Märkisches Viertel, musikalisch belebt

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Feb 282010
 

Gestern besuchten wir das Preisträgerkonzert von Jugend musiziert, Region Nord. Mit S-Bahn und Bus gelangten wir zum Fontanehaus Reinickendorf im bekannten Märkischen Viertel.

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Wuchtige Betonbauten und die kraftvoll  geschwungene Eisenskulptur prägen das Bild. Nachdem das Eis weggeschmolzen ist, bleiben Splitt und Staub liegen. Fauchende Winde treiben immer wieder kleine Fähnchen hoch.

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Im Konzertsaal des Fontanehauses ist reichlich Platz. 10.000 Menschen wohnen im Märkischen Viertel, der Eintritt in das Kulturzentrum ist frei, das Konzert steht allen offen. 50 Menschen haben sich versammelt: Die Künstler selbst, deren Eltern, Lehrer, Geschwister und Freunde.

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Ich lausche mit Freude, gespannt und zunehmend begeistert. Besonders beeindruckt mich der 6 Jahre alte Leo Nasseh Kateb: Er spielt das Violinkonzert A-dur von Anatoli Sergejewitsch Komarowski sicher, mit jener traumwandlerischen Freiheit von Lampenfieber, wie sie nur Kinder haben können. Mein Sohn springt hoch und überreicht ein Sträußchen mit Rosen.

Gegen Schluss reißen mich Marijn Seiffert (Altersgruppe IV) und Mengyin Wang (AG V) mit. Sie bieten Bartóks Rumänische Volkstänze für Violine und Klavier genießerisch, unbeeilt, mit Witz und Grazie. Mir fällt mein eigenes Jugend-musiziert-Erlebnis ein. Ich war damals ebenfalls Altersgruppe IV (15 Jahre), und auch ich durfte im Preisträgerkonzert auftreten – damals mit 2 Sätzen aus Bachs d-moll-Partita.

Nachher spreche ich als dreister Paparazzo die Künstlerinnen an und wir plaudern über Schule, Geige und das Leben.

Was mir gefällt: Alle diese Kinder und Jugendlichen machen etwas aus ihren Leben. Sie „haben etwas vor“  – etwas, das sie zusammenführt, etwas, das sie verbindet. Etwas, dem sie dienen, über hunderte von Stunden jedes Jahr. Dieser Dienst verändert, bildet. Dieser Dienst macht frei.

Jedes Kind, jeder Jugendliche – das möchte ich und wünsche ich mir – soll so eine Erfahrung machen können: im Sport, in der Musik, im Theater, in der Gemeinwesenarbeit, beim Gärtnern, beim Eishacken. „Irgend etwas kann jeder.“ Auch die arabischen Jungs aus Neukölln. Ich bin sicher: Wenn man sie anspricht, anleitet und führt, meinetwegen mit harter Hand, werden sie es schaffen.

Mit meinem Sohn unternehme ich dann eine „Bergwanderung“ auf den Schlittenhügel im Natur- und Freizeitpark Lübars. Eintritt frei. 10.000 Menschen leben im Märkischen Viertel, aber auch hier sind wir nahezu unter uns. Was machen die 10.000 Menschen im Märkischen Viertel jeden Tag?

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Der Himmel irrlichtert grün, irisierend, ehe dunkle Nacht einfällt.

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Feb 282010
 

Die neuesten Daten, die die Morgenpost heute bringt, belegen es erneut: ich wohne im ärmsten Bezirk Berlins. Doch echte Armut gibt es hier nicht.  Echte Armut beschrieben Dickens, Friedrich Engels, John Galsworthy – und andere. Armut, das sind zerlumpte, hungernde, bettelnde Menschen. Eine typische Armuts-Szene beschreibt John Galsworthy in seinem Roman Beyond:

Beyond, by John Galsworthy
The usual route from the station to Bury Street was „up,“ and the cab went by narrow by-streets, town lanes where the misery of the world is on show, where ill-looking men, draggled and over-driven women, and the jaunty ghosts of little children in gutters and on doorsteps proclaim, by every feature of their clay-coloured faces and every movement of their unfed bodies, the post-datement of the millennium; where the lean and smutted houses have a look of dissolution indefinitely put off, and there is no more trace of beauty than in a sewer. Gyp, leaning forward, looked out, as one does after a long sea voyage; Winton felt her hand slip into his and squeeze it hard.

Also: „Krank aussehende Männer, zerlumpte erschöpfte Frauen, gespenstische kleine Kinder im Rinnstein …“ Ernst Bloch schreibt in seinem „Prinzip Hoffnung“ zu eben dieser Stelle:

„Wenigstens hat der Arme den Vorteil, schmutzig auszusehen. Er bietet keinen schönen Anblick, er wirkt vorwurfsvoll, auch wenn er schweigt. Der Arme darf ans Herz, doch freilich nicht an den Beutel greifen; letzteres tut der Herr, um das Elend, von dem er lebt, zu mildern.“

Bloch, Adorno, Dutschke, Habermas, Gysi  – sie alle kannten und kennen Armut als erlesene Armut nur aus den Büchern. All die Aufrufe zur Revolution, zum Systemwechsel wegen angeblicher Verelendung des Volkes waren erborgt aus diesen und anderen Lesefrüchten. Für Marx und Engels hingegen lag Armut noch vor Augen. Wir haben in der Bundesrepublik jeden Begriff davon verloren, deshalb das sinnleere Gerede von Armut.

