Die Frühpensionäre vom Liebig 14

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Jan 252011
 

Extreme Staatsabhängigkeit, Verharren in Unmündigkeit, eine grenzenlose Anspruchshaltung gegenüber dem mütterlichen Staat, der alle Geselligkeitswünsche unterstützen muss: das ist die Haltung, die sich die butterweichen, gluckenhaften Regierungen unseres Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, unserer Stadt Berlin über die Jahrzehnte herangezüchtet haben. Bezeichnend für diese Anspruchshaltung: Wenn eine Wohnmöglichkeit ausläuft, weil der Hauseigentümer gekündigt hat, wird sofort vom Staat, in diesem Fall vom Berliner Senat, eine wärmende Mutterhöhle verlangt. „Fein sein – beinander bleibn!“, heißt es im Bayrischen Volkslied.

Die Bewohner der Liebig 14 hinterlassen den Eindruck von kleinen Kindern, die von ihren Eltern verlangen, sie sollten ihnen eine wärmende Höhle – also eine „Wohnalternative“ – auf Lebenszeit bereitstellen. Und wenn Mutti und Papi nicht wollen, wie es die Kiddies verlangen, wird Rabatz geschlagen. Wenn Mami und Papi vom SPD/Linke-Senat sagen: „Dafür sind wir nicht zuständig, ihr seid erwachsene Menschen, sucht euch einen Platz, arbeitet dafür!“, wird losgeplärrt: „Wie könnt ihr so böse, so gleichgültig sein, uaah! uaghh!“ Und dann werden die Buben und Mädchen richtig, richtig BÖSE! Lest:

Hausprojekt Liebig 14: Politik zofft sich vor der Räumung – taz.de
„Der Senat hat keine einzige Wohnalternative für das Projekt im Friedrichshain angeboten“, kritisierte die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. Auch habe sich die SPD an keinem runden Tisch beteiligt. „Da herrscht Gleichgültigkeit.“

Was hätte Alexander Mitscherlich dazu gesagt? Wahrscheinlich dies:

Alexander Mitscherlich – Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft
»In der unübersichtlichen Massengesellschaft«, schrieb Mitscherlich 1963, »hat diese autoritäre Form der Eingewöhnung in das soziale Feld aber eine unerwartete Antwort gefunden, nämlich eine Stärkung der Abhängigkeitsbestrebungen und eine Bejahung der Unmündigkeit. Das faktische Gegenbild zu den für unsere Zeitläufte charakteristischen Helden der Massen sind die ‘initiativarmen” Frühpensionäre, die in ihren Wohlfahrtsstaaten nie flügge werden wollen.«

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Turnhalle oder Mensa? Fordern oder verwöhnen?

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Jan 242011
 

Eine Turnhalle dient der körperlichen Ertüchtigung. Dort lernen Kinder und Jugendliche springen, laufen, heben, sie üben das Zusammenwirken in Mannschaften, sie tun etwas für die Fitness, sie bauen motorische Defizite ab, wie sie etwa Kapitän Schatz von der Gorch Fock so bitter beklagt hat: „Die Jungs schaffen heute keine 10 Klimmzüge mehr.“ Die Turnhalle fordert den körperlichen Einsatz, sie stärkt die leiblich-seelischen Kräfte. Sie ist symbolisch der „strenge Vater“, der Anstrengung von den Kindern verlangt.

Eine Mensa dagegen bietet wie eine symbolische gute Mutter gesundes, warmes Essen an. Dort bekommen Kinder und Jugendliche ohne eigene Mühe hochwertige Kost, hochwertiges Essen zu niedrigem Preis oder ganz auf Kosten des Staates. Die Väter und Mütter, die Kinder und Jugendlichen  brauchen nicht mehr selbst einzukaufen und zu kochen, der Staat versorgt die Kinder mit Essen und Trinken. Die Mensa ist ganz lieb und ganz mütterlich zu den Kindern, versorgt die Bürger gütig mit dem Lebensnotwendigen.

Eindeutig zugunsten des verwöhnenden Versorgungsstaates spricht sich SPD-Fraktionschef Müller aus.

Klausur der SPD-Fraktion: Wahlkampf mit Familie – taz.de
„Wenn man vor der Entscheidung steht, ob eine Mensa oder eine Turnhalle gebaut werden soll, kann die Entscheidung nur heißen: Mensa“, sagte Müller.

Ich halte das für ein verheerendes Signal. Umgekehrt ist es richtig! Eine neue Turnhalle ist wichtiger als eine neue Mensa! Mehr Sport, mehr körperliche Anforderungen, mehr Selberkochen, mehr Eigenverantwortung für die Ernährung – das tut den Berliner Kindern not! Viele Familien kochen nicht mehr warm, obwohl sie Zeit und Geld dafür haben.

Die Mütter und Väter sollen mehr selber kochen, die Kinder und Jugendlichen sollen lernen, wie man sich gesund, hochwertig und auf eigene Kosten ernähren kann!

Ich zum Beispiel schwöre im Winter auf Kohl in allen Variationen: Weißkohl, Wirsing, Rosenkohl, Chinakohl, Rotkohl, das schleppe ich aus dem Niedrigpreis (NP) an – dazu die passende Sättigungsbeilage (Kartoffeln, Nudeln) und ein bisschen Eiweiß-Zufuhr (etwa Fisch oder Schichtkäse oder Tofu) – das ist nicht teuer. Das kann jeder. Und es schmeckt.

Wir brauchen keine Mensen flächendeckend. Wir brauchen keinen huldvoll und gnädig zudeckenden, lähmenden Versorgungsstaat.

Bürgerinnen! Bürger! ErMANNT euch! Rebellion! In die Wanten!

Anpacken ist angesagt.

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Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft

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Jan 242011
 

Die vaterlose Gesellschaft ist in gewisser Weise die „überaus mütterliche Gesellschaft“, also die Gesellschaft, die sich ganz auf die Versorgungsleistungen herum gruppiert. Das Bundesland Berlin ist – wie ich meine – unter allen 16 Bundesländern das „vaterloseste“, das „mütterlichste“ Bundesland.

