Nov 032009
 

Gestern kamen wir zu dem Schluss, es komme in gesunden Beziehungen auf das rechte Maß zwischen Toleranz und Konfrontation an. Ein gewisses Maß an Dickfelligkeit, an stoischem Aussitzenkönnen, also an Toleranz ist sicherlich ein notwendiges Rüstzeug für erfolgreiche Außenpolitik.

Wie ist aber die Forderung „Null Toleranz“ zu verstehen? Null Toleranz bedeutet, dass jeder, auch der kleinste Regelverstoß sofort mit einer Sanktion belegt wird: vom Tadel über die Geldbuße bis hin zum Gefängnis. So brachte ich einmal meinen Sohn verspätet zur Schule. Sofort bekam ich einen Tadel. Das Zuspätkommen wird nicht toleriert. „Sie müssen früher aufbrechen!“, hörte ich. Basta. Dies hat mir geholfen. Ich weiß jetzt, wie wichtig die Schule das rechtzeitige Erscheinen nimmt. Folgerichtig findet sich – gemäß dieser Null-Toleranz-Politik der Schule – kein Papierchen auf dem Boden, keine Schmierereien an den Wänden, man hört kein wüstes Geschrei auf den Gängen.

Die Null-Toleranz-Politik funktioniert im Kleinen wie im Großen. New York wurde dank der Null-Toleranz-Politik des Bürgermeisters Bloomberg zu einer der sichersten Großstädte.

Die britische Regierung verficht eine solche Politik gegenüber den illegalen Drogen mit aller Konsequenz. Der wichtigste Drogenberater der Regierung, David Nutt, wurde vor wenigen Tagen gefeuert, weil er am Dogma der Null-Toleranz rüttelte. Er fand nämlich heraus, dass die legalen Drogen Alkohol und Nikotin weit gefährlicher sind, weit mehr Schaden anrichten als einige illegale Drogen wie etwa Cannabis. Man stirbt eben sehr wohl an einer Überdosis Alkohol, aber nicht an einer Überdosis Cannabis.

Im selben Atemzug könnte man mit derselben Kühnheit auch sagen: Das Autofahren ist in Europa weit gefährlicher als der Terrorismus. Denn dem Autofahren fallen in Europa viele tausend Mal mehr Menschen zum Opfer (Todesopfer, Verletzungen) als dem Terrorismus. Sollte man also das Autofahren im öffentlichen Raum präventiv verbieten, so wie man das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten hat?

David Nutt: my views on drugs classification | UK news | The Guardian
MP „You can’t compare harms from a legal activity with an illegal one.“

Professor Nutt „Why not?“

MP „Because one’s illegal.“

Professor Nutt „Why is it illegal?“

MP „Because it’s harmful.“

Professor Nutt „Don’t we need to compare harms to determine if it should be illegal?“

MP „You can’t compare harms from a legal activity with an illegal one.“

Ich halte es für richtig, echte Regelverletzungen sofort zu ahnden – auf angemessene Weise. Drogenhandel, Rotlichtverstöße, Müllabladen im Hausflur, Graffiti  – solche Erscheinungen sind erste Anzeichen einer Regelaufweichung, sie können den Einstieg in gröbere Verstöße bis hin zum echten Verbrechen bedeuten. Die legalen Drogen – also etwa Alkohol und Nikotin – werden demgegenüber mit „Toleranz“ behandelt. Gegenüber den jungen Leuten scheint es mir wichtig zu signalisieren, dass die Regeln durchgesetzt werden. Nicht mit drakonischer Strenge, aber mit spürbaren, sofort verhängten Sanktionen.

Jemanden für einen Tag ins Gefängnis zu stecken, weil er Papier auf die Straße fallen lässt, ist übertrieben. Aber ihn höflich darauf hinzuweisen: „Sie haben etwas fallen lassen“, das halte ich für angemessen.

 Posted by at 12:38

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