Jan 262011
 

Meldung 1:

Rückzug von einer allzu engen Bühne – Nachrichten Print – WELT AM SONNTAG – Politik – WELT ONLINE
Laut “Leipziger Volkszeitung” kritisierte Rentsch Müller schriftlich dafür, “das öffentliche Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht als selbstständiges Verfassungsorgan in erheblichem Maße zu beschädigen”.

Meldung 2 aus der Süddeutschen Zeitung, Seite 1:

Darin heißt es, die “große Akzeptanz” des Bundesverfassungsgerichts entspringe auch der Tatsache, dass die Richter dort “grundsätzlich nicht aus der ersten Reihe der aktiven Politik stammen”. Werde diese Praxis nun geändert, könne dies dazu führen, das öffentliche Vertrauen in das Karlsruher Gericht “als selbstständigem Verfassungsgericht erheblich zu beschädigen”.

Meldung 1 verwendet den Akkusativ, Meldung 2 den Dativ. Was ist richtig?

Antwort: Meldung 1 ist grammatisch richtig, Meldung 2 ist grammatisch falsch. Warum? Als selbständiges Verfassungsgericht ist Apposition, eine  erläuternde Beifügung, die sich im Kasus in aller Regel nach dem Bezugswort richten muss. Die Nominalgruppe Vertrauen in das Karlsruher Gericht verwendet den Akkusativ, folglich muss auch die Apposition „als selbständiges Verfassungsgericht“ im Akkusativ stehen.

Auffällig bleibt gleichwohl, dass viele Sprechende und Schreibende bei Appositionen oft den Dativ statt eines anderen Kasus verwenden. Sie weichen auf den Dativ aus, obwohl Genitiv oder Akkusativ grammatisch richtig wären. Hierfür ein weiteres beliebiges Beispiel aus der jüngsten Lektüre. Über die Stadt Domažlice (dt. Taus) lasen wir am Sonntag in einem Buch über die Geschichte Tschechiens:

„Das im 13. Jahrhundert gegründete Domažlice an der Straße von Prag nach Regensburg war einst die westlichste Stadt im Königreich Böhmen. Jahrhundertelang war es zudem das Zentrum der Choden, einem slawischen Volksstamm mit eigener Mundart und eigenen Bräuchen.“

Was sagen die Schulmeister zu dem Phänomen? Die in meiner Handbibliothek befindliche sechste Auflage der Duden-Grammatik äußert sich so: „Nicht selten wird die Apposition – vor allem nach Präpositionalgruppen – fälschlich in den Dativ gesetzt, obwohl das Bezugswort in einem anderen Kasus steht.“ Die neueste Duden-Grammatik (8. Auflage), welche ich bei einem kurzen Besuch der Buchhandlung am Potsdamer Platz zu Rate zog, hält sich etwas vornehmer zurück. Sie nennt diese ausweichende Dativ-Verwendung bei Appositionen nicht mehr falsch, sondern ungrammatisch.

Ich persönlich bin – wie so oft – ein Anhänger der alten Schule. Ich halte die genannten Beispiele des Ausweichens in der Süddeutschen Zeitung und dem Buch über Tschechien für „grammatisch falsch“ und meine, es wäre für uns alle besser, die Apposition hier im Kasus an das Bezugswort anzugleichen.

Ich vertrete die Auffassung, dass nur folgende Fassungen richtig sind:

 „Jahrhundertelang war es zudem das Zentrum der Choden, eines slawischen Volksstamms mit eigener Mundart und eigenen Bräuchen.“

„Das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht als selbständiges Gericht wird beschädigt.“

Aber der Mensch ist frei, wie gerade das Bundesverfassungsgericht immer wieder bekräftigt hat. Keiner kann gezwungen werden, richtiges Deutsch zu schreiben!

Ob sie nun von den Choden, den Schlesiern, den Kurden, den Tscherkessen oder den Sueben abstammen: Der Blogger setzt volles Vertrauen in die deutsche Sprache als kraftvoll sich weiterentwickelndes Leitmedium der Verständigung zwischen allen in Deutschland lebenden Menschen gleich welchen ethnischen Hintergrundes.

Belege:

DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6. Auflage, Dudenverlag Mannheim, 1998, S. 744

Markus Mauritz: Tschechien. Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Südosteuropa-Gesellschaft München 2002, S. 249

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