Nov 102011
 

Kein leichtes Leben hatte die zweite Generation der Zuwandererkinder. Sie waren  von niemandem darauf vorbereitet worden, in Deutschland zu bleiben. Der türkische Staat schickte seine sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen gern dörferweise nach Deutschland: sollten die Deutschen sich doch um die Dörfler kümmern. Die zurücküberwiesenen Devisen waren hochwillkommen, stärkten die Außenhandelsbilanz. Niemals aber wollte und will die Türkei, dass die Auswanderer ihre Bande mit dem Türkentum verlieren oder gar ihr Türkentum mit einer neuen Heimat verschmelzen lassen! Im Gegenteil, in den letzten Jahren fördert der türkische Staat eine gezielte nachholende Türkisierung, arbeitet weiterhin am Zusammenhalt einer geschlossenen türkischen Volksgruppe.

Die einzelnen Kinder und Jugendlichen schweben kulturell häufig im Niemandsland. Zu richtigen Türken von echtem Schrot und Korn kann und will sie der deutsche Staat nicht ausbilden. Doch durch totale Türkisierung, durch massive Propaganda hat die türkische Republik über etwa 90 Jahre eine nahezu lückenlose Identifikation der Türken mit dem türkischen Boden und Blut erzeugt und erzeugt sie auch weiterhin. Einmal Türke – immer Türke! Ne mutlu Türküm diyene! Ich kann nur raten, die Türkei zu bereisen, ein paar Brocken Türkisch zu lernen und sich wachen Sinnes in diesem großartigen Land, dem uralten Mutterboden der europäischen Kultur umzusehen: Perser, Assyrer, Syrer, Griechen, Araber, Türken, Armenier, Kurden, Zaza und ein Dutzend mehr Völker – sie alle haben dort gesiedelt und ihre Kulturen zu erstaunlicher Blüte gebracht. Unter allen Kulturen haben die aus Zentralasien zugewanderten Türken schließlich die Oberhand erobert und gehalten.

Andererseits hat die Bundesrepublik Deutschland ein bunt gefächertes Programm umgesetzt, das die Identifikation mit Deutschland verhindert. So erzählen mir immer wieder Berliner Kinder und Jugendliche, sie hätten in vier Jahren Geschichtsunterricht fast ausschließlich die zwölf Jahre von 1933-1945 behandelt. Wenn nun aus den etwa 1000 Jahren, in denen man mit gewissem Recht von „deutscher Geschichte“ sprechen kann, immer nur 12 Jahre herausgegriffen werden, welches niederschmetternde Selbstbild muss dann in den Berliner Schülerinnen und Schülern entstehen? Nicht zufällig prangt die Inschrift „Deutschland verr…“ auf Dächern in Friedrichshain.

Aus der überschwänglichen, hochfliegenden Begeisterung für die türkische Nation einerseits, der niederschmetternden Selbstentwertung der deutschen Nation andererseits gibt es für die meisten jungen Türken und auch die Araber keinen Ausweg. Sie hängen fest zwischen Baum und Borke.

Der Ausweg müsste natürlich sein, dass an den Schulen eine positive Identifikation mit dem heutigen Deutschland, also insbesondere mit der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird. Genau dies aber geschieht zumindest im Bundesland Berlin fast nicht.

Was tun?

Ich meine: Kleine Gesten, die vielen Akte der Nächstenliebe sind viel entscheidender als großartige Programme und Initiativen. Nachbars Oma kann mehr Gutes tun als noch so viele Integrationspläne und Bildungsprogramme. Das bestätigt wieder einmal sehr überzeugend Mehmet Gürcan Daimagüler:

Häufig sind die Kleinigkeiten im Leben entscheidend: Bei uns im Haus wohnte eine Witwe, Oma Philippine nannten wir sie, die uns bei den Hausaufgaben geholfen hat. Mit ihr habe ich Deutsch gelernt. Dann habe ich die kostenlose Bücherei im Nachbardorf entdeckt und Bücher verschlungen.

Anwerbeabkommen mit der Türkei – Zeitgeschichtliches Archiv – WDR.de

 Posted by at 15:30

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