Feb 032010
 

Ich erinnere mich noch dunkel an die Institutsbesetzungen der Studenten während der 68-er Bewegung. An den Aufschrei des Justemilieu, als Professor Theodor W. Adorno die Polizei rief, um das Frankfurter Institut für Soziologie von der widerrechtlichen Besetzung befreien zu lassen. Danach fiel dann aus dem Mund Jürgen Habermas‘ das berühmte Wort von den „rotlackierten Faschisten“. Gemeint war, die linksradikalen Möchtegern-Revolutionäre seien in der Wahl ihrer Mittel auch nicht besser als die rechstradikalen Nationalisten.

Allerdings: Die Politik des gewaltsamen Umsturzes durch Negierung der Staatsgewalt war keine Erfindung der Faschisten – sondern die italienischen Faschisten übernahmen diese Taktik von den Anarchisten, den revolutionären Sozialisten und den Bolschewisten, die sie bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts in Russland überreich angewandt hatten. Besser als von „rotlackierten Faschisten“ sollte man also lieber bei den Faschisten von „braunlackierten Bolschewisten“ sprechen. Erst kamen die russischen Bolschewisten – dann die italienischen Faschisten. Das Primat des gewaltsamen Umsturzversuches durch Akte der Besetzung und Zerstörung von Sachen gebührt nicht den Faschisten, sondern den Anarchisten und Kommunisten.

Szenenwechsel! Am vergangenen Montag warfen wir einen Blick auf Teile der FU, die von Studierenden sehr friedlich und idyllisch, aber eben widerrechtlich besetzt gehalten werden.  Alter Sitte sich unterwerfend, unterlassen es die FU-Verantwortlichen, die Polizei zu rufen – das gäbe böses Blut, schüfe Opfer, Heroen und Martyrer. Die FU-Leitung will keine Auseinandersetzung. Der Mut eines Theodor W. Adorno ist nicht ihre Sache. So entsteht ein klitzekleiner staatsfreier Raum, „in den sich die Polizei nicht hineintraut“.

Neuer Szenenwechsel! Über einen etwas größeren staatsbefreiten Raum berichten immer wieder Berliner Polizisten: In gewisse Gebiete Neuköllns, Weddings und Moabits trauen sie sich nicht mehr allein hinein, da bei jeder kleinen Amtshandlung sofort ein Trupp von 15 oder 20 jungen Männern zusammengetrommelt wird, der die Polizisten an der Dienstausübung hindert.  Darüber berichteten gestern die Tagesthemen:

ARD Mediathek: Tagesthemen – tagesthemen – Dienstag, 02.02.2010 | Das Erste

Wer sind diese Männer, die die Polizei allmählich zurückdrängen? Antwort: Das wird natürlich meist nicht gesagt, und es wurde auch gestern im Tagesspiegel-Bericht nur diskret angedeutet. Spricht man aber direkt mit den Polizeivertretern, etwa auf Veranstaltungen, wird schnell klar, wer diese Männer sind: es sind junge Männer türkischer und arabischer Herkunft. Gangs, Brüder, Freunde, Clans, die ihr Territorium abstecken und gewaltsam verteidigen.  „Ihr seid hier nicht in Deutschland, das ist kein deutsches Territorium mehr“, sagen die jungen Männer dann. Das berichten Polizisten auf Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen – und auch gestern in den Tagesthemen. So entsteht ein staatsfreier Raum, eine „vom deutschen Rechtsstaat befreite Zone“.

Und noch ein Beispiel fiel mir heute bei meiner laufenden Lektüre auf: Der französische Schriftsteller Boualem Sansal berichtet in seinem Buch „Le village de L’Allemand“ sehr anschaulich, wie ein junger Franzose algerisch-deutscher Herkunft sich nach Algerien auf den Weg ins Dorf seines Vaters macht. Auch dort hat sich der Staat zurückgezogen. Das Dorf liegt in der „staatsbefreiten Zone“ – in einem Wüstengebiet. Dort herrschen seit den Jahren  1990/1994 die islamischen Fundamentalisten des Groupe islamique armé (GIA, الجماعة الإسلامية المسلحة, al-Jama’ah al-Islamiyah al-Musallaha) weitgehend unbehelligt, rauben und töten bei allen, die sich ihrem Oberbefehl widersetzen.

