Die Angst der Muslime vor der Zwangsunterwerfung und der Re-Islamisierung

 1917, Angst, Flüchtlinge, Islam, Migration  Kommentare deaktiviert für Die Angst der Muslime vor der Zwangsunterwerfung und der Re-Islamisierung
Jan 212015
 

Ball grotesk – so muss man das wohl sehen, was derzeit in den deutschen Feuilletons und Kommentarspalten abgeht.

Libanon, Syrien und die Länder Westafrikas wie etwa Mali, Niger, Côte d’Ivoire, Nigeria, ja selbst Indien sind derzeit noch multikulturelle, derzeit noch multireligiöse Staaten im Afrika südlich der Sahara, im Nahen Osten (also im „Morgenland“)  und in Asien. Sie zittern  vor den erbarmungslosen Unterwerfungsfeldzügen des „Islamischen Staates“, „Boko Haram“ und anderer Milizen.

Zugleich finden sich hier in wenigen deutschen Städten Protestierende zusammen, die vor einer angeblich drohenden, schleichenden angeblichen partiellen „Islamisierung des Abendlandes“, einer „Landnahme“  warnen, wie dies vor Jahren bereits die Zeitung taz gemacht hatte, die Zeitschrift DER SPIEGEL in ihrer Titelgeschichte (Nr. 13/2007) gemacht hatte,  – und diese „Islamisierungskritiker“ (der SPIEGEL, die Pegida, die taz … und die ganze Mischpocha)  werden flugs als „islamfeindlich“ etikettiert.

Ihnen, diesen „Islamisierungs-Warnern“ von taz, Pegida und SPIEGEL und der ganzen Mischpocha stellt sich eine dicht geschlossene Phalanx der selbsternannten Anständigen in verschiedenen Pro-Bewegungen entgegen: bedingungslos Pro-Zuwanderung, bedingungslos Pro-„Weltöffnung“ (auch gegenüber allen Tschetschenen, auch gegenüber allen Serben, auch gegenüber allen Tunesiern), bedingungslos Pro-„Weltoffenheit“, bedingungslos Pro-Immigration. Augen zu – und durch – und immer fest Draufschlagen auf die Unanständigen, auf die „Islamfeinde“, so scheint das Motto zu lauten.

Ich finde, hier tut mehr Differenzierung not.

Das Hauptargument der Pro-Islam-Contra-Pegida-Bewegungungen lautet, es gebe keinerlei Gefahr einer „Islamisierung des Westens“, da rein statistisch die fundamentalistischen Islamisten innerhalb der Gesellschaft und auch innerhalb der Muslime eine Minderheit darstellten. Es gebe keinerlei Aussicht einer flächendeckenden oder begrenzten Islamisierung des „Abendlandes“. Manche schaut tief als gelernte Kardiologin hinein in die Herzen der Mitmenschen, entdeckt „Hass und Kälte“ im Herzen der Islamisierungskritiker, mancher entdeckt, wie warm und liebevoll sein Herz doch für die Muslime schlägt, von denen er freilich meist – wenn der Augenschein nicht trügt – im Alltag keine kennt.

Aus Kreuzberger Sicht stellt sich der Frontverlauf übrigens ganz anders dar als eben skizziert. Das riesige Privileg von uns Kreuzbergern in einigen Wohnvierteln wie dem meinen ist ja, dass wir bereits inmitten einer mehrheitlich durch weitgehend islamisch geprägte Zuwanderung geprägten Wohn-Umgebung siedeln.

Wie schätzen nun die hier in Deutschland ansässigen Muslime und Nichtmuslime, die aus den Staaten des Nahen Ostens und Afrikas zu uns kamen, die Lage ein? Sehen sie die Gefahr einer schleichenden Re-Islamisierung, einer expansiven „Landnahme“ oder Re-Islamisierung oder Neu-Islamisierung der aufgeklärten, der ehemals zum Teil multikulturell geprägten Länder des europäischen Westens, der westlich-säkularen und multikulturellen Staaten wie etwa Syriens oder Libanons?

Die Antwort darauf lautet: ja. Ganz offensichtlich ist dies so. Sie haben Angst.

Und das Argument der geringen Zahl? Gilt nicht. Gewaltsame, revolutionäre Bewegungen haben sich stets aus einer Minderheitenposition durchgesetzt.

