Jun 242011
 

„Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht?“

So schrieb einmal ein Dichter aus Italien nach Deutschland. Welcher? Das tut hier nichts zur Sache. Uns kommt es auf das Bild an: „Straßen, redet ein Wort!“

Die Bergmannstraße redet noch keine deutlich vernehmbare Sprache. So unser Befund vom 22.06. Schau das Bild hier oben an oder schlendere die Bergmannstraße entlang! Dich umgibt eine verwirrende Fülle an einzelnen gebauten und beweglichen stummen Dingen: Autos, Häuser, fahrende Autos, Bordsteine, Lieferfahrzeuge, Schilder, parkende Autos, Fassaden, Fahrradbügel, Tischchen und Stühlchen, Aufgänge, Radler, parkende LKW, Pflastersteine, usw. usw.  Zersplitterte Aufmerksamkeit!

Ich habe vor wenigen Tagen mit dem Fahrrad die gesamte Bergmannstraße abgefahren, habe ein Video gedreht, einige Eindrücke aufgesprochen und das Ganze auf Youtube gepostet. Ihr werdet sehen: Ruckelnde Bilder, zersplitterte Aufmerksamkeit, Störungen, Interferenzen, Gefahr der Kollision allenthalben!

Anders klingt es bei den Fußgängern! „Wenn man in der Bergmannstraße wohnt, braucht man nicht in die Toskana zu fahren“, sagt Olaf Dähmlow vom Verein „Kiez und Kultur“ laut Tagesspiegel heute (S. 14). Wozu nach Italien fahren? Nein, nein, man setzt sich einfach ins Parlamento degli Angeli und hört ringsum die bunteste Mischung! Der Antiquitätenhändler neben dem Parlamento degli Angeli spricht mindestens Deutsch und Arabisch, verkaufte uns aber gleich danach die gesammelten Lieder Franz Schuberts auf 7 CD im Schuber für 15 Euro! Wir versuchten ihn auf 10 Euro runterzufeilschen – es gelang nicht. „Es sind 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 CDs, also muss es  15 Euros kosten!“ Das sahen wir ein. Denn so kostet jede CD nur 2,1428571 Euro. Das scheint also der Fixpreis für CDs zu sein.

Können Straßen reden? Die meisten sicher nicht. Aber seit Jahrtausenden haben es die Menschen immer wieder versucht, Straßen so umzugestalten, dass ein gemeinsamer Menschenwille darin sichtbar wird. Beginnend von der löwengeschmückten Prozessionsstraße aus dem Hügel von El-Kasr, die zum Ischtar-Tor führte, über die Via sacra des antiken Rom bis hin zur Allee „Unter den Linden“: Städte brauchen Plätze und Straßen, in denen Bürgerwille ein einigendes Band findet!

Solche besonderen herausgehobenen Straßen und Plätze sind Aufmerksamkeitssammler: Prismen, in denen sich der atomisierte Gemeinsinn bündelt und reflektiert:  The shared space of „joint attention„, wie wir es wohl mit dem Evolutionsbiologen Michael Tomasello sagen dürfen, der am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Antropologie lehrt und forscht.

In solchen umfassend städtebaulich gestalteten Stadt-Räumen und Stadt-Straßen fängt und bildet sich die unablässig wandelbare Identität einer Stadtgemeinde.

Ich meine: Die Bergmannstraße verlangt geradezu nach einer solchen gemeinsamen städtebaulichen Sprache, in denen diese Gemeinde zu ihrer Sprache findet.

Ja, Goethe hat recht: Straßen können reden! Wenn man es will, wenn man sie zum Sprechen bringt.

 Posted by at 11:10

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