Nirgendwo werden so sehr wie hier alle Probleme des einzelnen sofort auf staatliche Hilfsangebote hin umgedeutet.

Was die Berliner SPD-Fraktion jetzt wieder auf ihrer Dresdener Klausur zur Familienpolitik hervorgezaubert hat, bestätigt meine Analyse in schonungsloser Offenheit! Von mehr, von beser ausgebauten Hilfsangeboten ist die Rede. Mehr Essen vom Staat, mehr Hilfe vom Staat, mehr Betreuung vom Staat, mehr Beratung vom Staat! Berlin ist Spitze darin und soll es laut SPD auch bleiben, mögen Mappus‘ böse Buben aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen noch so poltern und toben ob der knapp 3 Milliarden Euro, die sie aus dem Länderfinanzausgleich berappen!

Herrlich ist das Bild in der taz, welches Wowereit – den Bürgermeister und symbolischen „Vater“ der Stadt – geradezu erdrückt von weiblich-wolkigen Glücksversprechungen in Gestalt der sozialen Engel-Frauen zeigt. DAS ist eine Welt, DAS ist die wolkig-duftig-lockere Welt des fürsorglichen Übermutterstaates, genannt Bundesland Berlin! Die Hauptstadt der Verwöhnung!

Lest jetzt die hellsichtig-prophetische Psycho-Analyse des heutigen taz-Bildes aus der Feder von Alexander Mitscherlich (verfasst 1963):

Alexander Mitscherlich – Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft
»In der unübersichtlichen Massengesellschaft«, schrieb Mitscherlich 1963, »hat diese autoritäre Form der Eingewöhnung in das soziale Feld aber eine unerwartete Antwort gefunden, nämlich eine Stärkung der Abhängigkeitsbestrebungen und eine Bejahung der Unmündigkeit. Das faktische Gegenbild zu den für unsere Zeitläufte charakteristischen Helden der Massen sind die ‚initiativarmen“ Frühpensionäre, die in ihren Wohlfahrtsstaaten nie flügge werden wollen.«

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Jan 242011
 

04082010015.jpg Söhne berühmter Männer haben es schwer. Der Ruhm des Vaters entrückt den Vater. So muss es August von Goethe, der Sohn Goethes (sic!), erfahren haben, der mit 40 Jahren auf einer Italienreise starb. Die lateinische Grabinschrift auf dem protestantischen Friedhof in Rom lautet:

GOETHE FILIVS / PATRI / ANTEVERTENS / OBIIT / ANNOR XL / MDCCCXXX

Goethes Sohn / dem Vater / voranschreitend / starb / im 40sten Jahre / 1830

Die Arbeit am eigenen Ruhm nimmt den Vater und meist auch nebenherlaufend den Sohn gefangen – ob er nun Politiker oder Künstler ist, das Muster vom fernen Vater bleibt meist dasselbe.

Darüber berichtet der Sohn eines berühmten Politikers im aktuellen Focus mit ergreifenden Worten.

„Die Familie meines Vaters“ – Berliner Zeitung

Darüber hinausgehend erinnert mich diese Klage über den fernen Vater auch an das seit langem in diesem Blog verfolgte Thema der innerlich vaterlosen Söhne. Das ist eine der größten Nöte unserer Gesellschaft. Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, so sprach Alexander Mitscherlich das Thema bereits im Jahr 1963 an! Er erkannte damals bereits die innere Vaterlosigkeit als eine der belastendsten Hypotheken für die nachwachsende Generation.

Seine Diagnose – Wir sind auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft – hat sich heute, im Jahr 2011, mehr als er damals wohl ahnen konnte bewahrheitet.

So bin ich der festen Überzeugung, dass sehr viele soziale Probleme wie sie etwa der neueste Berliner Sozialatlas auflistet, also beispielsweise Sucht, Arbeitslosigkeit, Scheidungsnöte, Kriminalität junger Männer, Depressionen und Bildungsversagen junger Männer, mit dem Mangel einer guten, spannungsreichen, anspornenden Vaterbeziehung zu tun haben, mit dem Mangel an konkret erfahrenen männlichen Vorbildern.

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Fragen mit gelben Haaren, Lederkutte und mit Dativ

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Jan 242011
 

16082010011.jpg „Doktor, ich muss dir was fragen!“ Eine typische Frage, so berichtet es Jeannette Klemmt, die Tierärztin, die sich in Friedrichshain um die Hunde von Wohnungslosen kümmert. Löblich – ein Herz für Tiere UND Menschen! Und genauso gut finde ich, dass Jeannette Klemmt sich Verdienste um gepflegte deutsche Sprache erwirbt, wie der tip  am 28.12.2010 berichtet:

 Als ein junger Hundehalter mit gelben Haaren und Lederkutte ungelenk zu einer Frage ansetzt, unterbricht ihn die Ärztin: „Ich will DICH etwas fragen, nicht DIR. AKKUSATIV!“

Warum Akkusativ?  Nun, die deutschen Verben (etwa fragen, unterbrechen, antworten) fordern bestimmte Satzbaupläne, fragen beispielsweise verlangt oder „regiert“ den Akkusativ, antworten verlangt den Dativ. Beispiele:

Der junge Hundehalter mit gelben Haaren und Lederkutte fragt die Ärztin.
Die Ärztin fragt den jungen Hundehalter mit gelben Haaren und Lederkutte. AKKUSATIV!

ABER:
Der junge Hundehalter mit gelben Haaren und Lederkutte antwortet der Ärztin.
Die Ärztin antwortet dem jungen Hundehalter mit gelben Haaren und Lederkutte.
DATIV!

Alles ganz einfach, oder?

Hier kommt aber eine schwere Nuss für alle Freunde der deutschen Grammatik. Erneut geht es um das haarige Problem: Dativ oder Akkusativ?

