Okt 312009
 

Der Blogger hat seine Berichtspflichten über den Abend des 12. Oktober vernachlässigt. Im Abstand von zwei Wochen tritt jedoch deutlicher hervor, was der Abend eingebracht hat. Burkard Dregger, Vater dreier Kinder, hielt im Café Sybille in der Karl-Marx-Allee einen Vortrag über die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft. Meine Sympathie hatte der Mann auf Anhieb gewonnen, weil er sich zunächst vorstellte mit dem Satz: „Ich bin Vater dreier Kinder, und deshalb möchte ich an der Zukunft unserer Gesellschaft mitarbeiten.“ Gut, sehr gut! Wir brauchen mehr Väter, die sich klar und eindeutig zur Verantwortung für ihre Kinder bekennen – Männer, die das Vater-Sein als wesentlichen Antrieb für politische Tätigkeit bekennen. Nach persönlichen Betrachtungen dieser Art spannte Dregger einen weiten Bogen über die Werte, die das Gemeinwesen Bundesrepublik zusammenhalten. Freiheit, Solidarität, Zusammenhalt des Landes: jeder dieser Grundwerte muss im Spannungsverhältnis mit den beiden anderen gesehen werden. Dregger übersetzte diese Werte in „das Liberale“, „das Soziale“, „das Nationale“. Keines davon darf absolut gesetzt werden. Liberalismus, Sozialismus, Nationalismus – das alles sind Überspitzungen, Verirrungen, die großes Leid über die Menschen gebracht haben. Es gilt, einen Ausgleich innerhalb dieses Wertedreiecks zu finden.Ich meine: Für das Liberale und das Soziale wird wohl fast jeder andere sich ebenfalls erwärmen können. Man frage einmal Menschen auf der Straße: Soll Politik die Freiheit schützen und soziale Verantwortung pflegen? Ja, ja, ja! werden sie alle rufen. Anders beim Nationalen. Hier fand ich Ausführungen Dreggers am spannendsten. Dregger fasst die Nation, also in unserem Fall Deutschland, nicht als Abstammungsgemeinschaft wie die Nationalisten, sondern als Wertegemeinschaft. Er zitierte aus der Präambel des Grundgesetzes, die diesen Wertekonsens in unerreichter Schlichtheit formuliert. Das war mir eine besondere Freude, dies zu hören, insbesondere, wenn es heißt: „… dem Frieden in Europa zu dienen.“

Wer gehört zu Deutschland? Antwort Dreggers, die ich voll und ganz unterstütze: Jeder gehört dazu, der sich dieser Wertegemeinschaft verpflichtet und der diesem Land anzugehören wünscht. Man kann in Deutschland hineingeboren werden, man kann in das Land einwandern – in jedem Fall müssen wir ein Interesse daran haben, dass möglichst alle Menschen, die dauerhaft hier leben, sich bewusst für dieses Land, für diese Werteordnung entscheiden.

Ich glaube: Wir, der Staat Bundesrepublik Deutschland, darf diese bewusste Entscheidung verlangen. Integrationspolitik, die nur auf möglichst effizientes Funktionieren der Zuwanderer abzielt, greift zu kurz. Sie ist zum Scheitern verurteilt. So etwa, wenn man meint, es reiche aus, dass möglichst alle Mütter Lesen und Schreiben lernen, dass möglichst viele Söhne und Töchter Abitur machten. Das ist zweifellos gut und richtig. Diese Grundfertigkeiten sind zur Teilhabe in höchstem Maße wünschenswert. Aber darüber hinaus müssen wir schon wissen und auch klar sagen, wofür wir stehen, was wir erwarten, was uns bindet.  Genau das werfen uns ja unsere Dauermigranten durch die Blume immer wieder vor: „Ihr Deutschen steht nicht zu dem, was ihr seid. Ihr seid nicht greifbar.“ 

Erstaunlich fand ich Dreggers Aussage: „Es ist gut, dass es die Finanzkrise gegeben hat. Nur durch die Krise traten die Schwächen des Systems zutage. Jetzt können wir an der Beseitigung dieser Schwächen arbeiten. Eine Planwirtschaft, die keine Krisen zulässt, sondern sie verschleiert, treibt dem Bankrott entgegen.“