Gestern fuhr ich mit der BVG vom Märkischen Viertel über den Hermannplatz Neukölln zurück in mein armes Kreuzberg. Besuche auch du, lieber Leser, Neukölln! Betrachte die jungen Männer in ihren weißen Jeans, ihren Markenklamotten, mit ihren i-pods, ihren gegelten Haaren, ihrem kurzrasierten Haar. Ihrem platzgreifenden, selbstbewussten Gebaren. Sie kennen keine Armut. Die Notwendigkeit zu arbeiten kennen sie ebenfalls nicht. Es macht ihnen keine Mühe, irgendeine Frau, irgendein Mädchen in der U-Bahn anzuquatschen und dreist zu behelligen, solange sie keinen Schleier trägt.  Diese jungen Männer werden die Prozentrechnung am Ende der 10.Klasse und auch die deutsche Rechtschreibung nicht beherrschen, irgendein Unternehmen in Ludwigsfelde oder Fürstenwalde wird sie nicht einstellen. Dennoch sind sie perfekt integriert. Integriert untereinander, in ihren Sippen, in den sozialen Stützungssystemen.

Sie sind nicht arm. Sie leben in vollkommener Freiheit. Hartz IV sei Dank. Sie können tun und lassen, was sie wollen. Über sie und genau sie schreibt Karl Marx im dritten Band des Kapitals:

Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.

Zitat: Ernst Bloch, „Prinzip Hoffnung“, 2. Band, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1977, S. 1045

Bild: Am U-Bahnhof Möckernbrücke, Abendstimmung vor dem Sturm, heute, 28.02.2010, 18 Uhr

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Feb 282010
 

Die obige Frage mag wie ein Streit um des Kaisers Bart erscheinen. Dennoch stelle ich sie. Ihr könnt sie euch selber stellen. Ich werde keine Antwort liefern. Aber immerhin höre ich von Badr Mohammed, dem Präsidiumsmitglied der Deutschen Islam-Konferenz, folgende Antwort:

 „Meine Position ist die, dass die Einheit der Deutschen verschiedener Herkunft und Religion hergestellt werden muss.“

Aha! Badr Mohammed scheint also zu sagen: Die Einheit der Deutschen ergibt sich nicht von selbst, sie muss bewusst herbeigeführt werden! Wenn das so wäre, dann würde sich eine ganze Kaskade von neuen Fragen ergeben:

– „Hergestellt werden“ – durch wen? Durch die Bürger oder durch den Staat? Durch Programme oder durch Geld? Oder durch Umdenken? Durch Taten oder durch Worte? Von oben oder von unten? Oder aus der Mitte des Volkes heraus?

Es wäre doch spannend, hierüber ein Gespräch zu führen.

Hier noch der genaue Beleg für das angeführte Zitat aus der Morgenpost vom 28.08.2009:

Parteiübertritt – Berliner SPD-Politiker wechselt zur CDU – Berlin – Berliner Morgenpost
„Die entscheidende Frage ist für mich: Wie kann ich eine Spaltung in der Gesellschaft zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen verhindern? Meine Position ist die, dass die Einheit der Deutschen verschiedener Herkunft und Religion hergestellt werden muss.“

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Ist Friedrichshain-Kreuzberg reich?

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Feb 282010
 

560 Millionen im laufenden Haushalt – das ist viel Geld. Also ist Friedrichshain-Kreuzberg reich? Wir mutmaßten dies vorhin. Auch weil Geld für Straßenumbenennungen ausgegeben wird.  Falsch! Die BVV hat dem Haushaltsplan für die Jahre 2010/2011 nicht zugestimmt. Man könne den vorgesehenen Einschnitten nicht zustimmen. Somit unterliegt der Bezirk weiterhin der Haushaltswirtschaft durch das Land Berlin.

Der Bezirk hängt am Tropf des Landes Berlin. Ist er eine Kolonie geworden? Wer beutet da wen aus?

BÜNDNIS90/Die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg – Bezirk spart sich den Haushalt
Friedrichshain-Kreuzberg hat für 2010 einen Haushalt in Höhe von rund 560 Millionen Euro. Der Bezirk kann nur über einen kleinen Teil von etwa sechs bis acht Prozent frei verfügen; der Rest sind Durchlaufposten, etwa für Transferleistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld. Obwohl der Bezirk schon heute in vielen Bereichen Einsparungen vornehmen musste, verbleiben wegen der unzureichenden Zuweisungen des Landes Berlin weitere Kürzungen in Höhe von rund sechs Millionen Euro allein für das Jahr 2010.

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Feb 272010
 

Zu den  schlimmen Hinterlassenschaften der Kolonialzeit, vor allem aber des 19. Jahrhunderts,  gehört der Rassismus, also die Einteilung der Menschen nach Hautfarbe oder nach „Rassen“.

Interessant ist es zu sehen, dass die gesamte Antike bis weit ins Mittelalter und die frühe Neuzeit hinein keinen biologisch begründeten Rassismus kennt. Hautfarbe, ethnische Herkunft, spielen bei der Bewertung der Tugendhaftigkeit eines Menschen keine Rolle – die Religion schon eher. Der Teufel kann ein Weißer sein – wenn er kein guter Christ ist. Ein Weißer kann Teufel sein!

Einer der wichtigsten Kirchenväter, Aurelius Augustinus, war Afrikaner und wird meist als Mohr dargestellt. Bis in die frühe Neuzeit hinein gibt es zahlreiche bildliche Darstellungen von Mohren als Königen. Ein Mohr kann König sein, und ein König kann Mohr sein. Wer das leugnet, ist blind oder rassistisch. Schaut euch den Mohrenkopf als Herrschersymbol auf dem Kirchenportal in Ettal an!

