Politik hat (im Stadtstaat Berlin) goldenen Boden!

 Friedrichshain-Kreuzberg, Geld, Grünes Gedankengut, Staatlichkeit, Tugend, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Politik hat (im Stadtstaat Berlin) goldenen Boden!
Apr 082014
 

Immer wieder spreche ich mit den noch verbleibenden Kreuzberger Handwerker*innen, die bis zum heutigen Tag noch ihren kleinen Laden, ihr Geschäft betreiben oder betrieben haben: Schneider*innen, Schuster*, Keramiker*innen. Ja – die gibt es noch! Noch. „Ich werde noch einige Jahre weitermachen, doch meine Söhne werden das Geschäft nicht fortführen. Sie sind nur am schnellen Geld interessiert … !“ Das beharrliche Ackern und Werkeln, das Stein-auf-Stein-Schichten kommt bei der jungen Generation gar nicht gut an. Seit einigen Jahren fehlen Bewerber für Lehrstellen in Handwerksberufen. Man puscht seitens der Politik das Abitur, man redet seitens der Politik das sauere Handwerk schlecht. Der wahrhaft gebildete Mensch beginnt in der heutigen Politik, in Lissabon-Zeiten, erst an der Universität.

Das familiengeführte Bäckergeschäft bei mir um die Ecke ist ein Beispiel. Ich kaufte bei ihnen, kannte die Inhaberfamilie, mehrere Generationen arbeiteten an dieser Stelle. Dann gaben sie die Bäckerei auf. Danach wurde das Geschäft mehrere Monate lang aufwendig saniert, grundlegend renoviert, nach mehreren Monaten Leerstand ist jetzt das Bürgerbüro zweier Abgeordneter eingezogen. Man sieht: Die Politik hat goldenen Boden! Wo früher Handwerker werkelten, ziehen hier in Kreuzberg nach der Aufwertung durch die Bauwirtschaft und die Immobilienmakler oft Spielhallen, schicke Kneipen für Touristen, aber gern auch öffentlich finanzierte Beratungsstellen für Benachteiligte, etwa für Spielsüchtige oder für Pflegebedürftige ein. Beispiele dafür kann ich gerne bei einer Kiezführung zeigen!

Die beiden Abgeordneten der Grünen haben jetzt nach mehreren Monaten das aufwändig sanierte, das aufgewertete Geschäft des Bäckermeisters übernommen. Die Politik, der Staat und seine staatlich angefütterten Parteien sind Motoren der Gentrifizierung, die Berliner Politik, der Berliner Landeshaushalt  kann offenbar die steigenden Gewerbemieten im Gentrifizierungsgebiet locker stemmen. Das Handwerk wird verdrängt. Das Geld fließt an die Parteien und deren Klüngel oder es wird im Märkischen Sand versenkt. Siehe Flughafendesaster BER.

Und 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges zeigen die Grünen unverdrossen Flagge, sie bekämpfen heldenmütig die Nationalsozialisten – sogar mitten in Kreuzberg! „Berlin wehrt sich – kein Platz für Nazis!“ ist der Slogan, mit dem die beiden Abgeordneten sich dem bass erstaunten Kreuzberger Wahlvolk in ihrem gentrifizierten Kreuzberger Laden andienen.

Sie kommen aus einem anderen Planeten, unsere grünen Gentrifizierer! Aber merke: Antifa geht immer. Antifa hat in Berlin goldenen Boden.

Wo die Grünen mitten in Kreuzberg, das doch fest in der Hand der „Nie-wieder-Deutschland“-Sippschaft ist, ihre unbedingt benötigten oder auch heißersehnten Nazis herzaubern, bleibt ihr Rätsel. Man sollte die Abgeordneten mal in der Bürger*innen-Sprechstunde fragen.

Herzlich willkommen im Hier und Jetzt, Berliner Politiker*innen auf goldenem Kreuzberger Boden! Das Heer der Benachteiligten heißt Euch willkommen.

Bitte aufwachen!

Liebe antifaschistischen, kampfbereiten, gewaltige Grüne! Euer überall gesuchter Hitler ist in Kreuzberg mausetot. Wir wär’s mal mit einem Radstreifen am Halleschen Ufer und in der Skalitzer Straße? Wie wär’s mal mit der Beseitigung der unerträglichen Kreuzberger Buckelpisten – fälschlich Radwege genannt?

