Dez 172012
 

Wie heißt der einzige Staat der EU, dessen Staatsgebiet zu fast 40% vom Militär einer fremden Macht, die nicht Mitglied der EU, besetzt ist? Dies ist das Rätsel des Tages, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Es lohnt sich über diese Frage nachzudenken! Na, ist der Jeton gefallen? Richtig! Die Antwort lautet: Zypern. Insofern können wir sagen: Wir haben die Türkei schon lange in der EU stehen.

Heinz A. Richter geht heute auf S. 7 der FAZ der spannenden Frage nach, wie es zu der bis heute heillos verworrrenen Lage in Zypern kommen konnte – in einem Staat, der in zwei Volksgruppen, die Zypern-Türken und die Zypern-Griechen zerfallen ist. Richter benennt vor allem die Briten,  Kolonialmacht seit 1914, als die Hauptverursacher der verhängnisvollen Entwicklung. Während ihrer Herrschaft spielten sie die beiden Volksgruppen, die vorher gut miteinander ausgekommen waren,  gezielt gegeneinander aus und befeuerten sowohl bei den griechischen Nationalisten den Wunsch nach Vereinigung mit Griechenland (Enosis) als auch bei den Festlandstürken die massive Neuansiedlung von Türken auf der Insel. Die Türkei tat dies, um eine räumlich möglichst geschlossene, zahlenmäßig möglichst starke, kompakt siedelnde und rasch wachsende  Volksgruppe aufzubauen, die dann die Abspaltung des türkisch besiedelten Teils verlangte (Taksim).

Auf beiden Seiten behielten letztlich die Aufpeitscher die Oberhand, so dass es zu zahlreichen Gewalttaten, zu Vertreibungen, ja ab 1955 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam.

Die Zypernfrage ist ein Lehrbeispiel dafür, wie die Türkei die ihrem Schutz anempfohlene Volksgruppe, also die Auslandstürken, zu schützen gedenkt, wenn sie sie in Bedrängnis geraten sieht. Je mehr die Türkei nachweisen kann, dass das türkische Volk, das in anderen EU-Staaten lebt, benachteiligt, bedrängt oder angegriffen wird, desto stärker wird sie bestrebt sein, eine Berechtigung zum Eingreifen zugunsten ihrer im Ausland lebenden Staatsbürger aufzubauen. Man lese und verfolge doch die Berichterstattung über alle Verbrechen, die von Nicht-Türken an Türken in Deutschland  begangen werden – und vergleiche dies mit der Berichterstattung über die Verbrechen, die von türkischen Staatsbürgern im Ausland an Türken und an Nicht-Türken begangen werden! Man wird ein eklatantes Missverhältnis feststellen: Wenn Türken oder Muslime Verbrechensopfer werden, wird keine Gelegenheit ausgelassen, das „Gastland“ als finsteren Hort des Rassismus oder der Türkenfeindlichkeit oder der Islamfeindlichkei oder der Ausländerfeindlichkeit darzustellen. Das Motto lautet: „Das Problem in Deutschland heißt Rassismus.“ – Oder: „Die NSU-Morde sind unser 11. September.“ (Letzteres stammt von Ayman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, der selbst allerdings nicht türkischer Herkunft ist). Wenn hingegen  türkische Staatsbürger im Ausland oder türkeistämmige oder muslimische Deutsche straffällig werden – zum Beispiel bei Ehrenmorden oder Zwangsheiraten – , wird dies als „durch die Verhältnisse sozial bedingt“ beschönigt.  Die polizeiliche Kriminalstatistik wird nicht zur Kenntnis genommen, jedes statistische Argument über Häufigkeit von Kapitalverbrechen in bestimmten Volksgruppen oder in bestimmten Ländern wird beiseite gewischt.

Wie kann man darauf reagieren?

1) Den Scharfmachern und Nationalisten auf allen Seiten muss ruhig und besonnen entgegnet werden, notfalls auch mit einem Verweis auf die Fakten:  Weder sind Türken oder Muslime in Deutschland besonders oft Verbrechensopfer nichttürkischer bzw. nichtmuslimischer Täter, noch treten sie in der Statistik der Gewaltkriminalität als Unschuldslämmer hervor.

2) Das Konzept einer kompakten türkischen – oder gar einer „muslimischen“ – Volksgruppe, die durch den türkischen Staat und seine Auslandsverbände als ihren Anwalt vor den ständigen Bedrohungen durch Deutschland geschützt werden müsse, gilt es kritisch zu hinterfragen. Vieles am Gebaren der türkischen Verbände mutet separatistisch an: „Wir (Türken) haben keine Bürgerrechte in Deutschland“ – so die Haltung in der Satzung des TBB, die ich für gänzlich inakzeptabel halte – auch wenn der TBB durch das Bundesland Berlin ganz erheblich gefördert wird.

3) Wir Deutschen müsssen uns zum Modell des freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaates bekennen, der jedem Menschen unabhängig von seiner ethnischen Herkunft volles Recht zur Entfaltung seiner Persönlicheit gewährleistet.  Humanitäres oder gar militärisches Eingreifen durch fremde Staaten – wie gegenwärtig durch die Türkei im EU-Staat Zypern – benötigen wir glücklicherweise  nicht.

4) Wir heißen jeden willkommen, der hier leben und arbeiten und die Gesetze einhalten will.

5) Ich persönlich bin allerdings strikt gegen Volksgruppenkonzepte, wie sie die Türkei zu fördern und zu fordern scheint und wie sie heute etwa auf Zypern gelten, oder früher in Jugoslawien und in der Tschechoslowakei galten.  Ich hielte es für falsch, wenn man etwa sagen wollte: so und soviel Prozent für die Niedersachsen, so und soviel Prozent für die Kurden, so und soviel Prozent für die Türken und die Schwaben und die Vorpommern und die Tscherkessen, so und soviel Prozent für die Polen, so und so viel Prozent für die Sinti und Roma  usw. usw.  Ich meine: Alle Staatsbürger der Bundesrepublik müssen weiterhin gleiche Teilhaberechte besitzen. Wir wollen keine Gesellschaft der separaten Volksgruppen.

Kämpfen wir gemeinsam gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Separatismus.

Heinz A. Richter: „Die weiße Kolonie“, FAZ, 17.12.2012, S. 7

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