Die Bezeichnung „Mohr“ steht für Menschen dunkler Hautfarbe oder ganz allgemein für Menschen afrikanischer Abkunft. Wenn May Ayim behauptet, dass die Bezeichnung „Mohr“ oder „Neger“ oder „Schwarzer“ als solche rassistisch sei, irrt sie gewaltig. Das geben die Quellen einfach nicht her.

Das ist Bestandteil jener intensiven Selbst-Viktimisierung, die gerade die korruptesten Regimes des afrikanischen Kontinents bis zum heutigen Tage pflegen, die Hand aufhalten, satte Entwicklungshilfe einstreichen und tatenlos zusehen, wie die jungen, gesunden und kräftigen Männer den Kontinent verlassen, um etwa in der Neuköllner Hasenheide als rührig-fleißige Händler-Netzwerke  aufzutreten, während zuhause die AIDS-Waisen sterben. Lest doch diese Zusammenhänge in der Zeitschrift Africa positive nach!

Aus diesem Grunde wäre es der Gipfel des Unsinns, jetzt etwa die Mohrenstraße in Berlin-Mitte umbenennen zu wollen. Es wäre ein später Tribut an den Rassismus.  Sollte man sie dann etwa in Afrikanerstraße oder Schwarzenstraße umbenennen?

Unsinn. Verschwendung von Steuergeldern. Tut etwas für die Integration der Zuwanderer, bringt die schwarzen jungen Männer aus dem Drogenhandel heraus, statt euch in Pseudo-Aktivitäten selbst zu bespiegeln.

May Ayim – Wikipedia
Sie gilt als eine der Pionierinnen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland:

Die christlich-abendländische Farbsymbolik brachte die Farbe Schwarz von jeher mit dem Verwerflichen und Unerwünschten in Verbindung. Entsprechend sind in der frühen Literatur Beispiele zu finden, wo weiße Menschen durch unrechtmäßiges Verhalten zu »Mohren« werden. Im Kirchenvokabular des Mittelalters wurden in markanter Weise die Bezeichnungen »Aethiops« und »Aegyptius« zeitweise als Synonyme für den Begriff Teufel benutzt. Religiös bestimmte Vorurteile und Diskriminierungen bildeten so einen Teil des Fundamentes, auf dem sich in der Kolonialzeit mühelos ein Konglomerat rassistischer Überzeugungen entfalten konnte, welches die Schwarzen Heiden (Mohren) zu Schwarzen Untermenschen (Negern) werden ließ. May Ayim (1997)[3]

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Feb 272010
 

subbotnik26042008.jpg Das Bild zeigt einige litauische Freiwillige des Jahres 2009 beim Säubern des Gröbenufers. Sie beseitigten Müll und Dreck für uns, die Kreuzberger Deutschen, freiwillig und ohne Bezahlung. Für das Foto haben sie posiert, ebenfalls ohne Gegenleistung.

Es ist geschafft – wieder einmal wurde eine Straßenumbenennung gestemmt. Semantischer Müll aus vergangenen Jahrhunderten wird gesinnungsheroisch beseite geschafft. Von den Deutschen im Bezirksamt. Diesmal: das Gröbenufer, mehrfach in Wort und Bild in diesem Blog dargestellt. Mehrere Monate hat es gedauert. Am 29.09.2009 berichtet dieses Blog bereits. Die Gröbenufer-Umbenennungs-Affäre gleicht also der Opel-Rettungs-Affäre: In beiden Fällen wurde sehr sehr viel Steuergeld  und Politikerzeit für fruchtlose Pseudo-Aktivitäten verpulvert. Kein Hahn kräht danach. Aber die Politiker erzeugen den Anschein, dass die Zeit vergeht und dass sie sich sinnvoll beschäftigen.

Reiches Deutschland, reiches Kreuzberg! Es wäre spannend, in einer Kosten-Umlage-Berechnung die Lebenszeit und die Steuergelder umzurechnen, die für diese Straßenumbenennung ausgegeben wurden, die gerade jetzt in diesen Minuten stattfindet. Von den Folgekosten zu schweigen.

Ich bin sicher: Ein 5-stelliger Betrag käme heraus. Indessen plage ich armer dummer Radfahrer mich über Schlaglöcher auf den von mir reichlich benutzten Straßen, ärgere mich über fußgängerfeindliche Ampelschaltungen, quäle mich an vierreihig parkenden Grundschul-Elterntaxis vorbei. Na immerhin etwas Gutes hat diese Umbenennung: Friedrichshain-Kreuzberg zeigt damit: Es ist reich.

Und für die Beseitigung des Unrats am Gröbenufer …? Haben wir reichen Kreuzberger die lettischen und litauischen „Hilfswilligen“! DAS, liebe MitbürgerInnen,  ist Neo-Kolonialismus pur!

Trotzdem meine ich: Wir brauchen endlich ein bisschen grüne, ein bisschen rote Politik in Friedrichshain-Kreuzberg. Warum nicht etwas für ökologisch sinnvollen Verkehr versuchen? Ein bisschen rote Politik für gemeinsames Lernen in der Grundschule?  Ein bisschen sozialdemokratische Politik im Sinne der alten, sparsamen Arbeiterhaushalte, die das Geld lieber für eine Volksbibliothek oder eine Arbeiterküche ausgaben anstatt den Vergnügungen zu frönen? Warum nicht mal die Drogendruckräume in die Häuser im Eigenbesitz aufnehmen?

