Okt 242010
 

Der taz widmete ich mich bei schönstem Sonnenschein an diesem Wochenende, während ich mit meinem Sohn durch das Museum für Verkehr und Technik streunte und das neue Nokia E 72 mit seinem vortrefflichen Navigationssystem auf Herz und Nieren erprobte. Die Akademiker-Boulevardzeitung erweist sich wieder einmal als außerordentliche Fundgrube an klugen Irrtümern, erlesenen Torheiten und scharfsinnigen Fehlnavigationen.

Ein echter Coup: ein Diktat eines Neuntklässlers als Aufmacher!  Es ist gespickt mit Fehlern. Endlich wird einmal der Sprachstand dokumentiert, wie ich ihn aus zahlreichen Alltagsbegegnungen mit typischen Jugendlichen in Berlin kenne! Dafür gebührt der guten taz Lob und Ehr!

Christian Füller, der eigentlich früher auch viele kluge Bemerkungen über die Schule gebracht hat, schreibt den miserablen Sprachstand der Berliner Jugendlichen dem ineffizienten, ungerechten und undemokratischen Schulsystem – auch der Pisa-Sieger – zu. „Es liegt am Auslesedruck der gegliederten Schule.“ Ei der Daus. Diesen Unsinn  hören wir schon seit vielen Jahren.

„Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ –  unter dem Schutzschirm dieser Behauptung wird wieder und wieder die alleinige Schuld auf das Schulsystem, auf die gescholtenen Lehrer, auf die fälschlich unterstellte Unterfinanzierung der Schule geschoben.

Ich für mein Teil schiebe mindestens einen Teil der Schuld an den niederschmetternd niedrigen Sprachkenntnissen auf die Familien, auf die chronisch überfinanzierte soziale Sicherung, auf mangelnden Erwerbsdruck, auf mediale Übersättigung, auf Bequemlichkeit und Lernunlust. Ich stelle bei Schülern und Eltern in Berlin eine alle Grenzen sprengende Verwöhnungserwartung fest:

„Wir Familien sind bezahlte Gäste im Hotel Schule. Nun mach mal! Wo sind die Luftballons? Wo ist das Gratiseis?“

Ich spreche wirklich aus Erfahrung. Bei einer Befragung von Eltern, wie ihnen denn die Schulfeier gefallen habe, hörte ich fast nur Kritik: „Das Eis hat nicht für alle Kinder gereicht. Die Luftballons haben nicht für alle Kinder gereicht. Der Saal war zu klein.“

Das ist die Haltung, welche das Hotel Deutschland über die Jahrzehnte herangezüchtet hat.  Mit dieser Haltung kommen die Kinder dann ins Hotel Schule.

Nichts, aber auch gar nichts – am allerwenigsten Erfahrungen aus einem Land mit ungegliedertem Schulwesen wie etwa Frankreich –  können die Gegner des gegliederten Schulwesens zur Stützung ihrer kühnen Behauptungen vorbringen.

Am Ende der neunten Klasse sollte man schon Deutsch können. Ist das ein unmenschlicher Leistungsdruck?

 Posted by at 20:52

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