Bemerkenswert  auch: „Sage doch niemand, wir seien für Atomkraftwerke. Wir sind nicht grundsätzlich für Atomkraftwerke. Wir sind für 100% regenerative Energien.“ Das leuchtete mir auf den zweiten Blick sofort ein. Wenn es möglich wäre, unseren Energiebedarf zu 100% aus regenerativen Energien zu decken, dann würde keine Volkspartei, die bei Sinnen ist, diese Möglichkeit ausschlagen. Na bitte, wer sagt’s denn! In der Zwischenzeit kann jeder schon damit anfangen. Die menschlichen Muskeln sind zweifellos eine regenerative Energiequelle. Wer sich mit Muskelkraft auf dem Fahrrad voranbewegt, schont nicht-erneuerbare Energieträger wie Erdöl oder Uran.

Damit komme ich zum einzigen kritischen Punkt, den ich anmerken möchte: Die großen Werte, die uns zusammenhalten, konnte Dregger wunderbar nachzeichnen. Er zitierte sogar Perikles: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ Es tat mir wohl, einen politisch interessierten Berliner, der sogar dem Landesvorstand der Berliner CDU angehört, so kraftvoll über Grundüberzeugungen, Prägungen und Selbstverpflichtungen reden zu hören.

Aber um erfolgreich zu sein, muss die CDU all diese Werte in die kleine Münze des Alltags umwechseln. Sonst gleicht sie dem König Midas oder einem armen Mann, der die Taschen voller 500-Euroscheine zu haben behauptet, der aber niemanden findet, der ihm die großen Scheine abnimmt und wechselt.

Kleine Schritte tun not. Eine kraftvolle Förderung des Radverkehrs in Berlin würde etwa die umweltpolitischen Ambitionen der CDU glaubwürdig machen. Man sollte gerade als Christdemokrat wegkommen von der Devise „immer mehr Autoverkehr, immer mehr Beton“. Hin zu mehr Nächstenzuwendung, Pflege des städtischen Kleinraums! Freiwillige Patenschaften für die Integration der unentschiedensten deutschen Bürger, also der Türken und Araber, würden den Führungsanspruch der CDU besser untermauern als die Wahrung des Besitzstandes. Das unermüdliche Eintreten für das gegliederte Schulwesen, das die Nation im Augenblick eher auseinandertreibt als verbindet, steht einer Partei der nationalen Einheit nicht unbedingt gut zu Gesicht.  Ein überzeugendes Leitbild für das Zusammenwachsen der Stadt Berlin verliehe der Berliner CDU mehr Glaubwürdigkeit als das schrille Streiten und Kritisieren. Die Überzeugung „wir von der CDU“ hätten alle Grundentscheidungen richtig getroffen, von der Marktwirtschaft über die dynamische Rente bis hin zur Wiedervereinigung, kann nur erklären, warum man früher unbedingt Adenauer oder Kohl hätte wählen sollen. Denn Adenauer und Kohl haben zwar nicht alles, aber fast alles Wichtige richtig gemacht. Dieses Argument  ist ohne Belang dafür, wenn man erklären will, warum man Angela Merkel oder Burkard Dregger wählen soll.

Kurzum: Der Mut zur Freiheit, den Burkard Dregger auf so überzeugende Weise beschwor, wird sich in Taten, im Klein-Klein des politischen Alltags ebenso beweisen müssen wie in Diskussionen und Debatten. Mit diesen Betrachtungen verließ ich das Café Sybille und nahm noch schnell das Denkbild der Karl-Marx-Allee auf: Herbstlaub, das über dem Modell der Prachtallee lag.

So sollte man das Herbstlaub des bequemen Arrangements wegfegen und sich zurückbesinnen auf die Prachtallee unsere Werte, wie sie etwa im deutschen Grundgesetz so modellhaft niedergelegt sind. Burkard Dregger hat mit seinem Vortrag ein kluges, überzeugendes und lange nachwirkendes Beispiel für solche klaren Sichtverhältnisse geliefert.

 Posted by at 23:59

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