Jun 232015
 

europa_luini kopie
… sic et Europe niveum doloso
credidit tauro latus…

„… so vertraute Europa auch dem listigen Stier
an die schneeweiße Hüfte…“

So besingt ein europäischer Dichter, Quintus Horatius Flaccus, das Schicksal Europas (Ode 3,27). Europa, mit einem erlesenen Sinn für Schönheit, für Natur, für Vielfalt und für Freundschaft unter den Menschen begabt, steht bei Horaz symbolisch für Europa im Zeichen der europäischen Kulturen, der europäischen Natur, der europäischen Schönheiten und der Solidarität.

Im Blick auf Europa dürfen wir sagen: Europa ist da stark und überzeugend, wo der Sinn für Freundschaft, Schönheit und Kultur gedeiht, wo Vielfalt nicht zertrampelt wird, sondern sprießt und wo Europa nicht unter das Joch der Gewalt gespannt wird.

Als blumenpflückende Prinzessin stellt auch Bernardino Luini, der Zeitgenosse Martin Luthers, um das Jahr 1522 Europa dar. Wir sehen Europa beim Blumenpflücken. Wie schön: Europa im Frieden! Frieden für Europa – das wollen wir doch alle!

Doch dieses Idealbild Europas ist gefährdet. Ein scheinbar zutraulicher, scheinbar zahmer Stier nähert sich Europa. Was führt er im Schilde? Der Zeichner Luini zeigt es uns nicht; die furchtbare Vergewaltigung und Entführung Europas bleibt unseren Augen erspart.

Im Blick auf die heutige Lage dürfen wir sagen: Der Stier, der Europa auf die Hörner nimmt, vergewaltigt und entführt, steht symbolisch für die Macht des Einen, für die zügellose Herrschaft. Es ist der Inhaber der Macht selbst, der sich als angreifender Stier verkleidet hat, um Europa zu vergewaltigen. Nicht umsonst steht der angreifende Stier, the Charging Bull, als Monument für die Macht am Bowling Green. Der Stier der verführerischen, unterjochenden Macht des Geldes hat Europa auf die Hörner genommen.

Europa steht symbolisch für ein Europa der Vielfalt, der Blüte der Kulturen, ein Europa der Achtung der Menschenrechte. Die Königstochter Europa steht für ein Europa des Wortes und der Kultur. Und Europa will den Frieden.

Der Stier der Macht hingegen steht für Zwang, Herrschaft, Gewalt, Unterjochung, Zwangsehe. Aus den Hörnern des Stiers gibt es kein Entkommen. Der Stier – er mag als europäisches Schwert, als europäisches Reich, als zügellos herrschendes Geld erscheinen – kennt keine Bindung an das Recht. Er holt sich, was er will.

Europa? Ist das nicht unser Kontinent? Richtig – es ist Europa, von dem Europa den Namen hat.

Europa, Tochter des Königs Agenor, ist das Symbol Europas.

Ein Schöneberger fragt: Ist also nicht der Euro, sondern Europa das Symbol Europas? Antworte mir, Kreuzberger!

Einige Quellen Europas:
Das Gedicht von Horaz ist z.B. hier publiziert:
Q. Horati Flacci opera. Ediderunt Edvardus C. Wickham et H.W. Garrod. Oxonii, 1975, carminum liber III, carmen XXVII.

Bild: Europa und ihre Gefährtinnen beim Blumenpflücken. Zeichnung, Pinsel in Braungrau, weiß gehöht. Entwurf für Fresko in der Casa Rabia in Mailand. Foto Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Fotograf/in: Volker H. Schneider

Die Zeichnung Bernardino Luinis ist hier publiziert:
„Europa und ihre Gefährtinnen beim Blumenpflücken.“ In: Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien. Für das Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. Ausstellungskatalog hgg. von Dagmar Korbacher mit Beiträgen von Christophe Brouard und Marco Riccòmini. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 216-217

Eine Website mit dem angreifenden Stier – The CHARGING BULL – findet sich hier:
http://chargingbull.com/

Die Geschichte Europas steht hier:

Η Ευρώπη

Source: Ευρώπη (μυθολογία) – Βικιπαίδεια

 Posted by at 13:06

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