Feb 182017
 

Immer wieder gerate ich als vorbeigehender Zeuge in  Unterredungen zwischen Kindern und erwachsenen Radfahrern, die einen Schulhof, dessen Gelände auf das allgemeine Straßenland hinausreicht und das deutlich an beiden Einfahrten ein Verkehrszeichen „Radfahren verboten“ aufweist, ungescheut auf ihrem Rad durchfahren. Sehr zum Unwillen der Kinder! Sie rufen dann: „Absteigen bitte!“ „Aussteigen bitte, das ist ein Schulhof!“

Umsonst! Ich höre dann von den Erwachsenen, die von den Kindern um das Absteigen gebeten werden, irgendwelche Rechtfertigungen oder auch barsche Knurrlaute, etwa in folgender Art: „Ich passe schon auf!“, „Das seh ich nicht ein, hier kommt ja niemand“, „Haltet das Maul“ usw. usw.

Sind Verkehrszeichen oder überhaupt Vorschriften – wie etwa hier das VZ 254 „Verbot für Radfahrer“ – nur dann zu beachten, wenn man deren Sinn einsieht? Soll man Regeln nur dann befolgen, wenn man sie gut findet?

Ich selbst befuhr übrigens vor Jahrzehnten ebenfalls als Achtklässler ohne Zögern einige Male den Schulhof mit dem Fahrrad, obwohl ich wusste, dass dies verboten war und mich der Rex sogar erwischt hatte. Mich leitete dabei die Maxime: „Ich weiß selbst, was ich verantworten kann, ich sehe doch, dass da niemand kommt. Und wenn jemand mir in die Quere kommt, dann bremse ich rechtzeitig.“

Zwei Jahre später, in der 10. Klasse,  las ich dann als Hinführung zu der „Kritik der praktischen Vernunft“ Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, erschienen in Riga 1785; Kant hinterließ damals mit seinen drei Kritiken einen ungeheuerlichen, bis heute nachwirkenden Eindruck auf mich, und seither begleitet mich die beständige Selbstbefragung und Selbstprüfung: „Was wäre, wenn jeder dieser Maxime folgte? Würde ich wollen können, daß meine Maxime ein allgemeines Gesetz werde?“

Die Antwort lautete damals nein und lautet heute nein. Man muss Vorschriften auch dann befolgen, wenn man deren Sinn nicht einsieht.

Ich meine darüber hinaus, dass hier auf diesem Schulhof geradezu die sittliche Pflicht für Erwachsene besteht, den Kindern als Vorbild zu dienen und sich an die Verkehrsregeln zu halten. Auf diesem Schulhof abzusteigen stellt auch keine unzumutbare Härte dar, denn auch der eilige Radfahrer verliert nur etwa eine Minute Lebenszeit. Lebenszeit, die er dazu nutzen kann, mit den Kindern oder den Lehrern zu plaudern.

Was sollen die kleinen Grundschulkinder (ab Klasse 1) von uns Großen halten, wenn sie sehen, dass die meisten Radfahrer an dieser Stelle so offensichtlich und trotz aller Bitten der Kinder die Regeln missachten, die hier zum Schutz der kleinen Kinder erlassen worden sind?

Man bedenke: Für Kinder sind alle Erwachsenen irgendwie die Großen. Und „die Großen“ halten sich nicht an die Gebote. Und das ist schlecht für die Kinder, weil die Großen damit ihre Achtung verlieren. Und die Kleinen können keinen Sinn für das Rechtschaffene, für die Redlichkeit entwickeln, die doch recht eigentlich Gesellschaften zusammenhält.

Bild: Szene  auf dem Schulhof heute, am Vormittag

Leseempfehlung für die Großen:

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Riga, bey Johann Friedrich Hartknoch. 1785. Hier bsd. S. 52: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“

 

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