Eine teure Vergnügung der sich selbst beschäftigenden politischen Oberschicht ist diese Staßenumbenennung. Ausnahmsweise mal ein Zitat aus diesem Blog:

Die Grünen im Bezirk sollten sich endlich einmal ihrem Kerngeschäft widmen, etwa der Schaffung ökologisch verträglicher Strukturen im Verkehr. Dazu würde die Schaffung guter Verhältnisse für Fußgänger und Radfahrer gehören. Da tut sich viel zu wenig. Integration: Desaster! Die Schülerschaft ist von Klasse 1 an gespalten in Muslime und Nichtmuslime. Datenschutz: Nirgendwo werden die Meldedaten stärker von den Schulbehörden kontrolliert als in Friedrichshain-Kreuzberg. Naturschutz: Warum pflanzen sich so wenige Exemplare der Tierart Homo sapiens germanicus hier fort und verlassen das Biotop, sobald sie Nachwuchs haben? Ist das Biotop etwa lebensfeindlich?

Das Gröbenufer ist Geschichte

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Feb 262010
 

Mehr Mut zur Grundformel einer Partei – das wünschte ich mir am 29.12.2009 in diesem Blog. Und genau dieser Wunsch wurde mir gestern Abend erfüllt. Ich bin hochzufrieden! Annette Schavan hatte sich in der Katholischen Akademie genau dies vorgenommen: Was hält die CDU zusammen? Was macht sie aus?

Listigerweise hieß das Thema: „Wie die CDU die Mitte gewinnt, aber dabei vielleicht ihre Seele verliert“. Das war eine deutliche Einladung an all jene, die Sorge tragen, die Partei könne in dem Modernisierungskurs, für den neben anderen der Name Angela Merkel steht, „das Konservative“ oder „das Christliche“ verlieren.

Mein Eindruck vorweg: Schavan rückte die Grundbegriffe zurecht auf eine Weise, wie ich mir das klarer nicht hätte wünschen können. Auszusetzen, zu kritisieren – habe ich gar nichts an Schavans grundsätzlichen Erwägungen. Zu loben viel.

Zeichnen wir’s in grober Raffung noch einmal mit unseren eigenen Worten nach:

Die Union will Volkspartei sein. Sie will alle ansprechen, politische Mehrheiten aus allen Schichten suchen. Eine klare Absage an das Modell der katholischen oder meinetwegen auch der „bürgerlichen“ Milieupartei! Kompromisse sind bei der Suche nach Mehrheiten unvermeidlich. Es geht schließlich auch um den Einfluss, um die Macht, gewünschte Entscheidungen herbeizuführen.

Die Politik der Christdemokraten steht unter dem Vorrang der Person. „Politik, Kultur, Wirtschaft dient dem Menschen“. So sinngemäß Konrad Adenauer. Der Partei selbst kommt keine „beseelte Persönlichkeit“ zu.

Ich füge hinzu: auch Parteien „dienen“ zu etwas. Sie sind kein Selbstzweck. Sie sollten sich nicht immer so furchtbar wichtig nehmen. Ebensowenig sind sie Ersatz für Glaubensgemeinschaften wie etwa die Kirchen. Es fällt mir immer wieder auf, dass manche Parteianhänger geradezu glühend an die ehernen Wahrheiten der Partei (- oder was sie dafür halten -) glauben. Oder haltbare Wahrheiten von der Partei erwarten. Bei  Abweichungen höre ich den Aufschrei: „Das ist nicht mehr die Partei, die ich kenne.“ Gerade bei den Grünen und bei der CDU sehe ich das immer wieder. Ein Missverständnis, wie ich meine! Eine politische Partei ist kein Brauchtumsverein.

Die CDU entstand als Bündnis von Kräften, nicht als klassische Partei. Das lagerübergreifende Denken steht gewissermaßen schon in ihrer Geburtsurkunde.

Bekenntnisse allein reichen nicht. Allzu viel Bekenntnishaftes schadet sogar. Viel wichtiger ist das Vorleben, das Handeln im Dienste des Nächsten. Aus diesem Grund gehört auch der Grundsatz der Subsidiarität, also das Vertrauen in die jeweils niedrigste Ebene zum Kernbestand christdemokratischer Politik.

„Das C steht nicht für Beharrungsvermögen.“ Das Christliche ist keineswegs grundsätzlich das Konservative. [Na endlich!]. Es ist eher ein Kompass – aber auch ein Stachel.

Die Selbstbeschreibung der CDU ist nicht „die Konservativen“, sondern „die Christdemokraten“.

Ich ergänze: Es gibt konservative, stockkonservative, erzkonservative, progressive, liberale, ökologische, muslimische, atheistische, jüdische, alternative, „grün“ und „rot“ angehauchte Christdemokraten. Alle müssen in der CDU Platz finden. Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Sehr viel aber mit dem Bündnischarakter der Union.

„Übertriebenes Beharrungsvermögen führt zum Traditionsbruch“ – ein sehr guter Gedanke, den ich nicht kannte!

Aber ich meine, in der Tat ist es so: Wenn man immer die gleiche Platte auflegt, dann hört man nicht mehr, wenn die Musik „draußen im Lande“ sich gewandelt hat. Außenwelt und Innenwelt der Partei klaffen dann auseinander, es kommt erst zur Muffigkeit, dann zum Realitätsverlust, dann zur sklerotischen Erstarrung.