Frage: Sind die folgenden beiden Pressemeldungen in richtigem, in gutem Deutsch abgefasst? Sie unterscheiden sich im Gebrauch von Akkusativ und Dativ! Welche Zeitung schreibt besseres Deutsch?

Meldung 1 aus der heutigen WELT:

Rückzug von einer allzu engen Bühne – Nachrichten Print – WELT AM SONNTAG – Politik – WELT ONLINE
Laut „Leipziger Volkszeitung“ kritisierte Rentsch Müller schriftlich dafür, „das öffentliche Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht als selbstständiges Verfassungsorgan in erheblichem Maße zu beschädigen“.

Meldung 2 aus der heutigen Süddeutschen Zeitung, Seite 1:

Darin heißt es, die „große Akzeptanz“ des Bundesverfassungsgerichts entspringe auch der Tatsache, dass die Richter dort „grundsätzlich nicht aus der ersten Reihe der aktiven Politik stammen“. Werde diese Praxis nun geändert, könne dies dazu führen, das öffentliche Vertrauen in das Karlsruher Gericht „als selbstständigem Verfassungsgericht erheblich zu beschädigen“.

Meldung 1 verwendet den Akkusativ, Meldung 2 den Dativ. Was ist richtig? Beide? Keine? Die WELT? Die Süddeutsche Zeitung?

Auflösung des grammatischen Rätsels folgt übermorgen in diesem Blog!

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Žádnyj neví, co jsou Domažlice – niemand weiß, was Domažlice ist

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Jan 232011
 

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Beim Spaziergang durch die kalte sonntägliche Großbeerenstraße fiel mir heute wieder das folgende tschechische Volksliedchen ein, das ich vor langen Jahren während des Tschechisch-Selbstunterichts gelernt habe – und das ich nicht versäumte vor mich hin zu trällern – sehr zum Erstaunen meiner Begleiterin – und wobei ich sicher war, seit langer Zeit der erste Mensch zu sein, der je vor dem HAU dieses Liedchen sang:

Žádnej neví co jsou Domažlice,
žádnej neví co je to Taus.

Taus je to Německy,
Domažlice česky,
žádnej neví co je to Taus.

Žádnej neví co je to železo,
žádnej neví co je kroužek.

Kroužek je železo,
má zlatá Terezo,
žádnej neví co je kroužek.
„Tschechien“ – so lautet ein vorzügliches Bändchen, das Markus Mauritz über die Geschichte unseres neben Polen zweiten großen slawischen Nachbarn herausgebracht hat und das ich heute las.

Erstaunlich!  Dieser Staat, die Tschechische Republik, ist das Endergebnis eines jahrhundertelangen Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer Gruppen in einem eng umgrenzten Raum – Böhmen und Mähren. Tschechen, Deutsche, Slowaken, Ungarn, Juden, Ruthenen, – das waren die Völker, die ab 28.10.1918 zum ersten Mal in Mitteleuropa in einem wahrhaft demokratischen, multiethnischen, multikulturellen Gemeinwesen zusammenleben sollten. Ein gewaltiges, letztlich gescheitertes Experiment, das intensives Studium verdient!

Am 17.07.1992 erklärte sich der slowakische Landesteil zum souveränen Staat. Dies war das Ende des Experiments eines multethnischen demokratischen Staates.

Nicht einmal die Tschechen und die Slowaken, die angeblich nahverwandten slawischen Brudervölker haben es also miteinander ausgehalten! Damit ist der mich immer wieder verblüffende Zustand eingetreten, dass fast alle europäischen Demokratien nunmehr Nationalstaaten geworden sind. Die beiden Ausnahmen sind Belgien und Schweiz.

Die Bundesrepublik Deutschland meint immer noch, ohne den Begriff der „Volksgruppen“ auskommen zu können, obwohl wir mit den Türken eine annähernd 3 Millionen Menschen umfassende, klar umrissene ethnische Minderheit bei uns haben. Nicht umsonst spricht etwa der einflussreiche Türkische Bund in seiner Satzung eindeutig davon, dass er „Minderheitenrechte„, also echte Gruppenrechte für die türkische Volksgruppe einfordert.

Besonders nachdenklich stimmt mich die Tatsache, dass die Tschechen und die Deutschen über Jahrhunderte hin in wechselnden staatlichen Gebilden miteinander und nebeneinander herlebten, aber sich nirgendwo tiefgreifend vermischten. Es war über die Jahrhunderte meist für jeden Bürger sofort klar, ob er Deutscher oder Tscheche war.

Weder unter den Fürsten noch in der Demokratie bildete sich eine übergreifende, multiethnische, multikulturelle neue Identität heraus.

Wird es also auch mit unseren Türken so sein, dass sie noch in Hunderten von Jahren sich als „Türken in Deutschland“ und nicht als „Deutsche mit türkischem Hintergrund“ sehen? Ich halte dies für höchst wahrscheinlich.

Das faktenreiche, klug abwägende Buch von Markus Mauritz sollte jeder lesen, der zum Thema Integration und Mulitkulturalismus mitreden will.

Hier die Angaben:

Markus Mauritz: Tschechien. Verlag Friedrich Pustet Regensburg. Südosteuropa-Gesellschaft München 2002.

Amazon.com: Tschechien. (9783791717692): Markus Mauritz, Horst Glassl, Ekkehard Völkl: Books

 Posted by at 23:32
Jan 222011
 

Die Antwort, wie sie der neue Soziatlas Berlins vorlegt, lautet: Ja! Kinder, die in Hartz-IV-Haushalten aufwachsen, gelten definitorisch als arm. Armut von Kindern gilt als Skandal, als unerwünscht. Man muss etwas tun, um Kinderarmut zu beseitigen! Was? Nun, man muss Geld so einsetzen, dass die Kinder nicht mehr arm sind. Die große Geld-Verteilungsmaschinerie kommt in Gang. Ziel der Transferzahlungen soll es sein, Kinderarmut zu beseitigen. Dann wird zum Beispiel ein Projekt aufgelegt, in dem eine Ausstellung über Satellitenschüsseln mit Geldern bezuschusst wird, so dass etwas Geld zur Linderung der Armut in die Armutsquartiere fließt. Dies ist KEIN WITZ, sondern es geschieht in Berlin tatsächlich.

