Ich trau es ihm zu!

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Feb 202012
 

Große Erleichterung und Freude überkommt mich, wenn ich bedenke, dass vier der fünf maßgeblichen Parteien Deutschlands sich nunmehr auf einen neuen Bundespräsidenten verständigt haben, der über die letzten Jahre hinweg so nahe an meinem Denken unterwegs war wie kaum ein anderer Mensch des öffentlichen Lebens.

Er lässt sich nicht steuern„, wird gegen Joachim Gauck eingewandt. Hurra, genau das erwarte ich von einem Bundespräsidenten und von einem wahrhaft freien Menschen.

Er hat nur ein großes Thema, die Freiheit„, wird gegen ihn eingewandt. Und das spräche für ihn, wenn es so wäre. Ich sehe ihn aber auch als Verkörperung einer für heutige Verhältnisse ungewöhnlichen Redlichkeit. Er hat es gewagt, für die Verprügelten und Verfemten sein Wort zu ergreifen, indem er ihnen Mut zusprach. Wenn er sich immer wieder und so herausgehoben zu diesem Leitwert bekannt hat, dann doch wohl deswegen, weil Freiheit in dieser Gesellschaft zu kurz kommt und zu stiefmütterlich behandelt wird. Mindestens für das Bundesland Berlin vertrete ich diese Überzeugung mit großer Leidenschaft.

Er wurde von Grünen, der SPD und der FDP vorgeschlagen!“ – Um so besser. Im Grunde ist Joachim Gauck allerdings ein Christdemokrat reinsten Wassers – nämlich einer ohne Parteibuch. Den zentralen Werten der Christdemokratie, nämlich der Freiheit und der Verantwortung, kann er sicherlich von außerhalb der CDU einen hervorragenden Dienst erweisen. Jede Parteimitgliedschaft, die ja immer zu Kompromissen, zum schmerzhaften Verzicht auf die Durchsetzung aller eigenen Ansprüche nötigt, würde seinem Weg etwas von seiner Strahlkraft nehmen. Aber dass ein Christdemokrat wie Joachim Gauck, getragen von sehr großer Zustimmung, in das höchste Amt des Staates gelangen wird, zeigt doch nur, dass längst ein unterschwelliger Konsens besteht, was Gesellschaft und Staat in Deutschland zusammenhält, nämlich nicht die linke Staatsgläubigkeit, sondern der Glaube an den überragenden Rang der Freiheit der Person, an das unverzichtbare Korrektiv und das Begrenzungsmoment der Freiheit, nämlich die Verantwortung für den Nächsten.

Diese Zusammenhänge zwischen Freiheit in Verantwortung ergaben sich meinem geistigen Auge recht deutlich vor zwei Jahren bei einem Besuch in Wittenberg, und ich vertraute sie zu Ostern 2011 mit folgenden Worten auch diesem Blog an:

Ich traue dir. Du traust mir. Vertraue dir selbst. Vertraue dem anderen Menschen. Sorge für einen anderen Menschen oder für deine nächsten Mitmenschen, das wird auch deinem Leben einen Sinn geben. Befreie dich und andere aus der falschen Abhängigkeit vom Staat. Sei frei. Kümmere dich. Ich trau es dir zu!

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Bild: Otto-Lilienthal-Denkmal von Peter Breuer (1914), Bäkestraße 14a in Berlin (Steglitz), aufgenommen gestern auf dem gemeinsamen Wandertag von Eltern und Kindern unserer Grundschule

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Fragen eines lesenden Geistesarbeiters

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Feb 202012
 

Guter Hintergrundbericht von Hans Leyendecker heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 6! Er zieht endlich den längst überfälligen Vergleich zwischen der NSU und der RAF, wobei er leider die Frühphase der RAF unterschlägt, die ohne wesentliche Zuarbeit der staatlichen Organe der DDR nicht denkbar ist. In der DDR boten die Staatsapparate der Polizei und der Stasi Förderung, Unterschlupf und neue Identitäten für RAF-Terroristen – Terroristen damals von links, Terroristen später offenbar von rechts. Es wäre interessant, die Kontinuitäten zwischen damals und heute aufzuspüren.