„Die Ausstrahlungskraft der Partei leidet, wenn zuviele herumspringen, die nur für sich einen coolen Auftritt suchen.“ Mehr Dienen ist angesagt. Auch hier stimme ich zu: Die Partei kann einen nicht ernähren. Niemand sollte politische Arbeit anfangen, weil er oder sie ein Einkommen oder Auskommen sucht.

In der Aussprache kam das eine oder andere Argument der alten Milieus zur Sprache.  Leider meist nur als mehr oder minder persönlich verletzendes Zitat, stichhaltige Einwände gegen die vorgetragenen Positionen Frau Schavans konnte ich nicht erkennen.

Ich selber meldete mich ebenfalls als Vertreter einer Kreuzberger christdemokatischen Splitterpartei kurz zu Wort, erhob die Stimme unterstützend, warb für die Karte des zwischenmenschlichen Vertrauens und stellte in provokanter Absicht die Frage nach dem Sinn des gegliederten Schulwesens. Eine absolute Steilvorlage, denn Frau Schavan konnte sehr starke Argumente für den deutschen Sonderweg – die beiden Säulen der stärker berufsbezogenen dualen Ausbildung und des typisch deutschen Gymnasiums – ins Feld führen. Erleichterter Applaus brandete auf! Soweit erinnerlich, war dies die Stelle, an der das Auditorium am stärksten hinter Frau Schavan stand. Ansonsten – spürte ich subkutan das Grummeln in der schwarzen Parteiseele natürlich.

Es gibt fürwahr kein schwieriger zu gewinnendes Auditorium als CDU-affine Menschen in Berlin. Das habe ich nun wiederholt als Zuhörer erfahren, das habe ich auch wiederholt als Redner erfahren. Rhetoriktrainer aller Länder, kommt nach Berlin ins CDU-Milieu – da könnt ihr was lernen. Auch ein Obama – so er denn deutsch spräche – würde einen sehr sehr schweren Stand haben. Er würde höchstens 40 Prozent holen.

Jedem wackeren Unionsmitglied sei es ins Stammbuch geschrieben: Wer innerhalb der CDU den Sinn des bestehenden gegliederten Schulwesens auch nur im entferntesten  anzweifelt, wird es sehr, sehr schwer haben! Achtung – Karrieren-Lawinengefahr! Das gegliederte Schulwesen ist ein Besitzstand, an dem man nicht ungestraft rütteln sollte – wie Ole von Beust leidvoll gerade in Hamburg erfährt.

Dem sei wie es sei. Für mich war der Abend nicht leidvoll, sondern eine äußerst spannende, lustvolle, belehrende und ermutigende Erfahrung. Frau Schavan hat es geschafft, das, was den Programmkern der CDU ausmacht, in vorbildlicher Weise darzustellen.

 Posted by at 19:01
Feb 262010
 

Gestern hörte ich in der Katholischen Akademie Berlin Annette Schavans – durch den erbarmungslosen Journalisten erzwungenen – Kommentar zum Rücktritt von Bischöfin Käßmann. Dem Sinn nach sagte sie ungefähr:

„Ich finde es sehr sehr schade, dass ich diese mutige, klare, überzeugende Stimme jetzt weniger hören werde.“

Was ich besonders gut an Frau Schavans – nicht freiwillig geäußertem – Kommentar fand: Sie äußerte sich in der Ich-Form und ohne zu werten oder moralisch zu urteilen. Sie zeigte, dass sie als Person Schavan mit der Person Käßmann mitempfindet, dass sie traurig ist. Ich glaube, gute Politik, insbesondere christdemokratische Politik lebt nicht nur von den besseren Argumenten, sondern auch von der Fähigkeit, mit anderen Menschen zu empfinden. Gute Politik entfaltet sich als Geflecht guter, mitempfindender, tragfähiger Beziehungen zwischen Menschen.
Ich meine:  Politik wird zuvörderst, zunächst und zumeist von Menschen getragen. Nicht von den Parteien, die mitunter diese schlichte Wahrheit zu vergessen drohen. Sondern von Personen, die sich ruhig als solche zu erkennen geben sollen. Denn die Menschen erwarten meist zu viel von den Parteien. Frau Schavan sagte auch: „Nicht das Amt trägt die Person. Es ist umgekehrt: Die Person trägt das Amt.“

Man kann und soll auch als Politiker – allerdings in rechter Dosierung – seine Gefühle zeigen. Nicht vorspielen, nicht inszenieren, nur zeigen. Dazu braucht man die Ich-Form! Man muss eine, seine persönliche Geschichte erzählen können ebenso sehr wie man sachlich wohlbegründete Argumente darlegt. Frau Schavan hat dies beispielsweise gestern Abend in dieser und vielen anderen Fragen sehr überzeugend getan.


 Posted by at 12:12
Feb 262010
 

Die Verquickung öffentlicher Ämter mit Tätigkeiten in der Wohnungswirtschaft, das war über Jahrzehnte hinweg eine sprudelnde Quelle von Skandalen in der Berliner Politik. Wir bezeichneten den Sozialen Wohnungsbau gestern als „Freifahrtschein zur Selbstbedienung der Machtelite“ – zu harte Worte für das, was einmal war?