Allein – das hehre Ziel wird nicht erreicht. Denn weiterhin gelten Kinder, die in Hartz-IV-Haushalten aufwachsen, als arm.

Stimmt das? Sind diese Kinder arm? Nein. Diese Kinder sind nicht materiell arm. Sie haben materiell und finanziell alles, was ein Kind zum Gedeihen gebraucht.  Bitte glaubt es mir. Ich kenne doch Dutzende von Hartz-IV-Familien. Ich lebe in einem der sozialschwächsten Gebiete von ganz Berlin. Nicht die materielle Armut bedrückt die Menschen. Es bedrückt sie überhaupt recht wenig. Sie sind nicht unglücklich. Warum sollten sie unglücklich sein? Aus der Perspektive des einzelnen spricht nichts dagegen, das ganze Leben von staatlichen Versorgungsleistungen zu leben. Die Hartz-IV-Existenz ist weder menschenunwürdig, noch ist sie ein gesellschaftlicher Makel, noch ist sie im entferntesten als Armut zu bezeichnen. Im Gegenteil, sie sichert ein bescheidenes, beschauliches Auskommen für alle Familien, und häufig kann man sogar noch Geld an arme Verwandte schicken.

Allein die Gesellschaft insgesamt, allein die Volkswirtschaft insgesamt muss ein Interesse daran haben, die Familien aus der Arbeitslosigkeit, die Jugendlichen aus der Abhängigkeit von Transferzahlungen herauszubringen. Denn wir – also die Gesellschaft – wissen: Beim jetzigen Wachstum des Anteils der Sozialleistungen am Staatshaushalt wird – bei der jetzigen demographischen Entwicklung – die gesamte Volkswirtschaft in vielleicht 20 oder 25 Jahren zusammenbrechen. Bereits heute sind es vor allem die unverdienten Gratifikationen des Staates, die einzelne Länder wie etwa Griechenland oder Portugal an den Rand des Bankrotts bringen: Frühpensionierungen, aufgeblähte Beamtenschaften, Steuerhinterziehung, Versorgungsleistungen, Subventionen des Staates.

Die Verschuldenspolitik der Staaten stellt die große ernsthafte Bedrohung für die Stabilität der Sozialsysteme dar.  Es sind nicht so sehr die Fehler, die Selbstbereicherung der Manager, die „Umverteilung von unten nach oben“. Diese Selbstbereicherung der Oberschicht auf Kosten der Allgemeinheit gibt es, aber sie ist das kleinere Problem. Das Problem der Ausplünderung der Staatsfinanzen durch die Reichen existiert zwar – siehe Bankenskandale, siehe Bürgschaften – , aber es ist lösbar durch kluge, effiziente, harte Maßnahmen der Finanzpolitik.

Das Problem der Überbelastung der Staatsfinanzen durch die anteilmäßig wachsenden Sozialleistungen ist das größere Problem.

Bereits heute sind viele deutsche Kommunen vor allem durch die Sozialausgaben an den Rand der Handlungsfähigkeit gedrängt.

Mehr Ehrlichkeit ist angesagt! Zunächst einmal sollte man das Reden von Kinderarmut ganz schnell einstellen. Die Kinder sind nicht im materiellen Sinne arm, sondern arm an Vorbildern, denn ihnen fehlt die Grunderfahrung, dass die Eltern für den Lebensunterhalt arbeiten gehen. Die Kinder sind arm an Sinnhorizonten, da der Staat ihnen absolute Versorgungssicherheit verspricht.  Wenn die Eltern oder ein Elternteil arbeiten ginge, stünden die Kinder – bei gleicher finanzieller Ausstattung – sofort besser da: Sie hätten Orientierung in einem verlässlich gegliederten Alltag. Sie erführen, dass man sich im Leben anstrengen muss. Jetzt erfahren sie die Botschaft: Wozu sich anstrengen? Das Geld kommt sowieso.

Die Kinder brauchen vor allem Sinnhorizonte!

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Ist jede ihres Glückes Schmied?

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Jan 222011
 

 Fortes fortuna adiuvat, jede ist ihres Glückes Schmied, herkes kendi mutluluğunu kendi yaratır –  so oder so ähnlich mag es die Volksweisheit. Bezirksbürgermeister Schulz hob am 19. Jänner lobend im Interview hervor: Bei den Nachkommen der Menschen aus Vietnam und Ex-Jugoslawien gibt es exzellente Schulleistungen. Sie haben ein starkes Bild, dass sie der „Schmied vom eigenen Glück“ sind.

Wer schafft Glück? Haben wir es in der Hand? Man möchte annehmen, dass ein Dichter der Tat, ein Dichter des bürgerlichen Schaffens und Wirkens wie Friedrich Schiller ebenfalls diesem Glauben huldigen würde, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Sittliche Vervollkommnung, beständiges Streben und Rennen auf der Laufbahn des Lebens müssten doch zum Erfolg führen! Nicht umsonst wurde Schiller durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch zum Hausdichter des deutschen Bürgertums!

Wie überrascht war ich heute, etwas Gegenteiliges in Schillers großem Gedicht „Das Glück“ zu lesen.

Schiller: Das Glück
Groß zwar nenn ich den Mann, der, sein eigner Bildner und Schöpfer,
Durch der Tugend Gewalt selber die Parze bezwingt,
Aber nicht erzwingt er das Glück, und was ihm die Charis
Neidisch geweigert, erringt nimmer der strebende Mut.