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Brauchen wir einen Stolypin-Vergleich?

 1917, Europäisches Lesebuch, Russisches, Sozialismus, Vergangenheitsbewältigung, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Brauchen wir einen Stolypin-Vergleich?
Apr 042014
 

2014-04-04 08.53.08

Spät bei meiner Rückkehr ins Hotel Wedina in Hamburg wartete gestern dort schon – verkörpert durch sein neuestes Buch – ein Mit-Schwabe auf mich, weder ein sparsamer Neckarschwabe noch ein fleißiger Lechschwabe allerdings, sondern ein tüchtiger Banater Schwabe: Richard Wagner, geboren 1952. Wir Schwaben sind oft eines Sinnes, zum Schwaben Wagner würde ich mich sofort an den Frühstückstisch setzen, selbst wenn er der einzige Hotelgast wäre. Sein schmerzhaft schürfendes Buch „Habsburg“ schlage ich an einer beliebigen Stelle auf, hier S. 158: „Heute ist der Hitler-Stalin-Pakt-Vergleich in Ostmitteleuropa fast so beliebt wie in Deutschland der Hitler-Vergleich.“ Na, das passt ja zur Seite 1 unten in der heutigen Süddeutschen!

Eine wichtige Vergleichsgröße für russische Politiker sollte in unseren Augen jederzeit  der Innenminister und zeitweilige Premierminister Pjotr A. Stolypin (1862-1911) bilden. Über ihn schrieben wir am 5. Januar  2009 in diesem Blog: „Stolypin war einer jener Politiker, die in der zaristischen Spätzeit vernommen hatten, was die Uhr geschlagen hatte. Er versuchte durch einschneidende Reformen die schlimme Lage der Bauern zu verbessern, indem er ihnen neue Anrechte auf Grund und auf billiges Kapital verschaffte. Er kämpfte für eine effizientere Verwaltung, versuchte einen vernünftig geregelten Markt für die aufstrebende Industrie zu schaffen. Stolypin setzte auf grundlegende Reformen, ohne jedoch die Zarenherrschaft insgesamt in Frage zu stellen. Das Mittel der Revolution lehnte er ab, seine Agenda verlangte dem herrschenden Zaren und dem Adel weitreichende Zugeständnisse ab, ohne den Antimonarchisten Vorschub zu leisten.“

Der Totalitarismus ist tot. Russland hat sich dauerhaft und glaubwürdig – wie ich immer wieder erfahre – vom Zwangssystem der kommunistischen Diktatur losgesagt. Es sucht nun mögliche historische Vorbilder. Die Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele in Sotschi war sicherlich ein verlässlicher Hinweis auf die intensive Suche des heutigen Russland nach positiven Anknüpfungspunkten. Das Grauen der Geschichte kann niemals ausreichen, um einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Völlig zu Recht wurden aus der Feier die üblichen heroischen Beschwörungen der sowjetischen Geschichtsklitterung verbannt.

Ein reizvolles Vorbild oder Gegenbild, an dem sich das Ausland bei mehr oder minder passenden (meist äußerst unpassenden) Vergleichen lebender russischer Politiker mit historischen Gestalten abarbeiten kann, ist neben der deutschen Zarin Katharina II. sicherlich Pjotr A. Stolypin. Wer Katharina II. und Stolypin versteht, wird auch das heutige Russland in seiner Sinnsuche, seiner Suche nach Kontinuität besser verstehen!  Vergessen wir nicht, dass Stolypin 2009 im staatlichen Fernsehen zum wichtigsten russischen Politiker der Geschichte gekürt wurde – ein Ereignis, dem ich damals staunend und mit offenem Mund in Moskau beiwohnte:

Ein Land, das dringende Reformen versäumt, wird bestraft

Zitat: Richard Wagner: Habsburg. Bibliothek einer vergangenen Welt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, S. 158

Bild: Blick aus dem Fenster des Hotels Wedina, Hamburg, im Hintergrund: blühender Kirschbaum, im Vordergrund: das Buch „Habsburg“ von Richard Wagner, erschienen zu Hamburg bei Hoffmann und Campe im Jahr 2014

 

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„Cuore tedesco“? oder: Wir wurden wieder mal kalt erwischt in der Russland-Ukraine-Krise!