„War“ – in der Tat, das Schlimmste ist wohl vorbei, aber es gibt immer wieder ein Nachbeben, wie die derzeit laufende Howoge-Angelegenheit beweist. Die Berliner Zeitung meldet heute:

Die Stadt als Beute? – Berliner Zeitung
Im Streit um die Vergabe von Aufträgen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge an das Ingenieurbüro des SPD-Abgeordneten Ralf Hillenberg hat die Opposition schwere Vorwürfe gegen die regierenden Sozialdemokraten erhoben. CDU-Fraktionschef Frank Henkel sprach gestern bei einer Debatte im Abgeordnetenhaus von „SPD-Baufilz“ und warf den Sozialdemokraten vor: „Sie machen sich die Stadt zur Beute“. Henkel forderte, die gesamte Vergabepraxis von Aufträgen der landeseigenen Wohnungsunternehmen auf den Prüfstand zu stellen. Vertreter von SPD und Linkspartei erklärten, sie wollten die Vergabepraxis der Howoge aufklären, sie warnten aber vor einer Vorverurteilung.

Ich stimme den Ausführungen  der Vertreter von CDU, SPD und Linke zu. Macht mal!

 Posted by at 10:40
Feb 252010
 

„Geprüft wurden: Schaltung, Lager, Bremsen, Speichenspannung, Schrauben (ggf. nachziehen), Beleuchtung, Rahmen (Sichtprüfung), Luftdruck, Funktionsprüfung Federelemente“.

Das war der Prüfumfang. Gestern holte ich mein 2 Monate altes Kraft-Fahrzeug VSF T300 8 Gg SH FL  von der kostenlosen „Erstinspektion“ ab. Es ist doch immer schön, wenn man sein Fahrzeug aus der Werkstatt zurückerhält. Und siehe da – ich traute meinen Augen nicht: Es war sogar geputzt worden. Ein kleiner Plausch am Annahmeschalter, o nein: das heißt heute: „Dialogannahme“, schloss diese angenehme Erfahrung in Kreuzbergs Bergmannstraße ab.

Dazu passt auch die taz-Meldung, dass Läden, „die ihre Kundschaft beraten“, den Umsatz um 10% steigern konnten. Andere offenbar nicht. Wir lernen: Die Beratungsqualität macht’s. Gerade in einer so reichen Gesellschaft wie der unseren erwarten die Kunden auch menschliche Zuwendung und fachliche Unterstützung, wenn’s um das eigene Kraft-Fahrzeug geht. Immerhin steckt man jede Menge Kraft hinein. Eigene Muskelkraft, die beste und teuerste!

Wenn die Zahlen stimmen, müsste jedes neue Fahrrad im Durchschnitt 1250.- Euro kosten. So teuer also?

Radfahren in Deutschland: Auf dem Weg zur Fahrradnation – taz.de
Fahrradgeschäfte haben Hochkonjunktur: Läden, die ihre Kundschaft intensiv beraten, konnten ihren Umsatz 2009 um 10 Prozent steigern. Über 4 Millionen neue Drahtesel für insgesamt 5 Milliarden Euro rollten auf die Straßen.

 Posted by at 16:08
Feb 252010
 

Der Traum jedes Vermieters in wirtschaftlich schwachen Zeiten und wirtschaftlich schwachen Lagen ist es, wenn das Sozialamt die Miete direkt zahlt. Denn der Staat ist ein verlässlicher Zahler, die Gefahr, dass hohe Mietausfälle wegen zahlungsunfähiger Mieter auflaufen, besteht nicht. Hunderttausende von Wohnungen wurden in West-Berlin im sozialen Wohnungsbau errichtet, die beteiligten Unternehmen waren bestens in die Politik hinein vernetzt, aus dieser Vernetzung ergaben sich riesige Gewinn- und Einnahmemöglichkeiten, zahlreiche Posten und Pfründen. Dieses System der sozialen Wohnwirtschaft war im alten West-Berlin ein Freifahrtschein zur Selbstbedienung aus den öffentlichen Kassen. Eines der Ergebnisse dieses Wildwuches ist die horrende Staatsverschuldung des Bundeslandes und das Schaffen von „Sozialghettos“ in Bezirken wie Kreuzberg (Kottbusser Tor!), Neukölln und Wedding.

Ein Musterbeispiel dafür stellt auch die Auseinandersetzung um den Fanny-Hensel-Kiez dar – also die Wohngegend, die ich seit Jahren bestens kenne und  der ja auch unsere Fanny-Hensel-Grundschule zugewiesen ist. Das berichtete gestern die Morgenpost:

 

Rund 28.000 Berliner Mietern von ehemaligen Sozialwohnungen droht der Auszug aus ihrer Wohnungen, wenn ihr Vermieter nach Auslaufen der Förderung für den sozialen Wohnungsbau die Kostenmiete in voller Höhe verlangt. In der Fanny-Hensel-Siedlung in Kreuzberg etwa sollen die Mieter 7,03 Euro statt zuvor 5,33 Euro pro Quadratmeter zahlen und haben die Kündigungen erhalten. Die Mieter kämpfen seit Wochen gegen hiergegen.

Der Berliner Kurier ist schnell mit einem Wort zur Hand, wenn es um das Gebaren des Vermieters geht: „Gier-Vermieter“ – und dies allein deswegen, weil der Vermieter seine Kosten hereinholen will. Der Besitzer fordert eine kostendeckende Miete.

Schimmelhaus-Mieter verloren ihren letzten Kampf – Berlin – Berliner Kurier
Nur ein Wunder kann jetzt noch verhindern, dass die sozial schwachen Bewohner bis 30. April ausziehen müssen. Ohne Zuschüsse, wenigstens für ein paar Monate, droht einigen sogar die Obdachlosigkeit. Mieter-Sprecher Sebastian Jung (35): „Obwohl die Senatorin das Gegenteil sagt, bieten die Wohnungsbau-Gesellschaften keinen Ersatz in der Nähe.“ Die Folge wäre die Zerschlagung eines lebendigen Multi-Kulti-Kiezes.

