Apr 062016
 

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Was hat sich der Vater selbst zu Lebzeiten gewünscht? Er dachte an das, was nach seinem Tod kommen wird! Was er will, dass nach seinem Tod kommen möge für die, die nach seinem Tod leben! Seine schon beizeiten schriftlich niedergelegten Instructionen sehen nicht Trakls Lied „Verklärter Herbst“ vor, sondern das Lied „Komm süßer Tod“.

Der Tod sei kein letztes, denn wir seien nicht nur von dieser Welt. Der Tod sei kein Feind! Er sei ein Hineingehen in eine höhere, andere Wirklichkeit. Dies war der feste Glaube meines Vaters. Er floh den Gedanken an den Tod nie.

Dieses folgende Lied stellt eine unerhörte Entwaffnung des Todes dar. Wir werden es dem Willen des Vaters folgend während des Requiems singen und dazu auf das Musicalische Gesang-Buch Christian Schemellis zurückgreifen.

Für den Komponisten des Süßen Todesliedes, Johann Sebastian Bach also, waren stets und immer die Worte der Dichtung, die Worte des Evangeliums der Quell seines Schaffens. Bach war im eminenten Sinne ein Mann des Wortes. Die Musik dient dem Wort, verstärkt, belebt und schmückt das Wort.

Charles Marie Widor hat am 20.10.1907 in Paris erzählt, wie erst sein Schüler Albert Schweitzer ihm Aug und Ohr  für das zutiefst Sprachliche, das zutiefst „Redende“ der Bachschen Instrumentalmusik geöffnet habe. Die Orgel-Choralvorspiele und Orgel-Phantasien Bachs seien ihm, Widor, unbegreiflich geblieben, das Schroffe, das Unnatürliche, Widersprüchliche, ja mitunter Unnatürliche der Stimmung sei ihm verschlossen geblieben.

Natürlich muß Ihnen in den Chorälen vieles dunkel bleiben, da sie sich nur aus den zugehörigen Texten erklären.“ So die gut belegte Erwiderung Schweitzers. Und dann übersetzte Schweitzer aus dem Kopf die zugrundeliegenden deutschen Choraltexte ins Französische.

Das ist eine kühne, aber dennoch wahre Lehre des Schülers für den Lehrer! Schweitzer bahnte Widor und uns allen den Weg für eine völlig neue Sicht auf die Musik Bachs, ja die barocke Musik überhaupt. Belebte Klangrede, Einheit von Ton und Wort, und, ja,  – das mag viele Klassik-Fans vor den Kopf stoßen! – Vorgängigkeit des Wortes, Vorrang des Wortes vor der Musik, das sind die Grundgedanken, die man nie aus den Ohren verlieren sollte bei Bachs Vokalmusik und selbst bei Bachs Instrumentalmusik.

Nachzulesen in Widors Vorrede zum großen Buch „J.S. Bach“ von Albert Schweitzer, erstmals erschienen 1908.

1.
Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Komm, führe mich in Friede,
weil ich der Welt bin müde,
ach komm, ich wart auf dich,
komm bald und führe mich,
drück mir die Augen zu.
Komm, selge Ruh!

2.
Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Im Himmel ist es besser,
da alle Lust viel größer,
drum bin ich jederzeit
schon zum Valet bereit,
ich schließ die Augen zu.
Komm, selge Ruh!

3.
Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
O Welt, du Marterkammer,
ach! bleib mit deinem Jammer
auf dieser Trauerwelt,
der Himmel mir gefällt,
der Tod bringt mich darzu.
Komm, selge Ruh!

4.
Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
O, dass ich doch schon wäre
dort bei der Engel Heere,
aus dieser schwarzen Welt
ins blaue Sternenzelt,
hin nach dem Himmel zu.
O selge Ruh!

5.
Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Ich will nun Jesum sehen
und bei den Engeln stehen.
Es ist nunmehr vollbracht,
drum, Welt, zu guter Nacht,
mein Augen sind schon zu.
Komm, selge Ruh!

 

Bild: Andrea Solario: Ecce homo. Olio su carta incollata su tavola – Öl auf Papier, geklebt auf  Tafel. Accademia Carrara, Bergamo. Gesehen von uns am 13. März 2016

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