Dez 102014
 

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Zu den Professoren an der Leukorea in Wittenberg zählte neben Melanchthon auch zeitweilig Giordano Bruno. Von ihm sah ich im Oktober dieses Jahres, hinter dickem Panzerglas ausgestellt, hingerissen seinen handschriftlichen Stammbucheintrag „Nihil sub sole novum“ im Lutherhaus. Ich hege keinen Zweifel, das Original dieses Eintrags gesehen zu haben.

Bruno lehnte den Begriff des radikal Neuen ab. Das, was uns als neu erscheint, erscheint eben nur so. „Von der Sonne aus betrachtet“, „im wesentlichen“, war es immer schon, ist immer, und wird auch wieder sein.

In der Weltgeschichte vermag man mit einigem Suchen mehr und mehr Spuren der Wiederkehr des Immergleichen zu erkennen. So wogt die Debatte über die verschleppte, die verschlafene EU-Reform derzeit um den Begriff des Wirtschafts-„Direktoriums“, des Directoire, wie es ähnlich bereits in den Jahren 1795-1799 in Frankreich installiert wurde.  Sinn des Directoire war es nach dem großen Terreur, durch ein mit 5 „Direktoren“, 8 „Ministern“ und 5 „Kommissaren“ besetztes Kontrollgremium den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Das Vorhaben scheiterte, der Staatsbankrott war so nicht abzuwenden, Napoleon ergriff die Macht; der Versuch der Lenkungswirtschaft führte zu einer Wiederauflage des Kaiser-Gedankens. Nil sub sole novum!, hätte Bruno wohl ausgerufen.

Giscard d’Estaing empfiehlt nun nachdrücklich in seinem neuen Buch „Europa“ eine Neuauflage der Directoire-Verfassung! Und er nennt das oberste Lenkungsgremium sogar ganz ausdrücklich Directoire.

Genau dieses „Directoire“ scheint auch die Keimzelle des Gedankens der „Gouvernance économique“, der „Wirtschaftslenkung“ zu sein, wie sie seit Jahren in der EU-Debatte gefordert wird und wie sie Jean-Claude Juncker offenkundig favorisiert.

In klarem Gegensatz zur Directoire-Verfassung steht der föderative Aufbau der sozialen Markwirtschaft, wie sie die Bundesrepublik Deutschland bis 1999 verkörperte. Dass der Zentralstaat lenkend und regelnd, steuernd und vorschreibend bis in die Löhne und Gehälter, bis in die Zentralbankzinsen hineinregiert, war in der Bundesrepublik früher undenkbar; erst seit wenigen Jahren ist es durch die aus französischem Geist erschaffene EU-Apparatur hoffähig geworden.

Schwenkt also die Bundesrepublik nach dem Zwischenspiel der „Sozialen Marktwirtschaft“ eines Konrad Adenauer oder Ludwig Erhard jetzt auf die wesentlich ältere Linie des Directoire, der Gouvernance économique ein? Bundesweite Mietpreisbremse, gezieltes Ankurbeln der Inflation, Aufkauf von Staatsanleihen, ABS, Quantitative Easing, Hochpuschen der Geldmenge  usw.usw.: es gibt viele Anzeichen für diese rückwärtsgewandte, diese im Wortsinn reaktionäre Wende der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Keynesianer in den USA erwarten es von uns, die  hochverschuldeten Euro-Partner erwarten es von uns. Das Directoire, also der engere Führungszirkel der EU-Kommission, soll den größten Wirtschafts- und Währungsraum der Erde retten.

Lesehinweise:
„Das Direktorium“, in: dtv Atlas Weltgeschichte, München 2006, S. 299
„Die französische Verfassung von 1795“, in: Putzger Historischer Weltatlas, 103. Auflage, Cornelsen Verlag, Berlin 2001, S. 119
Valéry Giscard d’Estaing: „Le parcours. La structure institutionelle d’Europa et le Directoire“, in: ders., Europa. La dernière chance de l’Europe. Paris 2014, S. 163-174

 

 

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