Die russischen Bolschewiki etwa waren zunächst einmal eine Minderheit – sowohl in der Bevölkerung wie auch nicht zuletzt in der russischen SDAPR  selbst. Dann schlugen sie zu, als die Stunde günstig war; sie zertraten und vernichteten aus einer absoluten Minderheitenposition heraus ihre Feinde im Innern des eigenen Staates.

Und bis 1989 beherrschten sie, die Bolschewiki und ihre Nachfolger, dann die Hälfte Europas einschließlich Prags, Warschaus, Brodys, Czernowitz‘  und Budapests. Dann erst, in den Jahren 1989/1990 fiel der eiserne Vorhang.

Genaueres Hinsehen tut not. Ein Blick in die Seiten des für Flüchtlinge und Migration zuständigen Bundesamtes der letzten Jahre lehrt: Tschetschenien, Serbien, Tunesien waren je nach Jahr und je nach Bundesland mit die wichtigsten Herkunftsländer für Asylbewerber, obwohl diese Länder nachweislich damals bereits befriedet waren. Immer nur draufschlagen auf Kritiker und Warner wie SPIEGEL, Pegida und taz, und alle Türen für alle zuwandernden jungen Männer aus allen Ländern öffnen, wie dies nachweislich in den letzten Jahren geschah, kann nicht die Lösung für die Probleme von Tschetschenien, Serbien und Tunesien sein.

Wer aber in Not ist, soll unsere Hilfe bekommen. Er hat Anspruch darauf.

 Posted by at 09:28

Brauchen wir einen Stolypin-Vergleich?

 1917, Europäisches Lesebuch, Russisches, Sozialismus, Vergangenheitsbewältigung, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Brauchen wir einen Stolypin-Vergleich?
Apr 042014
 

2014-04-04 08.53.08

Spät bei meiner Rückkehr ins Hotel Wedina in Hamburg wartete gestern dort schon – verkörpert durch sein neuestes Buch – ein Mit-Schwabe auf mich, weder ein sparsamer Neckarschwabe noch ein fleißiger Lechschwabe allerdings, sondern ein tüchtiger Banater Schwabe: Richard Wagner, geboren 1952. Wir Schwaben sind oft eines Sinnes, zum Schwaben Wagner würde ich mich sofort an den Frühstückstisch setzen, selbst wenn er der einzige Hotelgast wäre. Sein schmerzhaft schürfendes Buch „Habsburg“ schlage ich an einer beliebigen Stelle auf, hier S. 158: „Heute ist der Hitler-Stalin-Pakt-Vergleich in Ostmitteleuropa fast so beliebt wie in Deutschland der Hitler-Vergleich.“ Na, das passt ja zur Seite 1 unten in der heutigen Süddeutschen!

Eine wichtige Vergleichsgröße für russische Politiker sollte in unseren Augen jederzeit  der Innenminister und zeitweilige Premierminister Pjotr A. Stolypin (1862-1911) bilden. Über ihn schrieben wir am 5. Januar  2009 in diesem Blog: „Stolypin war einer jener Politiker, die in der zaristischen Spätzeit vernommen hatten, was die Uhr geschlagen hatte. Er versuchte durch einschneidende Reformen die schlimme Lage der Bauern zu verbessern, indem er ihnen neue Anrechte auf Grund und auf billiges Kapital verschaffte. Er kämpfte für eine effizientere Verwaltung, versuchte einen vernünftig geregelten Markt für die aufstrebende Industrie zu schaffen. Stolypin setzte auf grundlegende Reformen, ohne jedoch die Zarenherrschaft insgesamt in Frage zu stellen. Das Mittel der Revolution lehnte er ab, seine Agenda verlangte dem herrschenden Zaren und dem Adel weitreichende Zugeständnisse ab, ohne den Antimonarchisten Vorschub zu leisten.“

Der Totalitarismus ist tot. Russland hat sich dauerhaft und glaubwürdig – wie ich immer wieder erfahre – vom Zwangssystem der kommunistischen Diktatur losgesagt. Es sucht nun mögliche historische Vorbilder. Die Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele in Sotschi war sicherlich ein verlässlicher Hinweis auf die intensive Suche des heutigen Russland nach positiven Anknüpfungspunkten. Das Grauen der Geschichte kann niemals ausreichen, um einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Völlig zu Recht wurden aus der Feier die üblichen heroischen Beschwörungen der sowjetischen Geschichtsklitterung verbannt.