Ein lebendiger Multi-Kulti-Kiez? Darüber darf geschmunzelt werden … Die Fanny-Hensel-Siedlung ist das lehrbuchmäßige Musterbeispiel eines sogenannten Sozialkiezes – manche sprechen von „Sozialghetto“. Es fehlt vollkommen die soziale Durchmischung! Wo sind die deutschsprachigen Familien? Die ursprünglich aus arabischen Ländern stammenden Familien sind dort leider weitgehend unter sich. Die türkischen Familien, die Arbeit finden, ziehen von hier weg. Die anderen Familien, die Arbeit finden, werden von hier wegziehen.

Der Fanny-Hensel-Kiez braucht die Durchmischung. Dorthin müssen unbedingt auch eigenes Geld verdienende Menschen ziehen. Es ist immer schlecht, wenn alle oder fast alle Menschen eines Kiezes dauerhaft von Sozialhilfe leben. Von einer besseren Durchmischung profitieren alle, nicht zuletzt die Kinder, die dort aufwachsen.

Lehrbuchbeispiel Schimmelwohnungen: Sobald der freie Markt  einzieht, sobald die komplette Belegung mit Sozialmietern aufhört, wird sich das Schimmelproblem lösen, denn verschimmelte Wohnungen lassen sich auf dem freien Markt nicht vermieten, der Besitzer muss die Wohnungen auf eigene Kosten sanieren und dann zu vermieten versuchen.

Schlechte Wohnungen, verschimmelte Wohnungen wurden in West-Berlin routinemäßig zu überhöhten, nicht marktfähigen Preisen an sozial schwache Mieter losgeschlagen. Das hatte System, die Miete übernahm das Amt. So profitierten die Bauträger, die Vorstände der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und nicht zuletzt die politische Macht-Elite West-Berlins, die ja ohne die Verquickung mit der Bauwirtschaft nicht zu verstehen war.

Durch den von den West-Berlinern nicht erwarteten Fall der Mauer wurde der alten West-Berliner Macht-Elite die Geschäftsgrundlage zerstört: Die üppigen Subventionen aus West-Deutschland entfielen rasch, es gab auf ein Mal viel weniger zu verteilen. Die politische Elite erkannte dies zu spät und versuchte noch die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Zeche für jahrzehntelange öffentliche Misswirtschaft zahlen wir Bürger heute. Sie hat eine Zahl: 60 Milliarden Staatsschulden im Bundesland Berlin.

Das subventions- und korruptionsgestützte System der wechselseitigen Vorteilsnahme wird jetzt, 20 Jahre nach dem Mauerfall, mühselig abgebaut.

Die Einführung von mindestens kostendeckenden Mieten ist notwendig, um den Fanny-Hensel-Kiez zu einem Multi-Kulti-Kiez werden zu lassen. Ich meine: Mindestens einige deutsche Familien sollen wieder im Fanny-Hensel-Kiez wohnen oder dorthin zurückkehren, die türkischen Familien mit eigenen Einkünften sollen zurückkehren.

Die Mischung macht’s! Sozialghettos, wie wir sie jetzt haben, sind nichts Gutes.

Hierbei sollte die zuständige Senatorin Junge-Reyer sich nicht durch den Vorwurf der sozialen Kälte ins Bockshorn jagen lassen.

 Posted by at 13:49
Feb 242010
 

Ein wirklich buntes, multiethnisches staatliches Gebilde war das kürzlich so arg gescholtene Römische Reich. Es hielt ein paar Jahrhunderte zusammen, länger als bisher selbst die erfolgreichste moderne Demokratie, die USA, denen ich freilich eine längere Lebensdauer als dem Imperium Romanum wünsche. Eine besondere Errungenschaft war zweifellos die freigebige Zuerkennung des römischen Bürgerrechts an immer mehr Menschen, zuletzt an fast alle, die auf dem Boden des Imperiums wohnten. Von der Lex Plautia Papiria (89 v. Chr.) bis zur Constitutio Antoniniana (212 n. Chr.) zieht sich eine fortschreitende Ausdehnung der Bürgerrechts-Inhaber. Ein genialer Schachzug, der zur langen Lebensdauer des Imperiums beitrug! Die griechischen Stadtstaaten haben das nicht geschafft. Sie knauserten mit der Verleihung des Bürgerrechts und wurden dadurch verletzlich – hinweggefegt!

„Civis Romanus sum“ – „Ich bin römischer Staatsbürger“, mit diesem Satz wehrte der Apostel Paulus die feindlichen Nachstellungen der Staatsmacht, die ihn als Verfassungsfeind verfolgte, zunächst erfolgreich ab. Er wurde nicht gekreuzigt, weil diese ehrloseste Form der Strafe als eines römischen Bürgers unwürdig galt.

Und heute? Deutschland wird zu seinem Glück bunter. Wir brauchen die Aufsteiger, wie sie Armin Laschet nennt. Die Menschen, die eine Zuwanderungsgeschichte hinter sich – oder in sich haben. Idealerweise „ergreifen“ sie dann – sobald sie wählen können – die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein, aber nur ein  Muster für eine solche „neue Deutsche“, wie das Badr Mohammed nennt, scheint mir Jannine Menger-Hamilton zu sein.

Ich meine: Macht sie auch amtlich zu dem, was sie ohnehin ist: zur Deutschen. Lasst sie rein! Wir brauchen selbstverständlich mehr solche engagierte, zu unserem Land stehende Frauen wie Frau Menger-Hamilton.