Das Lebensglück ist keine Verfügungsmasse. Wir haben das Glück nicht in der Hand. Schiller fasst glückhaftes Gelingen als unverdiente, unberechenbare Gabe der Götter. Und er greift bewusst das Bild des Schmiedens auf, wenn er sagt: Achilles, das Urbild der Tugend, wurde durch die Götter, insbesondere den Schmiedegott Hephaistos, bevorzugt. Der Gott schmiedete ihm seinen Schild.

Zürne dem Glücklichen nicht, daß den leichten Sieg ihm die Götter
Schenken, daß aus der Schlacht Venus den Liebling entrückt.
Ihn, den die lächelnde rettet, den Göttergeliebten beneid ich,
Jenen nicht, dem sie mit Nacht deckt den verdunkelten Blick.
War er weniger herrlich, Achilles, weil ihm Hephästos
Selbst geschmiedet den Schild und das verderbliche Schwert,
Weil um den sterblichen Mann der große Olymp sich beweget?

Wir könnten heute sagen: Die Startchancen im Leben sind für die einzelnen nicht gleichmäßig verteilt. Dies scheint eine uralte, jahrtausendelang festgestellte, aber um nichts weniger empörende Ungerechtigkeit zu sein. Kinder, die in der Sahelzone geboren werden, sind gegenüber den Kreuzberger Kindern im Sozialplanungsquartier Gleisdreieck im unaufholbaren Nachteil. Kinder, die ab dem Alter von 8 Jahren in Bangladesh für einen Hungerlohn Knöpfe annähen, könnten neidisch auf all jene Kinder in Marzahn-West blicken, die jeden Tag genug zu essen und zu trinken haben, die ein Dach über dam Kopf haben, die zehn Jahre lang kostenlosen Schulunterricht genießen, denen alle Chancen offenstehen. Sie, die Kinder in Marzahn-West oder Kreuzberg nördlich der Gitschiner Straße,  können Fernsehen schauen, soviel sie wollen – in Türkisch, Arabisch und Deutsch. Davon können Kinder in sehr vielen anderen Ländern nur träumen.

 Posted by at 21:24
Jan 212011
 

09012011258.jpgWeiterhin in den 10 sozial schwächsten (von 434) Vierteln ganz Berlins bewegt sich dieser Blogger Tag um Tag, Woche um Woche. Morgenpost bringt heute eine ganze Seite (S.12) über den neuen Sozialatlas. Ob man aber ständig von Kinderarmut reden sollte? Ich sehe keine armen Kinder. Ich wehre mich gegen diesen unbedachten, KRUDEN Gebrauch des Wortes Kinderarmut. Es gibt in den letzten 10 von 434 Berliner Sozialräumen keinen Anlass, von Kinderarmut zu reden.

Ich sah soeben wie so oft beim Niedrigpreis wieder Kinder, die wunderbare Dinge wie die Riesenflaschen Mezzomix oder die berühmte Capri-Sonne kaufen. Nur eine Riesenflasche Mezzomix, sonst nichts. Die armen Kinder sind vielleicht vernachlässigt, orientierungslos, ohne Peilung, aber nicht arm.

Unser Bild: typische Szene in der Großbeerenstraße, gleich beim Niedrigpreis.

Wie wenig die dürren Zahlen allein aussagen, belegen allerdings die folgenden Zitate, an denen jeder, der daran glaubt, seine helle Freude haben muss:

mobil.morgenpost.de
„Die Dresdener Straße und der Oranienplatz sind geradezu aufgeblüht“, sagt Lampendesignerin Catherine Grigull, die ihr Ateliergeschäft direkt am Oranienplatz hat. In den letzten Jahren seien viele junge Familien und Kreative in diesen Teil Kreuzbergs gezogen. Das merke man auch an den steigenden Mieten. Für ihr Geschäft sei diese Entwicklung durchaus von Vorteil: „Früher hat die Nachbarschaft meine Arbeit nicht verstanden. Heute ist die Akzeptanz viel größer“, sagt die 45-Jährige. Das sieht Angela von Tallián ähnlich. „Man sieht in der letzten Zeit deutlich mehr Kinder auf den Straßen. Das war früher nicht der Fall“, sagt die Chocolatière und Inhaberin des Geschäfts „Art en chocolat“ am Oranienplatz. „Ich habe den Eindruck, dass noch vor einigen Jahren junge Familien in den Speckgürtel gezogen sind, sobald ihre Kinder ins schulfähige Alter gekommen sind.“ Dieser Trend sei mittlerweile gestoppt.

„Wir wohnen seit 26 Jahren in derselben Straße und sind sehr glücklich hier“, sagen die Zwillingsschwestern Stefanie und Geraldine Wühle. Auch die nächste Generation werde in diesem Kiez aufwachsen, sagt die Auszubildende Stefanie, die ihren Sohn Oskar fest an sich drückt. In Kreuzberg herrsche ein mediterranes Lebensgefühl, es gebe ein herzliches Zusammenleben mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten. Auch ihre dreijährige Tochter Emma fühle sich wohl. „Das Kita-Angebot hier an der Oranienstraße ist super“, sagt ihre Mutter.

 Posted by at 19:44

Ist krude alternativlos?

 Deutschstunde  Kommentare deaktiviert für Ist krude alternativlos?
Jan 212011
 

18012011289.jpgDas Unwort des Jahres soll „alternativlos“ sein. Gut gemacht. Dieses Blogs bester Beleg dafür – entnommen der Broschüre „Sicher im Sattel“ von unseren durchweg akademisch gebildeten Berliner Grünen (siehe dieses Blog am 25.06.2010):

Die uneingeschränkte Förderung des Radverkehrs ist klimapolitisch alternativlos.

HERR-licher Satz! Alternativlos glücklich macht er den Liebhaber des Radverkehrs.

