Okt 202010
 

Etwas, was ich unserer sozialpolitischen Debatte wieder und wieder vorwerfe, ist, dass Sozialleistungen mit übertriebenen Gefühlswerten aufgeladen werden. Die Sozialleistungen werden nicht als rein materielle Hilfe zur Überwindung von Not dargestellt, sondern als eine Art sozialer Wärmespender, eine Ofenstube, in der die Frierenden und Zitternden so etwas wie moralischen Halt, gefühlte Nähe, helfende Hände, verlässliche Behausung erfahren.

Der Staat soll die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit stillen, soll ihr tiefstes Wollen und Wünschen befriedigen. Der Staat soll die Menschen lieben! Ein Unding, wie ich meine!

Jeder, der – mit einem Blick auf unsere deutschen Türken – stattdessen die Familien zum besseren Zusammenhalt auffordert, der das Prinzip Nächstenliebe statt staatlicher Hängematte befürwortet, wer –  wie dieser arme einsame Kreuzberger Blogger –  Befristung, Einschränkung oder Zurückstutzung dieser sperrfeuerartigen fürsorglichen Belagerung durch den Staat fordert, wird sofort mit dem Bannfluch der sozialen Kälte zum Schweigen gebracht!

Die Politik bedient romantische Sehnsüchte! Einen bezeichnenden Beleg für diese maßlose emotionale Überforderung des Sozialstaates und der Politik  liefert soeben SPIEGEL online:

Sozialreform: Gegen Hartz-IV-Fluch – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft
„Wir leben in unsicheren Zeiten, in denen die Menschen sich nach Orientierung und Verlässlichkeit sehnen. Auch diese Sehnsucht hätte die Regierung zu Beginn besser bedienen können.“

Ein großer Irrtum, wie ich meine. Die demokratische Regierung muss es zurückweisen, die Sehnsüchte der Regierten bedienen zu wollen. Die Bürger müssen es zurückweisen, wenn die Regierung antritt, um ihre, der Bürger Sehnsüchte zu stillen.

Verlässliche Orientierung, tiefsten Halt im Leben kann niemals die Regierung geben. Diesen Halt können die Bürger nur im gelebten Leben erfahren, also etwa in der mitmenschlichen Zuwendung. Die tiefste Sehnsucht jedes Menschen ist es doch, angenommen zu werden, geliebt zu werden und zu lieben. Mit dieser Sehnsucht darf Politik nicht spielen. Sie tut es aber, wieder und wieder! Das ist verheerend. Sie schaufelt sich ihr eigenes – nicht Grab, aber zimmert doch ihr Prokrustes-Bett. Dieses selbstgezimmerte Prokrustes-Bett nennt man auch den „Hartz-IV-Fluch“.

Schaut auf die Türken! Sie haben nichts, was unserem Sozialstaat nur im entferntesten nahekäme! Dennoch – oder gerade deswegen? – waltet unter ihnen ein großer Zusammenhalt, eine große menschliche Wärme. Das erfuhr ich immer wieder auf meinen Reisen, das erfahre ich Tag um Tag hier in Kreuzberg.

„Ja, was soll denn dann an die Stelle des Sozialstaates treten? Wollen Sie denn die Menschen ihrem Schicksal überlassen, Herr Hampel? Du Böser! Du Sozialkalter! Du Geier!“

I wo! Ich sage nur: Die Sozialpolitik muss sich leiten lassen vom Gedanken der Subsidiarität und der Solidarität. Das heißt nichts anderes, als dass die kleinen Gemeinschaften, die Gemeinden, die Familienmitglieder füreinander in der Verantwortung stehen. Väter, Mütter, Kinder, Großeltern, Enkel, alle füreinander. Die Familie ist und bleibt die Trägerin und Keimzelle sozialer Sicherheit. Die Familien müssen durch Erwerbsarbeit den Lebensunterhalt für alle nicht Erwerbstätigen und nicht Erwerbsfähigen verdienen.

Der Sozialstaat kann nur von unten her aufwachsen – niemals als schuldenfinanziertes Füllhorn von oben her ausgereicht werden.

Ehemänner für Ehefrauen, Ehefrauen für Ehemänner, Eltern für die Kinder, Kinder später für die Eltern.

Und das obige gut türkische Motto? Habe ich der deutsch-türkischen Ausgabe der Broschüre „Chancen durch Integration. Ratgeber für Familien“  entnommen, herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin 2008, S. 5

Es lautet auf gut deutsch: Jeder ist seines Glückes Schmied.

 Posted by at 08:33

  2 Responses to “Herkes kendi mutluluğunu kendi yaratır!”

  1. Meiner Meinung nach sind die Hartz 4 Regelsätze auch nur da, um die minimalsten Bedarf eines Menschen zu decken. Wenn dieser mehr haben möchte zum Leben, soll er gefälligst arbeiten gehen. Bei jeder Zeitarbeitsfirma kann man einen Job als Helfer bekommen und verdient um die 850 Euro, das Amt gibt noch einmal 100 Euro drauf.

Sorry, the comment form is closed at this time.