Nov 252010
 

Sind der Staat und die Schule allein zuständig dafür, dass die Kinder zu glücklichen, klugen, selbstbewussten, verantwortlichen Jugendlichen und dann Erwachsenen erzogen werden?

Genau diese Frage drängte sich mir soeben nach dem Lesen der Süddeutschen Zeitung und der Berliner Morgenpost auf.

Liebe Blog-Leser! Lest selbst auch die Seite 18 in der heutigen Morgenpost! Die Schulen werden künftig benotet, sie stehen also unter verschärfter Beobachtung. Die Schulen müssen fleißiger werden, die Schulen müssen zeigen, was sie können. Sonst setzt es Strafen: Strafversetzungen für Minderleister unter den Direktoren, es gibt Verweise und Meldungen einer neuartigen Qualitätsbeauftragten – einer Mutter, die mit Argusaugen über die Schulen wachen wird.

Fehlverhalten und unentschuldigte Ausfallzeiten der Lehrer werden gnadenlos geahndet. Die Schulen werden einem verschärften Leistungsdruck ausgesetzt. Sie müssen sich dem Wettbewerb stellen. Eltern werden aufgefordert, ihre Ansprüche gegen die Schule offensiv durchzusetzen. Die Eltern  werden also aufgefordert, die Schulen zu beaufsichtigen und zu erziehen, damit die Schulen endlich ihrem umfassenden Erziehungsauftrag nachkommen.

Qualitätsverbesserungen – Schulen werden künftig benotet – Berlin – Berliner Morgenpost – Berlin

Ich halte das im Großen und Ganzen für – – – verkehrte Welt. Einzelnes mag gut sein, so etwa 8 Stunden verpflichtende, systematisch gestaltete Fortbildung für alle Lehrer. Insgesamt aber beobachte ich in Berlins Schulpolitik eine verheerende Tendenz, alle Leistungserwartungen auf die Institution Schule zu richten und den Schüler, oder besser gesagt: die Eltern und die Schüler von jeder Gelingenserwartung freizustellen.

Dieser Ansatz ist falsch. Man kann nicht Noten für Schüler abschaffen und wenige Jahre drauf Leistungsmessungen und Benotungen für Schulen einführen. Man kann nicht die Jungen und Mädchen von jedem individuellen, objektiven Leistungsvergleich fernhalten und zugleich die Schulen kollektiv zum Leistungsvergleich verpflichten.

Selbst die vielgeschmähte „sozialistische Einheitsschule“ der DDR und der Sowjetunion legte allergrößten Wert auf individuelle Leistung, auf Elitenförderung, auf Einhaltung von objektiv festgeschriebenen Leistungszielen. So sollten alle Kinder am Ende etwa der ersten Klasse in langsamem Tempo lesen und schreiben können. Und siehe da – fast alle konnten es. Auch die ach so migrantischen „Vietnamesenkinder“. Das haben mir Lehrer und Schüler aus der ehemaligen DDR berichtet, die sich im neuen Schulsystem „des Westens“ oft nur mit Mühe zurechtfinden.

Wer es nicht schaffte, wurde gezielt gefördert. Die Lehrer besuchten dann die Familien zuhause, gaben Ratschläge und Empfehlungen, wie die Eltern das Kind zu mehr Fleiß, zu mehr Anstand und Tüchtigkeit erziehen konnten. Durch starken Appell an die individuelle Leistungsfähigkeit, durch Appell an die Elternverantwortung gelang es in der DDR und der Sowjetunion, fast allen Kindern bis zum Ende des ersten Schuljahres Lesen und Schreiben beizubringen.

Anders heute in Berlin! Durch ständiges Einprügeln auf die staatliche Schule, durch Beaufsichtigen der Schuldirektoren und durch gegen die Lehrer verhängte Strafen gelingt es, die Schüler und die Eltern nahezu vollständig von jeder Verpflichtung zur individuellen Anstrengung freizusprechen.

Alte Tugenden wie Fleiß, Geduld, Wettbewerb der Kräfte und Respekt vor Lehrern haben ausgedient. Sie landen auf dem Müllhaufen. Dabei herrschte von Sokrates‘ Zeiten (4. Jh. vor Chr.) etwa bis 1968 n. Chr. in weiten Teilen Europas – auch im „Westen“ – die Meinung vor, dass Erfolg und Gelingen ohne eigenes Zutun des jungen Menschen nicht möglich seien.

Das Ergebnis ist bekannt:  Trotz besonders hoher Pro-Kopf-Bildungsausgaben liegt das Bundesland Berlin im Ländervergleich konstant auf einem der letzten Plätze. Bei uns in Kreuzberg können sehr viele Jugendliche am Ende des achten Schuljahres weder richtig lesen noch richtig schreiben. Sie werden dann weitergereicht an die jahrelange oder jahrzehntelange Nachbeschulung durch Firmen, Sozialhilfeträger, Gefängnisse, Integrationsmaßnahmen, Krankenhäuser, „Fortbildungs“-Einrichtungen und Suchtkliniken. Selbstverständlich alles durch uns wackere Steuerzahler finanziert.

Der Staat und die Schule werden im öffentlichen Bewusstsein der Stadt Berlin grenzenlos in Haftung genommen. Generationen von Sozialhilfeempfängern werden auf diese Weise aufgepäppelt.

Der Staat überhaupt und die Schule im Besonderen sind im Bundesland Berlin zur Geisel einer schrankenlosen Anspruchsmentalität geworden.

Dagegen hilft nur eine neue Kultur des Lernens, eine neue Kultur der individuell zu übenden Tugenden. Dagegen hilft nur, die Eltern aktiv als die entscheidenden Erzieher ihrer Kinder in die Schulgemeinschaft einzubeziehen.

Ich bin überzeugt: Die Eltern und die Schüler tragen die Hauptverantwortung für das Gelingen des eigenen Lebensentwurfes. Sie müssen es selber lernen. Schule kann beim Lernen helfen, muss beim Lernen helfen. Schule muss Mittel und Gelegenheiten des Lernens bereiten. Und das tut sie bereits!

Dieses Zeugnis bin ich bereit vor allen Qualitätsbeauftragten und Schul-Prüglern auszustellen.

 Posted by at 11:51

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