Nov 112013
 

Marktwirtschaft oder Wirtschaftslenkung? Gute, treffende Gegenüberstellung zweier gegensätzlicher Standpunkte heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung S. 19! Einerseits der liberale EU-Kommissar Olli Rehn: Er vertritt eindeutig den Standpunkt der Wirtschaftslenkung oder „Wirtschaftsregierung“ von der Brüsseler Zentrale aus. Auffälligerweise fasst er den Euro-Raum als „eine große offene  Volkswirtschaft“ auf! Ein großer Irrtum, wie ich meine, eigentlich die ganz große Fehleinschätzung, an der die EU leidet: denn der Euroraum besteht aus den 17 Volkswirtschaften der Teilnehmerländer, die irrtümlich meinen, sie bildeten eine Volkswirtschaft. Dennoch lohnender Artikel: der Kommissar, ein studierter Volkswirt, wünscht eine Senkung der deutschen Handelsüberschüsse, wünscht eine Stärkung der Binnennachfrage – insbesondere durch Senkung der Abgabenbelastung. Also weniger Staatseinnahmen! Hier schimmert die parteipolitische Zugehörigkeit Rehns durch – denn er entstammt der finischen Zentrumspartei, die als liberal einzustufen ist. Der Staat soll also weniger einnehmen, der Bürger soll mehr konsumieren, die Unternehmen sollen mehr investieren! Fromme Wünsche, löbliche, gutgemeinte Vorsätze des EU-Kommissars, der zu Unrecht in Italien von einem amtierenden Minister zur persona non grata erklärt wurde!

Ganz anders dagegen die 6 deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer Böllhoff, Moritz, Oetker, Ostermann, Selter und Timmermann. „Die EU steht heute für 7 Prozent der Weltbevölkerung, 25% des Weltsozialprodukts und 50% der weltweiten Sozialausgaben.“ Sie verlangen Marktwirtschaft statt Wirtschaftslenkung, Abbau der Marktzugangshindernisse, Mobilität, Flexibilität. Die Unternehmerinnen verlangen unter Punkt 7, dass die EU sich wieder an die von den Staaten geschlossenen Verträge hält. Sie verlangen,  dass das EU-Vertragsrecht ernst genommen werde.  „Kompetenzen müssen nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgeteilt und auch wieder an dezentrale Einheiten zurückverlagert werden.“ Die Unternehmerinnen wollen die Eurozone retten, indem sie die EU in einen offenen, flexiblen Wirtschaftsraum umgestalten.

Wer hat  recht, die deutschen Unternehmerinnen oder der europäische Kommissar? Beide Standpunkte sind ganz offenkundig unvereinbar. Die Kommission wünscht eine straffere Lenkung der 17 Eurowirtschaften von Brüssel aus, mehr Durchgriffsrechte des EU-Kommissars in die nationalen Haushalte, mehr Zentralität, wie dies ja auch die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister Schäuble verschiedentlich in den letzten Monaten verlangt haben. Die sechs deutschen Unternehmer dagegen wünschen mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Rechtssicherheit, weniger Staatseingriffe, mehr Subsidiarität, besseren Marktzugang für schwächere Volkswirtschaften (man könnte an die afrikanischen Länder denken).

Spannende Debatte! Wollen wir einheitliche Steuersätze im ganzen Euroraum, einheitliche Sozialstandards in ganz Euro-Land, einheitliche Mindestlöhne in ganz Euroland? Erst dann würde die Währungsunion funktionieren! Das heißt, Deutschland müsste runterkommen von den hohen Sozialleistungen und sich den anderen Euro-Ländern anpassen. Und umgekehrt.

Ich meine: Letztlich muss und soll es das EU-Volk entscheiden. Wenn die heutigen 28 europäischen Volkswirtschaften der EU sich zu einer einzigen Volkswirtschaft mit Einheitswährung, Demokratie, zentraler Wirtschaftslenkung,  Rechtsstaatlichkeit, einheitlichen Sozialstandards und einheitlicher Rechtsordnung und einheitlichen  Mindestlöhnen zusammen schließen wollen – nur zu.  Europa ist das, was die Europäerinnen und Europäer daraus machen.

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aufruf-sieben-forderungen-an-eine-eu-der-zukunft-12657119.htmlb

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