 Cuore tedesco, Europas Lungenflügel, Russisches, Selbsthaß, Vergangenheitsunterschlagung  Kommentare deaktiviert für „Cuore tedesco“? oder: Wir wurden wieder mal kalt erwischt in der Russland-Ukraine-Krise!
Apr 032014
 

2014-03-02 13.02.56

Zu den verblüffenden Einsichten aus der gegenwärtigen Ukraine-Russland-Krise wird es einmal gehören, dass fast die gesamte geistige und publizistische Meinungsführerschaft im alten Westen Europas staunend gewahr werden muss, dass sie fast den gesamten Osten Europas – also alle Länder, die früher einmal zum Warschauer Pakt gehört hatten, nahezu komplett aus dem politischen Kalkül herausgehalten hatte: Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Litauen, Russland, Polen, Estland … die Liste der Länder ist lange!

Mit einer nur noch ideologisch, wo nicht gar verbohrt zu nennenden Besessenheit reitet der ehemalige europäische  „Westen“ auf der Zentralität, auf der Haupt- oder gar Alleinschuld Deutschlands an allem Bösen der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert herum, ergötzt sich wieder und wieder an deutscher Schuld und deutscher Schande. Die tragende Hauptthese dieser germanozentrischen Besessenheit ist: Deutschland trage die Alleinschuld oder doch die Hauptschuld daran, dass Europa zwei Mal im 20. Jahrhundert in den beiden Weltkriegen zerstört worden sei.

Hierfür stellvertretend für tausende und abertausende  andere Beispiele nur zwei sprechende, mehr oder minder zufällig ausgewählte Belege:

Beleg 1: „Im 20. Jahrhundert hat Deutschland zweimal mit Krieg bis hin zu Verbrechen und Völkermord sich selbst und die europäische Ordnung zerstört, um den Kontinent zu unterjochen. Es wäre eine Tragödie und Ironie zugleich, wenn jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das wiedervereinigte Deutschland, diesmal friedlich und mit den besten Absichten, die europäische Ordnung ein drittes Mal zugrunde richten würde.“ So der deutsche stellvertretende Bundeskanzler Joschka Fischer im Juni 2012 in der Süddeutschen Zeitung. Eine typisch deutsche Aussage eines typisch deutschen Politikers! Historisch fragwürdig, vielleicht sogar grundfalsch ist diese These, dass Deutschland und nur Deutschland zwei Mal – zuerst im ersten Weltkrieg und dann im zweiten Weltkrieg – den gesamten Kontinent und sich selbst zerstört habe. Es handelt sich um einen reinen Glaubenssatz neben anderen denkbaren Glaubenssätzen.

Beleg 2: „… tocca ai tedeschi assumersi la responsabilità storica di salvare l’Europa, dopo averla affondata due volte in passato„, zu deutsch: „Den Deutschen kommt es zu, die historische Verantwortung für die Rettung Europas zu übernehmen, nachdem sie es in der Vergangenheit zwei Mal zugrunde gerichtet haben.“ Anonymer Klappentext ohne Quellenangabe zu dem ansonsten überaus scharfsinnigen, ja genialen Buch: „Cuore tedesco“, erschienen bei Donzelli editore im Jahr 2013.

Überall wird pathetisch beschworen die Zentralität Deutschlands für Wohl und Wehe des Kontinents, ja wohl noch gar Wohl und Wehe der Weltwirtschaft! Keine Rede mehr ist vom Zusammenprall und Zusammenspiel der europäischen Großmächte oder besser Großreiche Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal, Russland, Deutschland, Italien, Osmanisches Reich .. kopfschüttel, wie es wohl in einer Graphic Novel heißen würde   …  Leute, Freunde! Man ist versucht, den Freunden in den Arm zu fallen und auszurufen: „Zuviel der Ehre bzw. der Unehre für Deutschland!“ Deutschland ist nicht der Urquell alles Bösen und Guten in der Weltgeschichte und Weltwirtschaft.