Für die Angehörigen der Nazi-Opfer ist es gleich. Sie haben einen Vater, Bruder, Sohn verloren, unermessliches Leid ist ihnen zugefügt worden, die staatlichen Behörden haben ihnen offenkundig noch zusätzliches Leid zugefügt, indem sie in falsche Richtungen ermittelten. Und jetzt werden sie noch auf die Bühne des Staatsaktes katapultiert und wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Glaubwürdige Zeichen der Empathie, wie das Kenan Kolat nannte, sind jetzt das A und O.  Empathie heißt Mitempfinden mit dem Leiden des einzelnen Menschen, heißt Mit-Trauern, heißt aber auch, dass das Leiden und die Trauer nicht für rhetorische Staatsaktionen dienstbar gemacht wird.

Nicht dass heimtückische Morde geschehen, ist das politisch Skandalöse. Jedes Jahr werden in Deutschland Hunderte von Morden verübt. Jeder Mord ist böse. Man kann in der PKS, der polizeilichen Kriminalstatistik die verschiedenen Täter- und Opfergruppen aufgeschlüsselt erhalten, wobei auffällt, dass Kategorien wie terroristischer Mord, rassistischer Mord, Fememord oder Ehrenmord fehlen. Das Raster ist nicht so feinmaschig angelegt, diese Unterkategorien aufzuschlüsseln. Mord bleibt Mord, also heimtückische Tötung eines Menschen aus niederen Beweggründen.

Der eigentliche politische Skandal um die Neonazi-Morde liegt selbstverständlich in der denkbaren Verstrickung oder gar der möglichen schuldhaften Deckung der Taten durch staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland.

Und hier rächt es sich, dass die Verstrickung staatlicher Organe der DDR in den Aufbau, die Förderung die Deckung der RAF von den Journalisten so zögerlich aufgearbeitet worden ist. Der westdeutsche Terrorismus wurde ab 1955 durch die DDR-Organe gezielt finanziert, angefüttert, aufgebaut und unterstützt.

Karl-Heinz Kurras erschoss Benno Ohnesorg.
Er allein?
Hatte er nicht wenigstens einen Hintermann in den Dienststellen?

Dass die Erschießung Benno Ohnesorgs  durch einen hochrangigen Stasi-Agenten erfolgt ist, dass die Staatssicherheit ihre Leute überall in den West-Berliner und westdeutschen Apparaten, den Parteien und Dienststellen platzieren konnte, dass der Stasi-Agent Kurras offenkundig von Angehörigen der Polizei gedeckt wurde – warum stecken die Journalisten da nicht ihre Nasen hinein?

Der frühere linke Terrorist Horst Mahler, überzeugtes Mitglied des SDS, Mitgründer der RAF, zusammen mit Hans-Christian Ströbele Mitbegründer des Sozialistischen Anwaltskollektivs, wandelt sich im Lauf der Jahre vom RAF-Verteidiger zum  NPD-Unterstützer und Holocaustleugner. Er allein? Hatte er nicht wenigstens einige Gesinnungsgenossen bei sich?

Hans-Christian Ströbele, der Charlottenburger Bundestagsabgeordnete, der meinen Heimatbezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Bundestag vertreten soll oder zumindest sollte, zeigt sich immer wieder überrascht, dass so etwas möglich war. Warum so überrascht, Herr Ströbele? Sollte ihm die innige Verquickung der DDR-Staatsorgane mit seinen Mandanten, Genossen und Schützlingen von der RAF, mit seinem Kollegen und Genossen Horst Mahler wirklich über Jahre hinweg entgangen sein? Sollte er tatsächlich die Augen davor verschlossen haben, dass damals ein stetes Kommen und Gehen zwischen Staatssicherheit und RAF, zwischen Polizei und Terroristen herrschte?  Ist Ströbele nicht ein umsichtiger, kluger, hellwacher, mit allen Wassern gewaschener Mann? Warum nehmen die Journalisten Hans-Christian Ströbele seine Überraschung über die Aufdeckung dieser und vieler anderer Tatsachen so gutgläubig ab?

So viele Berichte
So viele Fragen.

Die Selbstkritik des redlichen Hans Leyendecker ist Anlass zur Hoffnung.

Aktenlage – Zwickauer Terrorzelle – Ein Stück eigenes Versagen – Politik – sueddeutsche.de

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