3 Beispiele aus völlig unterschiedlichen Zeiten und Orten, 3 Beispiele ganz unterschiedlicher Schwere und Bedeutung! Aber sie haben eines gemeinsam: Sowohl an der FU wie im migrantischen Wedding wie auch in Algerien wird der Staat – allerdings in ganz unterschiedlichem Ausmaß – zurückgedrängt. Er zieht sich zurück oder hat sich schon zurückgezogen. Ich zitiere vom Klappentext: „À ce train, dit un personnage, la cité sera bientôt une république islamique parfaitement constituée.“

Was wollen wir Deutschen? Meine persönliche Antwort ist klar: Ich bin ein unbedingter Anhänger des Rechtsstaates. Ich vertrete die Meinung, dass unser demokratischer Staat sich aus dem öffentlichen Raum nicht zurückdrängen lassen darf.  In den Tagesthemen hingegen sagte der akademische Experte gestern: „Wir brauchen eine besser ausgebildete Polizei, eine Polizei, die vor Ort verankert ist.“ Das halte ich für ein falsches Argument. Ein solches Argument erweckt den Eindruck, die Polizei mache etwas falsch, wenn sie etwa ein Knöllchen verteilt. Was für ein Unsinn! Die Polizei hat das Recht und die Pflicht, den öffentlichen Raum zu überwachen und dafür auch die Sanktionsmittel anzuwenden, die das Gesetz ihr an die Hand gibt.

Jeder, der diesen Grundsatz in Frage stellt, arbeitet mit an der Schaffung „staatsbefreiter Zonen.“ Und dieser Weg ist ein Weg in das Faustrecht des Stärkeren. Ein winziger Schritt zum Faschismus, zum gewaltdeterminierten Kommunismus. Oder ein Weg in die tribalistische Kultur der vormodernen Willkürherrschaft. Oder ein Schritt zum islamischen Gottesstaat. Das lehne ich ab. Darauf sollten wir uns gar nicht  einlassen.

Wir brauchen die Herrschaft des Rechts und nur diese.

Der Fall Algerien mit seinem blutigen Bürgerkrieg der 90er Jahre ist ein warnendes Beispiel.

Lesehinweis: Boualem Sansal: Le village de l’Allemand, ou le journal des frères Schiller. Èditions Gallimard, Paris 2008

 Posted by at 22:18

  One Response to “„Staatsbefreite Zonen“ verhindern!”

  1. „… es sind junge Männer türkischer und arabischer Herkunft. Gangs, Brüder, Freunde, Clans, die ihr Territorium abstecken und gewaltsam verteidigen. “Ihr seid hier nicht in Deutschland, das ist kein deutsches Territorium mehr”, sagen die jungen Männer dann. Das berichten Polizisten auf Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen – und auch gestern in den Tagesthemen. So entsteht ein staatsfreier Raum, eine “vom deutschen Rechtsstaat befreite Zone”.

    Das ist für mich ebenso interessant wie erschreckend. Ich kenne so etwas aus München bzw. aus Bayern nicht.

    Sie schreiben darüber sachlich, das schlimme Geschehen macht Sie nicht hysterisch oder paranoid. Darum nehme ich Ihnen die Info ab.

    Was da passiert (ist), muss Konsequenzen haben. Aber nicht nur rechtliche oder polizeiliche.

    Diese türkischen und arabischen Herrschaften müssen konfronitiert werden mit dem Faktum, dass sie hier in Deutschland sind, und dass UNSERE Regeln und Gesetze gelten. Das ist die eine Form der Reaktion.

    Die andere müsste sein, Maßnahmen zu ergreifen, die das Getto mittelfristig auflösen. Das bedarf einiger sozialer und Bildungsanstrengungen sowie einer strategisch operierenden Sozialplanungin Berlin.

    In 5 Jahren ist es nicht zu schaffen, aber im Laufe von 10 – 15 Jahren wäre es wohl möglich, alle Gettos in Berlin aufzulösen und überall integrationsfähige Nachbarschaften zustande zu bringen.

    Freilich, das kostet Geld und Einsicht. Weder das Geld noch die Einsicht sind im Überfluss vorhanden. So fürchte ich, das katastrophale Beispiel, das Sie da aufgespießt haben, wird sich noch häufiger zeigen.

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