Okt 282014
 

 

„So woltestu deinem Knecht geben ein gehorsam hertz / das er dein Volk richten müge / vnd verstehen / was gut und böse ist / denn wer vermag dis dein mechtig Volk zurichten?“

Ja, wer schreibt denn ein solches Deutsch? Würde derjenige, der ein solches Deutsch schrieb, auch nur einen Grundschulabschluss in heutiger Zeit erlangen? Die Frage muss offenbleiben. Dieses Deutsch schrieb Martin Luther.

Gute, erfrischende Einsichten verdanke ich dem letzten Besuch in Wittenberg. Das Luther-Haus strahlte und prangte  aus sich heraus mit wirklich bewegenden Einblicken. Hier nur zwei davon:

1) Die jetzige Ausstellung bietet weit mehr als Luther. Sie stellt Luther ins Beziehungsgefüge, weist etwa Katharina von Bora, Philipp Melanchthon und Johannes Bugenhagen einen nahezu gleichrangigen Platz zu. Die Reformation entsprang eben nicht aus dem Wirken eines einzigen Mannes; auch Luthers theologische Zweifel und religiöse Einsichten waren keineswegs revolutionär; Anselm von Canterbury, Jan Hus  oder Meister Eckhart, um nur einige zu nennen, waren als Theologen weit radikaler als Luther … aber sie waren doch eher Einzelne! Aber Luther schuf durch seine unvergleichliche, ungestüme Kraft und Leidenschaft den Gesamtklang, er wurde aber auch hineingetrieben in Verwerfungszonen, aus denen er nicht entkommen konnte, um ihn herum verdichteten sich historische Konstellationen so sehr, dass daraus in der Tat eine zentrale Wasserscheide der deutschen und europäischen Geschichte werden konnte – der Ideengeschichte, der politischen Geschichte, der Sprachgeschichte.

Und so wurde Martin Luther zu einem der wirkmächtigsten Theologen, die die römisch-katholische Kirche je hervorgebracht, nein: hervorgetrieben oder herausgetrieben hat.

2) Die neue Ausstellung im Lutherhaus stutzt die früheren hochtrabenden Ansprüche, Luther habe die moderne deutsche Sprache geschaffen, auf das richtige Maß zurück: „Luther förderte die Herausbildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache.“ So steht es jetzt erklärend zu lesen im Lutherhaus, und genau so ist es richtig, so kann es jeder Germanist unterschreiben. Zweifellos war Luther ein herausragender Kenner und Meister des Deutschen, ein bedeutender Dichter, ein leidenschaftlicher Sänger und Musiker, ein bedeutender, vielleicht der bedeutendste Übersetzer deutscher Sprache, aber er war keineswegs der Schöpfer der heutigen deutschen Sprache, und er war nicht der einzige und nicht der erste, der sich um eine vollständige Übersetzung der Bibel ins Deutsche, ganz zu schweigen in eine europäische Volkssprache mühte.

Zwei volle Stunden verbachte ich am vergangenen Samstag im Lutherhaus zu Wittenberg. Man kann die neue Ausstellung im Lutherhaus in der jetzigen Gestalt gar nicht genug rühmen, sie bietet das beste auf, was heute im Bereich der Ausstellungsmacherei zu finden ist.  Im Refektorium schlug ich auf dem bereitstehenden Flügel folgerichtig und zielgerichtet die ersten Takte von „Nun danket alle Gott“ an, nachdem ich mich ausführlich dem Studium der 10 Gebote in der Darstellung von Lukas Cranach gewidmet hatte.

Zwei Stunden bräuchte ich, um alles nachzuerzählen, was ich dort sah, hörte, erlebte. Da ich aber heute nicht genug Zeit habe, mache ich hier einen vorläufigen Punkt, maßen ja schon der Dr Martin Luther sagt:

Steh bald auf,
machs maul auf
hoer bald auf.

 

 

 Posted by at 14:29

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