Mrz 242015
 

Durch schneidenden, sprühenden, scharf splitternden Regen bahnte ich mir am Samstag mit meiner Bratsche auf dem Fahrrad den Weg nach St. Canisius in der Witzlebenstraße. Nichts Großes, nichts Weltbewegendes, nichts Welthistorisches war angesagt, nur eine Kleine Passionsmusik von Carl Loewe und ein kurzes Requiem von Giacomo Puccini.
Zwei kurze, unscheinbare Werke also, dargeboten von zwei Kirchenchören und einer bunt zusammengewürfelten Musikerschar. Thema: Sterben, Tod, Weiterleben, Feindschaft, Hass, Einsamkeit, – und Schritte über Feindschaft, Hass und Einsamkeit hinaus. Wie ein grauer Nebel erhob sich der mit Dämpfer abgedunkelte Klang der Streicher in der kahl und unwirklich scheinenden Kirche.
Was geschah da? Einer starb da ganz für sich allein. Natürlich hat er sich von allen verlassen gefühlt, natürlich hat er an der Anwesenheit und Existenz Gottes gezweifelt, natürlich hatten sie ihm wieder und wieder Blasphemie, Tabuverletzungen ohne Zahl, Gottlosigkeit vorgeworfen. Spott über den Propheten steht in der Geburtsurkunde der Gemeinde. Sie hatten ihn verspottet und verlästert. So tief war er gesunken, dass er wie ein ganz gemeiner Verbrecher enden sollte. Schwere Stunde, schwerste Stunde!
Dennoch erhob sich ein Bratschensolo über der grauen, matten, sterbenskranken Stunde. Ja, was leistete sich denn Puccini da wieder einmal mit diesem Bratschensolo? Natürlich, ein Italiener! Das war doch ungeheuerlich. Da schwang sich etwas auf, da schwang sich etwas herab.
Die Bratsche sang, als hätte es keinen schneidenden Nieselregen auf der Hinfahrt gegeben, der Chor sang, als würde es Schritte über Tod, Haß und Feindschaft hinausgeben; ja, wir wussten oder ahnten, es war Schlimmes geschehen, es würde auch wieder Schlimmes geschehen. Nicht nur in der Weltgeschichte war Schlimmes geschehen, auch in unserer Kleinen Lebenspassion, in unserem eigenen kurzen Requiem war Schlimmes geschehen.
Und doch ist das Schlimme nicht das Letzte. Die Abwesenheit Gottes, die der Sterbende so deutlich als seine vorletzte Botschaft herausgeschrien hat, ist nicht das Letzte. Es geht weiter. Er ist noch nicht ganz fertig. Mit der Musik erbrachten wir den Beweis. Der Beweis wurde uns zu Ohren gebracht. Auf schneidenden, scharf splitternden, sprühenden Nieselregen folgt samtener, warmer Klang, folgt Aufsprießen der Narzissen, folgt gelbes klingendes Licht. Und der Regen war schon fast vergessen.

 Posted by at 11:32

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