Dass ihr aufgrund von Einwänden des Verfassungsschutzes bisher die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert wird, muss ein absurdes Missverständnis sein – soweit die Fakten stimmen, die die taz berichtet.

Linkspartei-Sprecherin in Kiel: Zu links, um deutsch zu sein – taz.de
„Ich bin hier geboren, zur Schule gegangen, ich engagiere mich. Warum passiert das mir? Warum wollen die mich nicht?“

 Posted by at 12:49

Ist „das Christliche“ zugleich „das Konservative?“

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Feb 232010
 

Größer als die Institution Kirche, größer als „das Christliche“, bedeutsamer als alles Reden und Streiten über die konfessionellen Auffaltungen des Christentums scheint mir der Bezug auf den anleitenden Menschen Jesus. Und doch droht, je mehr Auslegung und Wissen über „das Christliche“ angehäuft wird, dieser innere Bezug auf Jesus – mit einer glücklichen Formulierung Joseph Ratzingers – „ins Leere zu greifen“. Der eigentliche Bezugspunkt des Glaubens verschwimmt. Er wird übermalt durch die Fülle dessen, was man „nicht sicher wissen“ kann.

Was wissen wir sicher? Die Leitgestalt des Christentums, Jesus von Nazaret, wurde als Jude geboren, lebte als Jude, starb als Jude. War er innerhalb der Religion Israels, seiner Gesellschaftsordnung, ein Konservativer? Wie ging Jesus mit seinen Eltern und Geschwistern um? Was war sein Verhältnis zur Autorität schlechthin, zur staatlichen Gewalt, also zu den Römern insbesondere?  Ist das Christliche stets ineins zu setzen mit dem Bewahrenden, dem Festhalten an gewordenen Sozialstrukturen und Traditionen?

Oftmals wird im Tagesgespräch dieser Eindruck erweckt, etwa dann wenn der CDU vorgeworfen wird, sie verlöre mit dem Verlust des Konservativen ihre Seele.  Zu diesen Fragen erwarte ich eine gelingende Auseinandersetzung mit Annette Schavan am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Katholischen Akademie Berlin, zu der ich mich bereits angemeldet habe.

Katholische Akademie in Berlin e.V. | Wie die CDU die Mitte gewinnt, aber vielleicht ihre Seele verliert

Ersten Aufschluss über das Verhältnis zwischen Sozialstruktur und „größerer Gerechtigkeit“ mag Matthäus 5,20 bieten: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“

Es gibt eine Fülle von Aussagen Jesu über diesen Vorrang des Größeren vor dem Kleineren, des „oberen Waltenden“ vor dem explizit Niedergelegten. Das „Niedergelegte“, das „Hergebrachte“, die Institutionen, all das, woran landläufig „das Konservative“ festgemacht wird, erscheinen  in den Reden Jesu überwölbt und verflüssigt durch einen Prozess ständiger Dynamisierung. Diese Einsicht vermittelt überzeugend der bereits oben zitierte Autor Joseph Ratzinger:

„Die Dynamisierung der konkreten Rechts- und Sozialordnungen, die Jesus damit vollzieht, ihr Herausnehmen aus dem direkten Gottesbereich und das Übertragen der Verantwortung an eine sehend gewordene Vernunft, entspricht der Tora selbst“.

Ich meine: Die Ineinssetzung des Christlichen und des schlechterdings Konservativen kann nicht gelingen, da sie diese ständige Unruhe aus der Gestalt Jesu verfehlt. Nicht umsonst wird Jesus in seinen entscheidenden letzten Jahren als Wandernder ohne feste Bleibe dargestellt. Der Bezug Jesu auf die grundlegende Norm der stets neu auslegungsbedürftigen Tora führt ganz im Gegenteil zum ständigen Befragen, zum dauernden Nachjustieren jeder politischen Ordnung. So ergibt sich: Das im falschen, im starren Sinn gefasste Konservative ist geradezu das Gegenteil des Christlichen.

Nie zu vergessen ist auch, dass das Christentum bereits in seinem Namen ein Anders-Werden, eine  fundamentale „Veranderung“ trägt. Denn der große Mittler, der dieser Religion den Namen verleiht, gehörte ihr selbst nicht an! Er wollte alles andere als eine neue Religion zu begründen. Er gehörte der Religion an, von der sich das Christentum erst Jahre nach seinem Tod am Kreuz abgespalten hat, dem alten Israel.

So wohnte ich einmal einer Erörterung bei, wer „ein guter Katholik“ sei. Wie auch immer die Antwort ausfallen mag: Jesus war kein Christ, kein Katholik, und schon gar nicht ein guter Katholik. Er war ein Jude, der sich mit den religiösen – weniger jedoch mit den weltlichen – Autoritäten seiner Zeit grundlegend überwarf!

Das Christentum ist also die Gestaltung des Werdens vielmehr als die des Seins. Es hat sich von einem Ursprung entfernt, den es doch immer wieder einholen muss: Die Gleichung des Christlichen mit dem Konservativen kann nicht aufgehen.

Vollends abzulehnen ist die Gleichsetzung des „Bürgerlichen“ mit dem „Christlichen“.  Ich meine: Eine christliche Partei, die sich im Wesentlichen als „bürgerliche“ Partei, etwa als Gegensatz zur „Arbeiterpartei“ oder zu „linken Parteien“ versteht, kann mit Fug keinen Anspruch auf das C erheben. Sie zieht sich den Boden unter den Füßen weg.

Lesehinweis:
Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder Verlag, Freiburg 2007, hier besonders: S. 11, S. 159-160

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