Okt 082009
 

„Rudi war der einzige Deutsche in der Glasfabrik. „Er ist der einzige Deutsche in der ganzen Umgebung“, sagte der Kürschner. „Anfangs haben die Rumänen sich gewundert, daß es nach Hitler immer noch Deutsche gibt. ‚Immer noch Deutsche‘, hatte die Sekretärin des Direktors gesagt, ‚immer noch Deutsche. Sogar in Rumänien.“

Die Manschettenknöpfe. Eine kleine bittere Prosa-Miniatur von Herta Müller. Bei Dussmann in der Friedrichstraße streife ich fuchsartig durch die Regale. Ich spüre das Buch Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt auf. „Wie haben Sie das geschafft?“, fragt mich ein Reporter vom Nicht-Ersten Deutschen Fernsehen. „Seit Jahrzehnten durchstreife ich die Weiten der Berliner Buchhandlungen“, so lautet meine listige Antwort. „Ich kenne die versteckten Winkel. Bei Herta Müller lernen wir, was es heißt, in der Diaspora zu leben. Sie hält die Fackel hoch. Sie verkörpert das leibhaftig Unselbstverständliche. Die Freiheit. Das gilt auch für ihre Sprache. Kein Wort in ihrer Prosa ist vorhersagbar. Vielmehr versuchen die Worte mühsam, einander die Hand zu reichen.“

Beim Nachhauseweg fällt mir ein, dass dieses Gefühl der Diaspora mich selbst immer häufiger befällt. Sogar in Deutschland. Ich beschließe, noch mehr von Herta Müller zu lesen! Aber ihren neuesten Roman Die Atemschaukel konnte ich heute nicht mehr erhalten.

Herta Müller: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Eine Erzählung. Hanser Verlag, München 2009, S. 44 (Erstauflage: 1986, Rotbuch Verlag)

 Posted by at 20:26

Sorry, the comment form is closed at this time.