Russland, die Sowjetunion, die Oktoberrevolution von 1917, die Angst der Völker vor der Unterjochung des gesamten europäischen Ostens unter der russisch-sowjetischen Knute, diese Angst, die ab 1917 überall in der Publizistik greifbar ist,  also eigentlich die Osthälfte Europas,  kommt schlechterdings im Bewusstsein der Mehrzahl der gebildeten Westeuropäer nicht mehr vor, sofern diese Länder denn je Interesse und Aufmerksamkeit gefunden hätten.  Gerade die westeuropäische und insbesondere die deutsche, die italienische, die spanische und griechische  Linke vergisst völlig, dass sie einmal für Marx und für den Diktator Mao, für den Diktator Lenin und den permanenten Revolutionär Trotzkij – wenn auch nicht mehr so sehr für den großen Führer Stalin – schwärmte. Aber auch die europäischen faschistischen Regimes, der Pater Tiso der Slowaken, ein Horthy der Ungarn, der Finne Mannerheim, der Ukrainer Bandera sind in den westlichen Ländern Europas aus dem historischen Gedächtnis nahezu verschwunden. Die verschwindend winzige Schar der antifaschistischen Kämpfer in den westlichen Ländern muss dazu dienen, die Terrorherrschaft sowohl der zahlreichen linken Terror-Regimes wie der zahlreichen rechten Terror-Regimes in den europäischen Staaten nach dem 1. Weltkrieg bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein zu verschleiern.

Wenn man aber nicht mit Franzosen, Italienern, Briten, Belgiern, Deutschen, Niederländern, Spaniern, sondern mit Finnen, Esten, Russen, Polen, Ungarn, Letten, Litauern, Ukrainern, Slowaken, Türken, Griechen, Kroaten … spricht, ergibt sich ein völlig anderes Bild von Deutschlands Rolle im 20. Jahrhundert. Die Völker, die im Schatten Russlands bzw. der Sowjetunion lebten, die sich häufig zwischen den zwei großen gewalttätigen Diktaturen Deutschland und Russland bedroht oder zerrieben fühlten, würden niemals, nie im Traum Deutschland und nur Deutschland die Alleinverantwortung für Wohl und Wehe Europas, für Vergangenheit und Zukunft Europas zuschreiben. Sie würden neben dem in allen Ländern der Welt rituell wieder und wieder beschworenen und verfluchten Deutschland des Nationalsozialismus niemals die prägende, gestaltende, die tiefsitzende Angst einbrennende Rolle der russisch bestimmten Sowjetunion Lenins, Berijas, Stalins, Jeschows und Chruschtschows mit ihren Millionen und Abermillionen Terroropfern unterschlagen. Sie werden neben dem „Deutschen“ und „was er ihnen angetan hat“ niemals „den Russen“ vergessen und „was er ihnen angetan hat“. Vielmehr werden sie gerade in der übermäßigen Konzentration auf deutsche Schuld und deutsche Schande, im Starren nur auf deutsches Geld – „Deutschland muss den Euro und damit Europa retten!“ –  und im Starren auf deutsche Verantwortung ein Haupthindernis für echte Kooperation und echte Gemeinschaft der gleichberechtigten europäischen Völker erkennen.

Diese erstaunliche Blindheit des ehemaligen „europäischen Westens“ für die im ehemaligen „europäischen Osten“ ab den Jahren 1917/18 ablaufenden Geschehnisse wird nun aus Anlass der Russland-Ukraine-Krise erneut überdeutlich klar. Wer es immer noch nicht wahrhaben will, dass große Teile der europäischen Vergangenheit schlechterdings nicht aufgearbeitet sind, der ist der Blindheit zu zeihen. Die Nebel beginnen sich zu lichten. Möge die Russland-Ukraine-Krise ein Ansporn sein, endlich mutige, wahrhaftige Schritte zu einem gesamteuropäischen historischen Bewusstsein zu unternehmen und dabei auch dem ehemaligen Großreich Russland, dem großen russischen Volk einen würdigen, einen ebenbürtigen, von Achtung und gegenseitigem Respekt geprägten Platz – keine russische Sonderrolle, keinen russischen Sonderweg, kein russisches Großreich, aber auch keinen russischen Platz am Katzentisch! – im Konzert der vielen europäischen Völker einzuräumen.

