aus dem Eilverfahren vom letzten Jahr revidiert. Die Schule ist ein neutraler Ort, an dem Kopftücher, Kreuze oder Gebetsräume nichts zu suchen haben.“

Wir erinnern uns: Die Berliner Initiative Pro Reli hatte damals kein einziges der wirklich brennenden Themen angepackt und war nicht zuletzt deshalb gescheitert.

Zweites Beispiel! In der Schule meines Sohnes – in die zu etwa 90% muslimische Kinder gehen – wird verpflichtend ein „Wörterbuch für die Grundschule“ vorgeschrieben. Ich blättere gerne darin, denn Wörterbücher sind eine meiner Leidenschaften wie das Geigespielen, die Politik, das Radfahren, das Schwimmen oder das Bloggen.  Heute fragte ich mich: Was ist eigentlich richtig: Muslim, Moslem, Muslima, die Muslime, die Musulmanen, die Mohammedaner  usw. Wie leicht tritt man da in ein Fettnäpfchen!

Ich schlug das Wörterbuch ABC-Freunde auf.  Ich entdecke den Eintrag der Christ, die Christen, christlich, Christus. Ich entdecke den Eintrag der Jude, die Juden, die Jüdin, jüdisch. Und so suche ich nach der Religion, die mit riesigem Abstand die häufigste an unserer staatlichen Schule ist – und ich finde – nichts. Weder der Moslem, noch die Muslima, noch die Muslime. Immerhin: die Moschee ist enthalten und wird sogar definiert als das Gotteshaus der Muslime. Dafür fehlt aber wiederum die Synagoge.

Aber kein moslemisches Kind kann hier nachschlagen, wie man seine prägende kulturelle Zugehörigkeit in gutem Deutsch schreibt. Das heißt: Ein so entscheidendes identitätsprägendes Merkmal, das für 50% aller Kinder in Berlins Grundschulden zutrifft, fehlt in dem Wörterbuch, das an eben diesen Schulen verwendet wird. Es kommt nicht vor. Zufall? Ich glaube nicht. Ich halte es für einen weiteren Beleg dafür, dass die akademischen Kräfte in der Kultusbürokratie, in den Verlagen immer noch nicht begriffen haben, wie grundlegend sich die Schülerschaft verändert hat. Ich halte es bezeichnend für die mich ungeheuer traurig stimmende geistig-geistliche Verwaisung der muslimischen Kinder in unserer Stadt. Sie wissen nicht, wo sie hingehören. Sie haben oft das Gefühl: „Wir kommen hier nicht vor.“ Ich füge hinzu: Nicht einmal in einem Wörterbuch für die Grundschule.

Hier muss dringend etwas getan werden. Wir haben ja nicht einmal so etwas wie eine Berliner Islamkonferenz auf Landesebene! Die Islamkonferenz auf Bundesebene war oder ist sicher ein mutiges, gutes Unterfangen – aber sie muss ergänzt werden durch aktives, meinethalben auch streitbeladenes Reden, Zanken, Sich-Versöhnen zwischen den großen Religionen Berlins. Hier, genau bei uns im Stadtstaat, am besten in Kreuzberg.

Hier noch abschließend der bibliographische Beleg:

ABC-Freunde. Wörterbuch für die Grundschule 1-4. Volk und Wissen,  1. Auflage, 7. Druck, Cornelsen Verlag Berlin 2007, vgl. hier besonders: S. 172

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