Ein reines Bildungsbürgerwort ist auch das Wort „krude“. Ich schlüg es gern als Unwort vor, ich grüb es gern in jedes Rindenalbum unfreiwilliger Begriffsduselei ein. Als Gymnasiast las ich eifrig Theodor W. Adorno und schnappte dort das fetischartig als Waffe verwendete Wort „krude“ auf. In den Deutschaufsätzen verwendete ich ich das Wort krude recht fleißig. Mancher Lehrer schalt mich darob: „Verwende nicht so viele Fremdwörter!“

In Italien, während meiner Gastarbeiterjahre, lernte ich geschmäcklerisch zwischen rohem und gekochtem Schinken, zwischen prosciutto crudo und prosciutto cotto zu unterscheiden.

In der Tat: Sowohl das deutsche Wort krude als auch das italienische crudo stammten vom lateinischen crudus ab.

Ist das Wort krude wirklich so alternativlos, dass Hinz und Kunz es auf Schritt und Tritt polternd verwenden müssen? Sarrazins krude Thesen, wie der SPIEGEL einige tausend Mal schrieb, Lötzsch‘ krude Theorien – das Wort hat einen schwindelerregenden Höhenflug hingelegt – möge es jetzt zerplatzen wie ein Meteor am Himmel der Geistesarmut! CSU-General Alexander Dobrindt hat jetzt schnurstracks das typische Salonkommunisten-, Toskanafraktions-  und Bildungsbürgerwort „krude“ postwendend an die Linke zurückgeschickt und damit diesem Unwort ironisch-eifernd das unübertreffliche Sahnehäubchen aufgesetzt! Lest:

Kommunismus-Debatte – „Der Linken ist die eigene Vorsitzende peinlich“ – Politik – Berliner Morgenpost – Berlin
Dobrindt kritisierte die fehlende Bereitschaft der Linken, „ihre kruden Kommunismustheorien“ offen und ehrlich im Bundestag zu diskutieren.

Welche anderen deutschen Wörter bieten sich als Alternativen zu krude an?

Hier kommen einige wenige:

roh, ungeschliffen, grobschlächtig, blutig-anfängerhaft, blutig, unbehauen, tumb, dreist, dumm, tölpelhaft, polternd, grob, unbesonnen, vorschnell, unbedacht, unklug, täppisch, einfältig, grob, holzschnittartig, gewaltsam vereinfachend, bärbeißig, strohdumm, unbeholfen, hölzern, gewaltsam, tolpatschig, ungeschlacht, flach, engherzig, kaltherzig, duselig, dusslig, vorgestanzt, gefühllos, hartherzig, unbelehrbar, unbelehrt, uneinsichtig, sinnfrei

Es hülfe bereits, wenn man in Wendungen wie „Sarrazins krude Thesen“ oder „Lötzsch‘ kruder Theorie“ das Wort krude durch ein anderes Wort ersetzte! Versucht es! Spielt mit Worten! Erkundet die Klangfülle der deutschen Sprache! Schreibt weniger voneinander ab!

Sucht selbst weitere Alternativen zu krude! Bedenkt: Weniges im Leben – außer dem Tod – ist alternativlos.

Bild: Roher Bretterboden, kurz vor dem Auftritt des Artemis-Quartetts im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, aufgenommen vorgestern


 Posted by at 15:25
Jan 202011
 

100120112661.jpgIch sag’s immer wieder: Friedrichshain-Kreuzberg hat Modellcharakter! Was hier geschieht, darüber spricht die ganze Republik, spricht die ganze Welt! Wie anders ist es zu erklären, dass auch die ausländische Presse hineinhorcht in unseren Bezirk? So brachte der Standard gestern, am 19. Jänner, ein Interview mit unserem Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz. Auszug:

„Man sollte ihnen ihre Parallelgesellschaft gönnen“ – Alltag – daStandard.at › Alltag
Dann sehen Sie Teile von Kreuzberg oder Neukölln also nicht als Parallelgesellschaft?

Franz Schulz: Warum sollten Bürger mit bestimmtem Background nicht in einer Parallelgesellschaft leben, wenn wir in einer Gesellschaft mit nur Parallelgesellschaften leben? Im Sportverein herrschen eigene Regeln. Wenn ich in der Karnickelzucht engagiert bin, bin ich dort auch in einer Parallelgesellschaft, wenn ich mich kulturell engagiere, lande ich auch in einer Parallelgesellschaft. Manager leben in einer Parallelgesellschaft. Sie ist nur bestimmten Personen mit bestimmter Kleiderordnung an bestimmten Orten zugänglich. Man sollte also auch Arabern ihre Parallelgesellschaft gönnen. Die Frage ist dann: In welchem Bereich koppeln sie sich vom Gesetz ab?

Das Interview lohnt in jedem Fall sorgfältiges Lesen. Mit gefällt es gut! Franz Schulz trifft vor allem den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt, dass der Bezirk durch dieses Lebensgefühl der „parallelen Welten“, also der nicht mehr miteinander verbundenen Lebenswelten gekennzeichnet sei. „Wir leben in einer Welt mit nur noch Parallelgesellschaften.“

Hat Schulz recht? Bilden die üblichen Karnickelzüchter, Manager, und ich ergänze:  die Rapper, die Opernbesucher, die Autonomen, die Radfahrer, die Kirchgänger, bilden alles diese Gruppen unverbundene Parallelgesellschaften? Ich meine nein. Denn der typische „Vereinshuber“, der Taubenzüchter oder Karnickelzüchter oder Radsportler hatte und hat doch stets ein Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Gemeinde, zu seinem Staat bewahrt. Er war und ist nicht NUR Karnickelzüchter, sondern AUCH Gewerkschaftsmitglied, auch Berliner, AUCH SPD-Wähler, AUCH Hertha-Fan, AUCH Kirchenchormitglied, auch Familienvater. Er lebte nicht in Parallelwelten, sondern in kommunizierenden Welten.

Was wir hier aber in Friedrichshain-Kreuzberg erleiden, ist ein echtes Auseinanderdriften und Zerfallen der Bevölkerung in praktisch nicht  mehr verbundene Segmente. Und diese Segmente drohen sich entlang den ethnischen, weltanschaulichen und religiösen Trennlinien voneinander abzugrenzen. Kurz gesagt: Man geht sich aus dem Weg. Man weist sich die kalte Schulter.