Quellennachweise:

Zitat des ehem. Vizekanzlers der Bundesrepublik Deutschland Joschka Fischer hier wiedergegeben nach: George Soros im Gespräch mit Gregor Peter Schmitz: Wetten auf Europa. Warum Deutschland den Euro retten muss, um sich selbst zu retten. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, S. 10

Anonymer Klappentext von „Cuore tedesco“ wiedergegeben nach: Angelo Bolaffi: Cuore tedesco. Il modello tedesco, l’Italia e la crisi europea. Donzelli editore, Roma 2013 (hintere Umschlagseite)

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Улицы Магдебурга: „Hältst Du Europa zusammen, Jeesus Kristus?“

 Gemeinschaft im Wort, Magdeburg  Kommentare deaktiviert für Улицы Магдебурга: „Hältst Du Europa zusammen, Jeesus Kristus?“
Apr 012014
 

2014-03-09 11.59.58

„Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“  Nicht durch Waffen, nicht durch waffenartig hin- und hergeschleuderte Drohungen, sondern nur durch die Öffnung im Herzen, durch die Besinnung auf das einende Wort, durch das Aussprechen des einenden, zusammenführenden Wortes gelingt es, das Aneinander-Vorbeireden der Mächtigen dieser Welt zu durchbrechen. Dies dürfte Kernbestand der Theologie des Johannes sein.

Gemeinschaft im Wort, diese tiefe Sehnsucht treibt mich vom satten behaglichen Gewese und Getriebe der Bundesrepublik Deutschland  immer wieder hinaus ins Ungewisse, dahin, wo Europa noch schmerzt und wehtut, in die Weiten der russischen Steppe, ins windgepeitschte Sibirien, in die harten und langen Winter Murmansks, ins zwischen Finnland und Russland geteilte, ins Russland und Finnland einende Karelien.

An dem blütenweißen japanischen Klavier in der Drei-Kreuze-Kirche in Vuoksenniska ließ ich mich nieder. Es war Sonntag, längst war der Gottesdienst vorüber. Es war still. Vollkommene Stille herrschte in dem blühenden, muschelartig gewölbten, mutterschoßartig bergenden hellen Raum. „Wenn sich der Deckel öffnen lässt, dann darfst du zu ihm spielen. Wenn sich der Deckel nicht öffnen lässt, dann darfst du zu ihm nicht spielen.“ Ich versuchte den Deckel des Klaviers anzuheben. Er gab sofort nach. Ich wollte und sollte spielen. Und ich spielte für ihn. Ich spielte das, was mir aus dem Inneren  einfiel: das Präludium in C-dur, aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach. Dann präludierte ich über die d-moll-Ciacona des Köthener Meisters aus dem Jahr 1720. Die Töne klangen wie von selbst unter meinen Fingern. Ich spielte, ich sang, ich fragte. Ich nahm ein finnisches Gesangbuch und spielte die Nummer 47 daraus. Zuerst einstimmig, dann zweistimmig, dann dreistimmig, dann vierstimmig. Auch hier klangen die Töne von selbst unter meinen Fingern hervor. Ich versuchte, die Worte des finnischen Gesangbuches zu verstehen, aber ich erkannte nur einige wenige Namen, darunter den Namen Jeesus Kristus. Was mag dieser Name wohl für mich, für uns, für Europa bedeuten?

„Mensch, Jeesus!“, fragte ich und dehnte den ersten Vokal länger als üblich.  „Hältst DU denn diesen vielfach geschundenen, diesen so oft geplagten Kontinent zusammen?“ Oft habe ich IHN das schon gefragt, den leidenden Menschen, der zerrissen und ausgespannt über uns hängt. Hier ein Blick auf die drei Kreuze in der von Alvar Aalto gestaltete Kirche  im karelischen Imatra-Vuoksenniska.

Wie durch Fügung, wie durch Zufall kreuzte den Weg des Kreuzbergers der ganz andere Weg des auf Russisch schreibenden Autors Changeant Trapier, der von der anderen Seite her, vom Osten her,  ein ähnliches Unterfangen verfolgt wie wir vom Westen her.

„Die Straßen Magdeburgs“, eine Folge von Geschichten und Märchen, die sich sowohl von vorne wie von hinten lesen lassen, ein Kaleidoskop von verblüffenden Begegnungen in einem real-fiktiven Magdeburg! Eine Auseinandersetzung eines jungen, im Heute und Hier lebenden Russen mit dem, was er sich unter Deutschland vorstellt, hinstellt oder auch bloß ausdenkt. Spannend zu lesen.

Es ist ein Roman über die Stadt und ihre Menschen. Ein zentrales Thema sind dabei Beziehungen zwischen Menschen,  ist dabei auch die Zuneigung und Liebe zwischen Mann und Frau, zwischen unterschiedlichsten Menschen. So ist das Leben, so bunt, so vielfältig, diesseits und jenseits der Grenzen!

Улицы М » Тряпьё Моё Шанжан Тряпье.

 Posted by at 21:40