Okt 272009
 

„Wir haben diese Regierung gewählt, jetzt müssen wir auch mit ihr leben.“ Meine Treue zu den gewählten Regierungen, mein staatsbürgerlicher Respekt vor den Regierungen in Bezirk, Land und Bund ist gleichermaßen unerschütterlich. Dabei kenne ich keine Parteien. Jede gewählte Regierung hat einen Anspruch darauf, nach ihrem Tun und Lassen beurteilt zu werden.

Mein erster Eindruck vom Koalitionsvertrag: eine Fülle an gut gemeinten Einzelmaßnahmen, sauber abgewogen zwischen den Interessen aller Beteiligten. Leider kein tragender Geist erkennbar. Bezeichnend: Gleich das erste Kapitel lautet „Wohlstand für alle“. Das ist exakt der Titel des Buches von Ludwig Erhard, das derzeit mit gutem Grund vergriffen ist. Denn als Erhard das großartige Buch schrieb, gab es nichts zu verteilen. Erhard meinte: Wenn der Staat die richtigen Bedingungen setzt, schaffen sich die Bürger ihren Wohlstand durch eigene Tüchtigkeit. Zu verteilen hatte Erhard nichts, und gerade deswegen funktionierten seine verblüffend einfachen Grundprinzipien. Er hatte wider die Mehrheitsmeinung gewettet – und seine Wette ging glanzvoll auf.

Wenn die neue Regierung erneut mit der „Wohlstand-für-alle-Verheißung“ antritt, kann sie dies nicht so wie Erhard meinen.  Denn jetzt gilt es vor allem eine riesige Schuldenlast zu verteilen – über die Bürger und über die Generationen hinweg. Dieser Zusammenhang tritt in dem Koalitionsvertrag nicht deutlich hervor. Es ist die große Wette, die die neue Regierung eingeht. Wird das Kalkül aufgehen? Schuldenabbau dank Wachstum bei gleichzeitiger Austeilung von Wohltaten? Es ist uns allen zu wünschen! Ich hege Zweifel, da ich im Koalitionsvertrag zu wenig Ausgabenkürzungen erkenne.

Mit großem Interesse habe ich die Teile im Koalitionsvertrag gelesen, die die Integrationspolitik betreffen (Kapitel III, Abschnitt 5). Mein Befund: Die Maßnahmen gehen in die richtige Richtung! Mindestens für Wohngegenden wie Kronberg/Taunus oder Pforzheim, also für solche gutsituierten Wohngegenden wie die, aus denen mutmaßlich die Verfasser des Koalitonsvertrages stammen. Es ist alles nicht falsch, es ist alles gut gemeint, was da gefordert wird: Integrationsfördermaßnahmen die Palette rauf und runter, Ausbau der Integrationskurse, Deutschpflicht für Eltern, Integration durch Sport. Alles gut und schön.

Für mein heimisches Kreuzberg oder für Neukölln reicht es aber nicht. Zu recht schlägt der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky die Hände über dem Kopf zusammen. Denn das Betreuungsgeld etwa ist ein Freifahrtschein für die Familien, ihre Kinder zuhause zu behalten. Mit jedem weiteren Kind steigt das Familieneinkommen erheblich, die Schere zwischen hervorragend „verdienenden“ kinderreichen Familien mit sechs oder acht Kindern und schlechtgestellten Alleinerziehenden öffnet sich noch weiter.

Hier fehlt mir der Gedanke der Pflicht, der Gedanke der Entscheidung für dieses Land. Stattdessen wird das Instrument des „Integrationsvertrages“ geschaffen (Zeile 3349). Das kann ja nur bedeuten: Der Staat tritt den Zuwanderen als fairer Partner auf Augenhöhe gegenüber. Er verhandelt mit ihnen über Bedingungen der Integration und verlangt im Gegenzug auch eine Art Selbstverpflichtung, etwa zum Besuch der Integrationskurse.

Das halte ich für nicht zielführend. Der demokratische Staat, also wir alle, hat das Recht, die Erfüllung bestimmter Pflichten von allen Bürgern, auch von den Zuwanderern, zu verlangen. Eine Vereinbarung des demokratischen Staates mit den einzelnen zugewanderten Bürgern halte ich für nicht sinnvoll. Der Staat sollte sich gerade nicht auf ein Do-ut-des mit den Migranten einlassen. Jeder Bürger, der die Vorzüge unseres Landes genießt, muss im Gegenzug dafür alles tun, um sein Leben in Freiheit und Selbstverantwortung zu leben. Die Zuwanderer stehen in der Pflicht, sobald sie sich dafür entschieden haben, hier zu leben. Im Koalitionsvertrag fehlt völlig das Moment der Entscheidung. Man muss einfach sehen: Wer hier zuwandert, tut dies freiwillig. Er oder sie muss eine klare Ansage erhalten, welche Pflichten damit einhergehen. Sonst fahren sie weiterhin mit uns Schlitten.

Was uns hier in Kreuzberg oder Neukölln wirklich die Haare zu Berge stehen lässt, das ist, wenn man mit Förderung ohne Ende, mit Maßnahmen des Staates, mit Einladungen, mit Locken und mit Betteln eine gewisse Anstrengung von den Bürgern erbittet, statt kategorisch von ihnen etwas zu verlangen. Das Betreuungsgeld ist eine derartige kontraproduktive Maßnahme.

Damit kommt die Politik nicht durch. Das stößt auf taube Ohren bei den Adressaten. Mit dem Integrationsvertrag wird sich erneut eine fundamentale Unbekanntschaft unserer Politiker mit den vorherrschenden Mentalitätsmustern bei den Zuwanderern offenbaren.

Lest das ganze Interview mit Heinz Buschkowsky im heutigen Tagesspiegel:

„Das ist Zynismus pur“
Die Vorschule kann das nicht richten?

Wir haben keine Vorschul- oder Kitapflicht. Die fordere ich schon lange. Wenn die Kinder mit fast keinem oder radebrechendem Deutsch eingeschult werden, kommen sie häufig aus dieser Falle in der ganzen Schulzeit nicht mehr heraus.

 Posted by at 16:16

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