Aug 262014
 

Tiefe Besorgnis erfasst mich, wenn ich die neuesten, erdbebenartigen  Erschütterungen der französischen und italienischen Politik verfolge.

Es ist gewissermaßen ein Abgrund an Sprachlosigkeit, der sich zwischen Frankreich, Italien und Deutschland derzeit auftzutun scheint.  Wenn man die meinungsbildende Presse Frankreichs, Italiens und Deutschlands und insbesondere die Wirtschafts- und Finanzseiten liest, schüttelt man nur noch den Kopf. Ich habe in der EU schon seit vielen Jahren und jetzt mehr denn je den Eindruck, dass ein französischer  TGV,  ein deutscher ICE und ein italienischer TAV an entgegengesetzten Enden vor ein und denselben Zug gespannt sind. Der Zug heißt Europäische Union, heißt Eurozone. Die Lokomotiven von ICE, TGV und TAV fahren in unterschiedliche Richtungen. Sie drohen den Zug mit den 28 Waggons auseinanderzureißen. Ein Kursbuch gibt es nicht. Das Stellwerk ist verwaist. Die eingebaute InDuSi, die Induktive Zugsicherung, die Automatismen greifen nicht.

Dass freilich der amtierende italienische Ministerpräsident sagt, „Europa gehört doch nicht den Deutschen“, dass der amtierende Wirtschaftsminister Italiens einen Steuernachlass von 80 Euro trockenen Auges als „strukturelle“ Reform verkauft (beides in La Repubblica, 18. Juli 2014), wird mühelos unter den Scheffel gestellt durch die Äußerungen des vor wenigen Tagen noch amtierenden Wirtschaftsministers Frankreichs.

Es lohnt sich, das ganze Interview auf S. 5 in der Monde vom 24./25. August 2014 zu studieren. Der vor drei Tagen noch amtierende Wirtschaftsminister lässt darin eine Breitseite gegen Deutschland nach der anderen los! Montebourg schildert die ganze EU im alternativlosen Würgegriff der „extremistischen Rechten“ in Deutschland. Wörtlich sagt er:

Si nous devions nous aligner sur l’orthodoxie la plus extrémiste de la droite allemande, cela voudrait dire que le vote des Francais n’a aucune légitimité et que les alternances ne comptent plus. Cela signifierait que, même quand les Français votent pour la gauche française, en vérité ils voteraient pour l’application du programme de la droite allemande.“

Steht Angela Merkel wirklich einer „rechtsextremistisch“ gestimmten Regierung vor, in der allein noch der „homologue socialiste“, der „sozialistische“ Amtskollege Sigmar Gabriel das Schlimmste verhütet, wie Montebourg behauptet? Jeder mag diese Äußerungen des französischen Spitzenpolitikers bewerten, wie er will. Als extremes Warnsignal werte ich jedoch den subjektiven Eindruck, der hier bei dieser Äußerung wieder einmal entsteht, dass nämlich die Franzosen, wie etwa die Griechen oder die Italiener auch, das Gefühl bekunden, „nicht mehr Herr im eigenen Land“ zu sein und wieder einmal wie in schlimmsten Zeiten von den Deutschen unterjocht zu werden. Hier offenbart sich eine abgrundtiefe Krise der Souveränität der europäischen Staaten, welche von der EU aus auf Staaten wie Frankreich oder Italien niederbricht. Noch tiefer reicht aber die Krise der Legitimität der Europäischen Union, insbesondere der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Europäische Union steht wirklich auf dem Spiel, sie ist aufs Äußerste gefährdet.

Nie war der Abgrund an Ignoranz, nie war die Sprachlosigkeit der Finanz- und Wirtschaftspolitik, aber auch der Politik insgesamt zwischen den drei größten Volkswirtschaften der Europäischen Union größer als gerade jetzt! Es fehlt den EU-Politikern in einem niederschmetternd fundamentalen Sinn an Sprechfähigkeit, es fehlt sogar an Sprachkenntnissen, insbesondere in den Fremdsprachen Deutsch, Französisch, Italienisch, es fehlt an Basiwissen zur Volkswirtschaft, es fehlt teilweise auch an gutem Willen. Wenn jetzt nicht ein Ruck der Selbsterkenntnis, der Besinnung und der Verständigung durch die selbstgefällige Fürstenriege der EU-Staaten geht, dann dürfte uns der ganze EU-Laden in nicht allzuferner Zukunft „um die Ohren fliegen“, wie das Angela Merkel hellsichtig bereits vor Jahren einmal formulierte – und zwar ausgelöst durch die nicht endenwollende Innovations-, Beschäftigungs- und Wirtschaftskrise, durch die wachsende Wettbewerbsschwäche der Eurozone auf dem Weltmarkt, deren Tragweite und strukturelle Ursachen offensichtlich zu den Hohen Behörden und den Hohen Herrschaften noch nicht durchgedrungen ist.

Quelle: „Nous devons apporter des solutions alternatives“. Le ministre de l’économie, Arnaud Montebourg, dénonce des choix politiques qui mènent à l’impasse.  Le Monde, Dimanche 24-Lundi 25 août 2014, Seite 5

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