Jul 192010
 

18072010002.jpg Recht ernüchternd ist die Lage nach dem Hamburger Volksentscheid über die Schulreform des Senats. Die Befürworter und die Gegner der Reform haben wirklich hervorragend gekämpft, erstklassige Broschüren in die Materialschlacht geworfen. Ich selbst wohnte damals auf dem taz-Kongress einer Diskussion mit Christa Goetsch bei und fand, sie machte ihre Sache gut – vielleicht zu gut.

Viele Gespräche mit Berliner Eltern und Lehrern, vor allem aber meine gerüttelten eigenen Erfahrungen an Berlins staatlichen Schulen haben mich skeptischer werden lassen, was die verbindende Kraft der Grundschulen angeht. Ich war bis zuletzt ein Anhänger des gemeinsamen Lernens – mindestens in den vier Jahren gemeinsamer Grundschule!

Wenn es denn ein echtes gemeinsames Lernen wäre. Wenn es Hand und Fuß hätte. Wie demütigend waren für uns die häufigen Erfahrungen, dass wir die Hausaufgaben unseres Sohnes in der dritten Grundschulklasse nicht mehr verstanden – dabei besitzen wir beide akademische Studienabschlüsse.

Oft wird festgestellt: „Das System Schule und das System Elternhaus passen nicht zusammen. Sie sprechen keine gemeinsame Sprache.“ Das erzeugt Misstrauen auf beiden Seiten. Das Übermaß an nicht bedachten Reformen hat in Berlin zu Verdruss und Verzweiflung an allen Fronten geführt.

Spricht man offen mit anderen Eltern, so wird man sich recht bald das ganze Ausmaß der Verzweiflung eingestehen.

Ole von Beust hat es auch zutreffend bemerkt, dass der Hauptgrund für die Ablehnung der Schulreform darin lag, dass die wahlberechtigten deutschen Eltern ihre Kinder nicht mit den deutlich zurückhängenden Migrantenkindern  zusammensitzen lassen wollen. Früher habe ich diese Haltung versucht zu überwinden, etwa indem ich rief: „Was habt ihr gegen uns migrantische Familien? Kommt zu uns! Wir beißen nicht!“

Heute verstehe ich diese Eltern. Noch bis vor wenigen Monaten hätte ich für die Reform der Hamburger gestimmt – aus wohlerwogenen Gründen. Aber gestern hätte ich wahrscheinlich gegen sie gestimmt. Aufgrund von Erfahrungen.

Not tut jetzt erst einmal Systemkonstanz. Die neue Lernkultur, wie ich sie wünsche, kann sich in jedem System entfalten. Privatschulen und Gymnasien bleiben notwendig als Horte des Aufstiegs für alle, als Horte des Rückzugs vor einer zunehmend bildungsabgewandten Bevölkerungsmehrheit. Kreuzberg, Neukölln und Wedding werden vermutlich ohne Privatschulen in einen noch stärkeren Abwärtsstrudel gerissen, die bildungsnahen Familien werden ohne die Möglichkeit solcher Refugien weiterhin die türkisch-arabisch dominierten Kieze verlassen. Und die türkischen und arabischen Familien müssen aus dem behaglichen Nest der Sozialhilfe herausgedrängt werden. Sobald die Notwendigkeit der Arbeit erkannt wird, werden sie sich selber aus dem Sumpf herausziehen.

Wer dies leugnet und weiterhin nur auf Förderung setzt, lügt sich in die Tasche.

Wir brauchen vor allem eine neue Kultur des Lernens. Mehr Vertrauen in die einzelnen sollten wir setzen. Mehr Vertrauen in die jahrhundertealten Methoden des rhythmischen, des straff aufbereiteten, des übersichtlichen und relativ streng geführten Lernens und Lehrens.

Die neue Lernkultur  braucht nicht einmal mehr Geld oder mehr Ausstattung. Sondern mehr Aufmerksamkeit füreinander. Mehr Liebe, mehr Strenge. Mehr Klarheit.

Bild:  das ehemalige Schulungszentrum der DDR-Staatssicherheit für Auslandsagenten in Gosen. Hier plante im Jahr 2005 ein Investor eine Privatschule samt Internat für hochbegabte Kinder. Unser Bild zeigt den Zustand der Anlage am gestrigen Tag.

Schulreform in Hamburg: Klassenkampf – Ausgang ungewiss – Inland – Politik – FAZ.NET

 Posted by at 23:28

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