Dies ist etwas Neuartiges, denn in dieser scharfen Absonderung gab es das bisher in der Bundesrepublik nicht. Die Tschechoslowakei bis zu den Vertreibungen der Jahre 1945-1946, das späte Habsburgerreich ab etwa 1848, das Osmanenreich (bzw. die Türkei)  bis zu den großen Vertreibungen der Jahre 1921-1923: sie alle waren derartige zerklüftete, multikulturelle und multiethnische Gesellschaften. Wir haben heute eine derartige aufgesplitterte, multikulturelle Gesellschaft in Staaten wie Libanon, Belgien, Ägypten, Indien, Irak. Alle diese Staaten drohen an ihren inneren Spannungen zu zerbrechen. Wollen wir also eine multiethnische, multikulturelle Gesellschaft werden, wie es die Tschechoslowakei bis 1946, die Sowjetunion bis 1990 war, wie es Libanon, Irak oder Indien heute sind?

Ich halte dies für eine gefährliche Entwicklung, der es bewusst entgegenzusteuern gilt. Wie?

Die drei großen Institutionen, die diese Segmentierung am ehesten rückgängig machen könnten, sind die Schule, die Arbeitswelt und die deutsche Sprache. Nur hier könnten die einzelnen Parallelgesellschaften noch in nennenswertem Umfang zusammenkommen, insbesondere in der Schule, und zwar in Gestalt der Familien: Kinder, Väter, Mütter.

Dazu kann dann noch als krönender Schlussstein die Einigung auf das Grundgesetz stehen. „Unsere Leitkultur ist das Grundgesetz.“ So hat es Cem Özdemir treffend in der FAZ gesagt. Und das Grundgesetz sagt es ja in der Präambel klipp und klar: Das Deutsche Volk hat sich dieses Grundgesetz gegeben. Die Bundesrepublik Deutschland – durch Gründungsdokument ausgewiesen – ist der Nationalstaat der Deutschen. Sie ist nicht als multiethnischer Staat gedacht wie etwa Indien, die Sowjetunion oder Afghanistan. Sie ist zwar de facto Einwanderungsland geworden, aber sie ist eben weiterhin der Staat der Deutschen. Wenn man dies ändern will zugunsten eines Vielvölkerstaates mit zahlreichen Parallelgesellschaften, muss man es sagen. Ich will es nicht. Ich meine: Wer auf lange Sicht gesehen durch eigene Arbeit Deutscher werden und mitmachen will, ist herzlich willkommen.

Wer auf lange Sicht gesehen nicht Deutscher werden, sondern Russe, Türke, Syrer, Pole bleiben will – ist als einzelner Mensch ebenfalls immer herzlich willkommen, aber er muss gewärtig sein, dass er keine besonderen Gruppenrechte als scharf umrissene Minderheit oder Enklave oder eigenständige „Volksgruppe“ beanspruchen kann. Er muss damit rechnen, dass die Bundesrepublik Deutschland seine Loyalität, seinen Beitrag, seine Zugehörigkeit verlangt. Vor allem wird es sich Deutschland nicht unbegrenzt leisten können, Angehörige anderer Staaten über Jahrzehnte hinweg als abgeschlossene Kollektive aus den eigenen Sozialkassen mitzutragen.

Das Zusammenkommen der zersplitternden Gruppen würde dreierlei voraussetzen: Alle Eltern müssten sich der Schule verbunden fühlen, indem sie einen aktiven Beitrag zur Schularbeit leisten. Und alle Bürger Friedrichshain-Kreuzbergs müssten imstande und willens sein, sich in der Landessprache Deutsch auszudrücken. Von beidem sind wir noch weit entfernt. Und drittens müssten alle Kinder, alle Jugendlichen sich durch eigene Anstrengung so weit bringen, dass sie irgendwo in Deutschland, in Europa oder in der Welt einen Beruf ergreifen und ausüben können. Die Perspektive auf „Arbeitslos in Kreuzberg wie Onkel und Nichte“ müsste systematisch verbaut werden.

Schule, deutsche Sprache und Arbeitswelt könnten die einigende Klammer liefern, durch die die Gesellschaft unseres Bezirks statt wie jetzt eine zerklüftete Sammlung von Parallelwelten zu einem System kommunizierender Röhren wird. Wie? Durch eine gemeinsame Kultur der deutschen Sprache, eine gemeinsame Arbeitswelt, überhaupt eine gemeinsame Bildung. Dies alles fehlt jetzt noch weitgehend und droht sogar mehr und mehr verloren zu gehen.

Die Gesellschaft droht in Friedrichshain-Kreuzberg zu zerfasern. Der Bezirk droht abzurutschen in dem Maße, wie das Bundesland Berlin oder die Bundesrepublik Deutschland den Bezirk mit seinen vielfältigen Milieus nicht mehr durch stetig wachsende Transferzahlungen erhalten und pflegen kann. Das höchst lesenswerte Interview mit Franz Schulz vom 19. Jänner 2011 ist als warnender Hinweis auf dieses drohende Abgleiten nicht hoch genug zu loben. Besonders gefällt mir die diplomatisch verkleidete Selbstanalyse: „Verharmlose ich Multi-Kulti hier in Kreuzberg oder spitzt Buschkowsky zu?“

Beides halte ich für richtig: Buschkowsky spitzt die Probleme zu, Schulz verharmlost recht staatsmännisch die Probleme. Beide kennen ihre Bezirke sehr gut. Beides – Zuspitzung und Verharmlosung – ist für amtierende Politiker legitim, zumal beide sich ja letztlich im Dienst des Gemeinwohls so verharmlosend und so zuspitzend äußern, ja äußern müssen.

Man sollte ausführlich weiterdiskutieren, und vor allem: handeln, arbeiten, machen.

Bild: Der Kreuzberg als Rutschbahn, aufgenommen vor wenigen Tagen.

