Nov 232016
 

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Und du fährst über den Fluß, müde vom Tagwerk, wo du die Pflugschar des Gespräches, das wir sind, so oft hin und her wendetest, daß du nicht weißt, wo der Morgen des Ackerns begann und wo er endete. Schau da! Träge wälzt er, der Fluß, sich von einer Seite auf die andere. Er, das ist eine Sie, die Spree, ein Fluß voller Rätsel, der so oft unentschieden scheint, in welche Richtung die Strömung verläuft. Wie das? Eine Strömung, die sich ganz der Strömung anvertraut – das wäre ein Widerspruch, es wäre eine unfassbare, letztlich geradezu quantenmechanische Unschärferelation!

Und doch, schau einmal ganz ungenau hin! Wenn du nur ungenau genug hinschaust, dann ist es so. Dann musst du es glauben, dass die Spree manches Mal auch rückwärts fließt. Ja, sie weiß es nicht immer, wohin die Strömung sie treibt. Und so lässt sie sich in der Strömung treiben. Weit, weit hinaus ins Land, hinunter zum Horizont, ins havelländische Luch oder ins märkische Oderbruch. Sie möchte schlafen. Sie wartet auf den Winter. Sie wälzt sich hin und her am schilfigen Rohrdamm und sie weiß nicht, wann sie zur Ruhe kommt, wie ein Schlafender, der sich geschäftig umwälzt um fünf Uhr morgens, weil er nicht weiß, ob es sich schon aufzustehen lohnt. Und dann steht er auf, wenn die güldene Sonne den Sims des gegenüberliegenden Hauses bestreift und rötlich färbt für einige wenige kostbare Minuten. Rötlich? Nein, gülden! Dafür gibt es ja extra dieses Wort gülden, wißt ihr, um Leben und Wonne auszudrücken, gülden, das ist mehr als golden, seltener, weniger sichtbar!

Aber sie, die Spree, sie wartet auf das Eis. Sie wünscht sich den Frost.

Bild: Die Spreebrücke am Rohrdamm. Aufnahme von heute

 Posted by at 18:33

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