Apr 042015
 

Die gegenwärtige Passionszeit bringt eine erhöhte Häufigkeit an theologischen, pseudotheologischen und kryptotheologischen Aussagen an den unvermutetsten Stellen mit sich. Was Nietzsche seinerzeit einem Hegel, einem Schelling vorwarf, dass sie nämlich keine echten Philosophen, sondern eigentlich „noch“ Theologen oder nur „Halbpriester“ seien, – was freilich Hegel und Schelling nicht als Vorwurf verstanden hätten, – das gilt in noch stärkerem Maße mitunter von den heutigen Historikern.

Was soll man etwa von folgendem Satz halten:
Nazi-Deutschland war tatsächlich die Inkarnation des Bösen.

Ich meine: Dies ist ein rein theologischer Glaubenssatz, der nur vor dem Hintergrund des Johannes-Evangeliums sinnvoll zu verstehen ist (Joh 1,14). So wie in Jesus Christus Gott Fleisch geworden ist, also inkarniert ward, so ward in Deutschland und nur in Deutschland das absolute Böse inkarniert, also „eingekörpert“. Das ist der Dreh- und Angelpunkt so mancher Debatte, die sich damit von jeder Wissenschaftlichkeit entfernt. In solchen Sätzen entspringt die negative antideutsche Ideologie, die Germanophobie, die gerade in diesen Tagen wieder lebhaft beschworen wird.

„Nazi-Deutschland war tatsächlich die Inkarnation des Bösen.“ Mit diesem „Credo in unum malum“ wurde jüngst ein namhafter, bestens ausgewiesener Neuzeit-Historiker von der Universität Freiburg zitiert (SZ, 20.03.2015). Hat er es wirklich so gesagt? Dies zu glauben fällt allerdings schwer. Aber der Satz wird ihm so zugeschrieben.

Wie auch immer: Es wimmelt in den zeitgeschichtlichen und politischen Debatten von derartigen Glaubenssätzen, es werden auf Schritt und Tritt Frageverbote, Tabus und Anathemata aufgestellt, es werden Bannflüche gegen Häretiker und Zweifler erlassen und Einzigartigkeitsthesen in den Raum gestellt, wie sie zu gottgläubigen Zeiten allenfalls an den theologischen Fakultäten noch denkbar waren.

Der deutsche Historikerstreit der Jahre 1986/1987 etwa, der ja um den Begriff der Einzigartigkeit kreiste, war im Grunde eine Art kryptotheologischer Debattierklub, bei dem umfassende Quellenaufarbeitung, vorurteilslose Beiziehung aller verfügbaren historischen Zeugnisse in den 10 oder 12 wichtigsten europäischen Sprachen (darunter auch Italienisch, darunter auch Russisch) fast keine Rolle spielten. Eine wissenschaftliche Bankrotterklärung. Ein Verzicht des historischen Begreifens auf jede Historisierung, ein Verzicht auf Motivationsforschung! Und dafür, für diese Selbstaufgabe der Wissenschaft, kann man bis in unsere Tage wahrlich zahllose Beispiele anbringen.

Wie steht es nun mit der logischen bzw. theo-logischen Kategorie der Einzigartigkeit? Das Eine, das Einzige, gibt es das? Falls ja, welche Aussagen kann man über das Eine sinnvollerweise machen? Ein uraltes philosophisches Problem, das Platon in seinem „Parmenides“ in vortrefflicher, später nicht mehr oder allenfalls bei Hegel erreichter Komplexität durchdenkt und in letztlich nicht auflösbare begriffliche Aporien hineinführt.

Der nicht logische, sondern theo-logische Ausweg aus diesen Aporien, den die berühmten drei monotheistischen Religionen suchten, lautete in etwa: „Es gibt nur eine einzige einzigartige Wesenheit – wir nennen diese singuläre Wesenheit Gott.“ Es gibt nur einen Gott. Ein Gott! Und wenn es nur Einen Gott gibt, so gibt es in der Zeitgeschichte nur Einen Teufel – eben Nazi-Deutschland. So einfach ist das. Sancta Simplicitas! Man kann es aus lauter Verzweiflung nur noch ins Lateinische übersetzen, um sich den versteckten theologischen Hintergrund der aktuellen zeitgeschichtlichen Debatten verständlich zu machen: „Germania nationalis-socialista vere incarnatio diaboli erat.“

Deutschland als Inkarnation des Bösen! Das ist natürlich keine Theologie, keine Historie, es ist keine Wissenschaft, sondern … es ist ein unbeweisbarer und auch unwiderlegbarer Glaube an das absolute Böse, das in Deutschland Fleisch geworden sein und unter uns gewohnt haben soll.

Quelle:
Johannes Wilms: Krieger, Sieger und Besiegte. Elmau, die Tagung: Historiker untersuchen Europas gefährdeten Frieden [=Tagungsbericht zur Elmauer Tagung „A peace to end all peace“]. Süddeutsche Zeitung, 20. März 2015, S. 12

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