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Jan 192011
 

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Mit dieser Aussage wird in der WELT ein Zeuge zitiert, der damit sicherlich repräsentativ für die Mehrheit der Deutschen spricht. Sein Name? Spielt zunächst keine Rolle. Nennen wir ihn G.W.

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Ein bemerkenswerter Satz. Er erinnert an die Rede des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, wo er den agnostos theos, den unbekannten, den nicht zu erkennenden Gott verkündet (Apostelgeschichte 17,23).

Christlich geprägt“ und deshalb beseelt vom Glauben an die unveräußerliche Würde, die unveräußerlichen Rechte auf Leben und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Und zugleich „Agnostiker“ – na, ich würde fast sagen, das ist eigentlich eine Art säkulares Christentum. Das WELT-Christentum. Die säkularen Christen sagen: „Wir sind christlich geprägt, aber über Gott können wir nichts Bestimmtes erkennen und nichts Bestimmtes aussagen noch können wir überhaupt mit nachprüfbarer Gewissheit sagen, ob es einen Gott gibt.“ Und genau derartige Aussagen finden sich in der Geschichte des Christentums auf Schritt und Tritt – auch bei jenen, die sich offen als Christen bekannten. Darunter der unvergleichliche Angelus Silesius oder der einzigartige Pascal.

Ein beliebiges Beispiel für dieses säkulare Christentum, für dieses Christentum der Agnostiker ist folgender Satz: „Keiner hat Gott je gesehen.“ An diesen Satz können die säkularen, christlich geprägten Nicht-Christen und Christen mit ihren schwer navigierbaren, ortlosen WELT-Raumschiffen andocken. Es ist der Kernsatz der WELT-Christen, denn er bedeutet: „Wir huldigen einem unbekannten, einem nicht zu erkennenden, einem unerforschlichen Gott, von dem wir nicht einmal sinnvollerweise sagen können, ob es ihn gibt.“

Dieser Satz findet sich im Johannesevangelium, erstes Kapitel, Vers 18.

Die Zeugenaussage des christlich geprägten Agnostikers G.W. berichtete die WELT am 10.12.2010:

G. W. über Islam, Linke und Moral – Nachrichten Print – DIE WELT – Kultur – WELT ONLINE
Die Welt: Woher kommt Ihr Idealismus?

G. W.: Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker. Es gibt gewisse humane Werte, die allen Weltreligionen und den großen Philosophien eigen sind, und an denen sich die UN-Menschenrechtscharta orientiert.

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Jan 172011
 

131120080011.jpgAls wir unseren Sohn von der staatlichen Grundschule auf die Privatschule ummeldeten, wurde uns ein Vertrag vorgelegt. Der Vertrag enthält Rechte und Pflichten der beiden Vertragsparteien. Auch wir Eltern gehen Verpflichtungen gegenüber der Schule ein. Das Prinzip „Leistung der Schule und Gegenleistung der Eltern“ halte ich für richtig.

Anders wird es an den staatlichen Schulen gehandhabt. Die Schulbildung ist ein Anspruch des Bürgers gegenüber dem Staat, der nicht von Gegenleistungen abhängt – außer dem unbestimmten Erziehungsauftrag des Grundgesetzes (GG §§ 6 und 7). Der Staat muss die Kinder nehmen, „wie sie kommen“. So kann er beispielsweise nicht verlangen, dass die Kinder mit Frühstück ins Klassenzimmer kommen, dass sie mindestens einfaches Deutsch können, dass sie laufen, stillsitzen und aufmerken können, dass sie eine Schere benutzen oder den Schuh binden oder ein Lied singen können.

Dennoch unterstütze ich die Anregungen der Abgeordneten Felicitas Teschendorf und Mieke Senftleben, von denen der Tagesspiegel berichtet: Die Eltern sollen  eine Art vertragliche Vereinbarung mit der Schulgemeinschaft eingehen – ähnlich dem Unterrichtsvertrag, den die Eltern mit der Privatschule eingehen.

Dabei sollte man uns Eltern die Erledigung gewisser Pflichten abverlangen – z.B. die Versorgung der Kinder mit warmen Mahlzeiten, die Anwesenheit der Eltern bei Elternabenden und bei Schulveranstaltungen.

Lustig und mittlerweile nur noch amüsant finde auch die reflexhaften Forderungen nach mehr Betreuung und Bemutterung, etwa erhoben durch den Abgeordneten Özcan Mutlu: Bei jedem Missstand wird sofort nach dem Staat und seinen tausenden von uns bezahlten Helferlein geschrieen, für alles muss der Staat MEHR PERSONAL bereitstellen.

Das musss man allmählich durchschauen lernen: Immer und bei jedem Anlass wird dem Staat der Schwarze Peter zugeschoben, der für die armen „Benachteiligten“ unbegrenzt in die Haftung genommen wird. Den Kindern gefällt’s.

Na, DEN würd ich aber gern mal in die Türkei in die Grundschule schicken!

Debatte um Ursula Sarrazin: Schulexperten verlangen mehr Einsatz von Eltern – Schule – Berlin – Tagesspiegel
Auch die Liberale Mieke Senftleben und SPD-Bildungsexpertin Felicitas Tesch wollen Eltern verstärkt in die Pflicht nehmen, diese dabei aber nicht von oben herab tadeln. Etliche Schulen legen zwar schon jetzt Eltern und Schülern ein Papier mit Regeln vor, dass sie unterschreiben müssen. Darin sagen diese zu, einen respektvollen Umgang zu beachten und zu fördern. Mieke Senftleben erwägt nun aber einen Vertrag, der Eltern zu mehr verpflichtet – vom Zubereiten des Schulfrühstücks bis zu Pädagogikhilfen. Senftleben: „Wir müssen ehrlich sagen, dass Schulen nicht alles leisten können.“

Die Schulen könnten aber zumindest noch „besser arbeiten, wenn sie mehr Personal hätten“, sagt Özcan Mutlu von den Grünen.

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