Entspricht das griechische „πρὸς τὸν θεόν“ dem kroatischen „u Boga“ und dem deutschen „bei Gott“?

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Jan 042017
 

1.U početku bijaše Riječ i Riječ bijaše u Boga i Riječ bijaše Bog.
2. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
3. Im Anfang war das Wort  und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
4. Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.
5. Am Anfang war das Gespräch und das Gespräch war zu Gott und das Gespräch war Gott.

Fünf Mal dasselbe, nur mit etwas anderen Worten ausgesagt? Die erste Fassung ist kroatisch; sie hörte ich so beim Weihnachtsgottesdienst am 25. Dezember 2016 in einer Berliner katholischen Kirche. Die zweite Fassung ist der lutherischen Jubiläumsausgabe der Bibel aus dem Jahr 2017 entnommen. Die dritte Fassung wird in der neuen katholischen Einheitsübersetzung von 2016 angeboten. Die vierte Fassung ist der heute allgemein zugrundegelegte griechische Ausgangstext (Nestle-Aland, 28. Aufl.). Die fünfte Fassung ist der Vorschlag des hier Schreibenden.

Die kleinen Partikeln, die Präpositionen und die Konjunktionen, der bestimmte Artikel und der unbestimmte Artikel sind es häufig, an denen sich der Gesamtsinn eines Satzes entscheidet, in diesem Fall auch der Gesamtsinn eines Textes, also des vierten Evangeliums. Die griechische Präposition πρὸς mit Akkusativ bedeutet in der natürlichen griechischen Sprache der damaligen Zeit und auch bei Johannes eine Gerichtetheit oder eine Bewegung zu etwas hin, auf etwas zu; sie bedeutet keine gleichbleibende räumliche oder zeitliche Nähe. Dynamik, nicht Statik ist stets angesagt!

So heißt es über Nikodemus (Joh 3,2):

οὗτος ἦλθεν πρὸς αὐτὸν νυκτὸς – „er kam des Nachts zu ihm“, „der kam zu ihm bei Nacht“, „dieser suchte ihn nachts auf“ o.ä.

Joh 8,1:

Ἰησοῦς δὲ ἐπορεύθη εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν – „Jesus ging zum Ölberg“ o.ä.

Dementsprechend sagt Jesus in seinem Schlussgebet laut dem Johannesevangelium (Joh 17,13):

νῦν δὲ πρὸς σὲ ἔρχομαι – „nun komme ich zu dir“ o.ä.

Der sprachliche Befund ist eindeutig; er lässt es meines Erachtens nicht zu, die Präposition πρὸς cum accusativo als bei oder kroatisch u zu übersetzen.

Der Logos, die gesprochene, zwanglose Rede, der sprachlich verfasste Sinn-Austausch, der „sermo“, wie Erasmus Logos ins Lateinische übersetzt, das „Gespräch“ suchte gleichsam Gott auf, es suchte Gott, es war in Bewegung auf Gott hin, es war zu Gott gerichtet – ohne doch schon je und je bei ihm zu sein. Es hatte Gott nicht, es war nicht bei Gott, es war vielmehr zu Gott hin.

Johannes scheint den Anfang als eine Art sprachliches Geschehen in der Trennung zu denken. Die Trennungserfahrung, nicht die Einheit scheint im vierten Evangelium am Beginn der Schöpfung zu stehen. Am Anfang stand keine Einheit, sondern eine Mehrheit. Gehen-zu, Suchen, Aufsuchen, das ist der Anfang.

Die Folgerungen aus dieser Auffassung, die sich in den bewussten Gegensatz zum jahrtausendealten Hauptstrom der theologischen, besser: der christologischen Übersetzungstradition des vierten Evangeliums stellt, sind vorerst nicht absehbar, sie sind jedenfalls beträchtlich.

Bild:
Dem Adler gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe das Gespräch
Übers Gebirge hin.

Blick vom Nordturm der Schnarcherklippen auf die beiden Brockengipfel im Harz; 671 m ü. NN, bei Schierke, aufgesucht und bestiegen am 29.12.2016

 

Quellen:
1) Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe. 1. Auflage. Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 2016, S. 1226 (Joh 1,1)
2) Die Bibel. Lutherübersetzung. Nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel. Revidiert 2017. Jubiläumsausgabe. 500 Jahre Reformation. Mit Sonderseiten zu Martin Luthers Wirken als Reformator und Bibelübersetzer. Deutsche Bibelgesellschaft,  Stuttgart 2016, S. 108 (Joh 1,1)
3) Nestle-Aland. Novum Testamentum graece. 28., revidierte Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 292 (Joh 1,1)

 

 

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Die unversiegliche Kraft des alten Neuen. Zum Antritt des Neuen Jahres

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Jan 022017
 

Groß und stark und zuversichtlich kam das Neue Jahr herauf. Wir begrüßten es im Harz. Zwei Tage vor Silvester bestiegen wir in völliger Dunkelheit den Brocken; dort erschien nach dem ersten farbenprächtigen Präludium des Anstiegs zuerst ein glutroter Fleck in weiter Ferne, ein dunkelrotes Etwas, das sich wie eine glühende Esse zischend und gischtend ausbreitete. Dann erst hob sich der Feuerball vor unseren Augen über den Horizont, bezwingend und unbezwinglich trieb es ihn höher und höher.

Das Neue Jahr beginnt zuversichtlich, stark, mutig, staunend, lächelnd. Der Mut, die Zuversicht, die Stärke, das Staunen, das Lächeln, sind sie alle noch da, die alten Tugenden, die unerschöpflichen, sonnenähnlichen Kraftquellen? Ja, sie sind’s! Wir haben sie auf dem Brocken unversieglich gespürt.

Die Ihr dies lest und seht, möget auch Ihr sie verspüren!

Bild: Sonnenaufgang am Morgen des 30. Dezember 2016, Brocken/Harz

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