Jun 072011
 

Polen, Türkei, Deutschland: Das sind in meinen Augen zur Zeit die drei Staaten, die in Europa bzw. Vorderasien zur Zeit mit die beste Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben. Diese drei Länder haben Regierungen, die in der Wirtschaftspolitik auf Initiative und Unternehmergeist, auf Arbeit und Verantwortung setzen. Die Daten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geben den drei amtierenden Regierungen in Polen, der Türkei und Deutschland recht: gutes Wachstum, vertretbare Verschuldung, sinkende Arbeitslosigkeit.

Nicht zufällig sind es gerade die Türken und die Polen, die bei Unternehmensgründungen in Berlin ganz vorne liegen:

Migranten als Unternehmer: Polen und Türken stehen an der Spitze – Wirtschaft – Tagesspiegel

In gewisser Weise sind die volkswirtschaftlichen Daten eine Art Leistungsnachweis einer Regierung. Bei sinkender Staatsverschuldung, sinkendem Haushaltsdefizit, sinkender Arbeitslosigkeit, insbesondere sinkender Jugendarbeitslosigkeit (in der Regel nur erreichbar bei Wachstum  der Volkswirtschaft), haben die Regierungen ihre Aufgabe gut erfüllt.

Hohe Staatsverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere hohe Jugendarbeitslosigkeit deuten darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Den Staat Griechenland oder den Stadtstaat Berlin etwa sollte man besser nicht als Vorbild nehmen. Griechenland und das Bundesland Berlin leiden an jahrzehntelang gepflegter Verhätschelung der zu Leistungsempfängern degradierten Bürger durch den bemutternden Staat. Die Folgen sind offenkundig: exorbitante Verschuldung, aufgeblähte Staatsquote, hohes Haushaltsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Jugendarbeitslosigkeit, politischer Extremismus rechts und links, soziale Unruhen mit der Gefahr links- und rechtsextremistischer Umtriebe.

Der aktuelle SPIEGEL bietet reichlich Zahlenmaterial für meine Behauptungen. Insbesondere empfehle ich das Lesen aller Beiträge über die Türkei und über Griechenland – hintereinander weg. Spannend, aufschlussreich!

Als kleine Ergänzung zur Grafik auf Seite 90 empfehle ich jedoch unbedingt einen Blick in die Sozialversicherungsdaten der genannten Länder. Das Netz der Sozialversicherung, also Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung in der Türkei ist dürftig bzw. nicht vorhanden, dafür gibt es immerhin einen gesetzlichen Mindestlohn (€ 353,8/Monat), der ziemlich genau dem Betrag entspricht, den ein erwachsener Arbeitsloser in Deutschland zusätzlich zu allen sonstigen Beihilfen bar aufs Konto überwiesen bekommt.

Das wär doch was für die deutsche Linke: Abschaffung von Hartz IV (eine langgehegte Forderung der Linken) bei gleichzeitiger Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe des türkischen Mindestlohnes? Wie schaut’s damit aus?

Der türkische Mindestlohn ermöglicht dem einzelnen mit großer Mühe das Leben und Überleben – aber die Familien halten zusammen! Wer mehr verdient, gibt ärmeren Familienmitgliedern gern und bereitwillig ab.

In der Türkei besteht ein starker positiver Anreiz zu arbeiten – und folglich verdienen Fachkräfte dort netto mittlerweile ebenso gut oder besser als in Deutschland, wie es das Beispiel der aus Deutschland zugewanderten Fachärztin Neşe Stegemann beweist (SPIEGEL Nr. 23/2011, S. 92). Zugleich besteht in der Türkei ein negativer Anreiz gegen die Arbeitslosigkeit. Denn wenn Familien zu wenig arbeitende Mitglieder haben, rutschen sie in Armut ab. Sie müssen dann Mitglieder ins Ausland entsenden, um dort den Lebensunterhalt für alle zu sichern. So geschah es, dass in den sechziger und siebziger Jahren zur Existenzsicherung der Familien halbe Dörfer nach Deutschland übersiedelten. Die entsandten Familienmitglieder konnten dann – selbst im Fall der späteren Arbeitslosigkeit – die ärmeren Verwandten von Deutschland aus gewissermaßen mitziehen. Ein Modell, das sich schnell herumsprach, auch in anderen Ländern!

Die türkische Wirtschaft kann nur deshalb boomen, weil die Familien als unzerreißbares Element der sozialen Grundsicherung bestehen geblieben sind. Die demographischen Daten stimmen auch deswegen, weil alle Erwachsenen wissen, dass sie im Alter und im Falle von Krankheit und Arbeitslosigkeit auf die Familie und auf die eigenen Nachkommen angewiesen sind.

Oder – wie es ein früher bekannter, in Deutschland heute vergessener Dichter mal  gesagt hat:

Am Ende hängen wir doch ab
von Kreaturen die wir machten.

 Posted by at 11:52

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