Ein reizvolles Vorbild oder Gegenbild, an dem sich das Ausland bei mehr oder minder passenden (meist äußerst unpassenden) Vergleichen lebender russischer Politiker mit historischen Gestalten abarbeiten kann, ist neben der deutschen Zarin Katharina II. sicherlich Pjotr A. Stolypin. Wer Katharina II. und Stolypin versteht, wird auch das heutige Russland in seiner Sinnsuche, seiner Suche nach Kontinuität besser verstehen!  Vergessen wir nicht, dass Stolypin 2009 im staatlichen Fernsehen zum wichtigsten russischen Politiker der Geschichte gekürt wurde – ein Ereignis, dem ich damals staunend und mit offenem Mund in Moskau beiwohnte:

Ein Land, das dringende Reformen versäumt, wird bestraft

Zitat: Richard Wagner: Habsburg. Bibliothek einer vergangenen Welt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, S. 158

Bild: Blick aus dem Fenster des Hotels Wedina, Hamburg, im Hintergrund: blühender Kirschbaum, im Vordergrund: das Buch „Habsburg“ von Richard Wagner, erschienen zu Hamburg bei Hoffmann und Campe im Jahr 2014

 

 Posted by at 09:32
Dez 212013
 
Beim Schlendern an meiner Buchwand entlang fiel mir heute ein amerikanisches Buch aus der Studentenbibliothek meines Vaters auf: The Possessed. Dostoyevsky. Offenkundig ein Stück aus dem umfangreichen Lektürekanon, den die deutschen Marshall-Fund-Stipendiaten (wie mein Vater) während ihres USA-Aufenthaltes nach dem zweiten Weltkrieg komplett durchzulesen hatten. Nun, ich, der Sohn des Stipendiaten, werde wohl kaum Dostoevsky auf Englisch lesen.
Aber ich las soeben das 1935 geschriebene Vorwort Avrahm Yarmolinskys zur Übersetzung der „Dämonen“ von Dostojewski. Aufwühlend!
Yarmolinsky schreibt: „In some respects Dostoyevsky’s emotional nationalism and racialism anticipate the Fascist philosophy of our own day.“ Er fährt fort: Der ehemalige Sozialrevolutionär Dostojewski, der Gewalt und Umsturz befürwortet habe, habe sich bald zum brennenden Unitaristen gewandelt: Zar und Russentum, christliche Orthodoxie und Staat gehen Hand in Hand, „Thron und Altar“ unterstehen dem Zaren von Gottes Gnaden, die Russen als Träger des höheren Menschentums, als Erlöservolk Europas, ja der ganzen Menschheit … Welterlösung durch die überlegenen Gene des russischen Volkes … von da führt ein gerader Weg zu der unfassbaren Überlegenheitsgeste Lenins, Stalins … bis hin zur russischen Politik von heute!
Den Zaren haben die Revolutionäre 1917 abgeschafft, geblieben ist aber ohne jeden Zweifel der Cäsaropapismus, also der Anspruch der russischen Machthaber, die höhere spirituelle Wahrheit, in deren Besitz sie sich wissen, mit den Mitteln des Staates und der Politik durchzusetzen, auch mit Gewalt durchzusetzen.
Erlösung Europas von allem Bösen durch die Politik! Das Thema begleitet uns bis heute! Mit größter Sympathie studierte auch die westeuropäische Studentenbewegung der Jahre ab 1966 die französischen, deutschen und russischen Revolutionäre von Fourier und Bakunin bis hin zu Lenin, Trotzkij, Stalin und Fidel Castro. Etwa 130 Jahre nach Dostojewskis sozialistischer Frühphase schlugen Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Daniel Cohn-Bendit, Christian Ströbele, Horst Mahler (erst Sozialist, dann Nationalsozialist) und viele viele andere,  der SDS, die AL in Berlin-Kreuzberg, all die Sozialrevolutionäre, Antikapitalisten, Kommunisten, die grünen Anti-Nationalisten und Anti-Patrioten, die Antideutschen von Friedrichshain ganz ähnliche Töne von kollektiver sozialistischer Welterlösung an.
Bis zum heutigen Tag überlebt die Hoffnung, man könne durch den einen großen, großartigen Streich, etwa durch die Abschaffung des Kapitalismus, durch die Entdeutschung bzw. Europäisierung Deutschlands oder/und die Hinführung zum Kommunismus das Böse in der Weltgeschichte ein für allemal beseitigen.
Immer wieder erkennen wir dasselbe Grundmuster: Die Politik unterfängt sich, das Böse oder die Ungerechtigkeit in der Weltgeschichte durch einen kollektiven Plan, eine revolutionäre Befreiung zu beseitigen. Und das Böse, das ist der bestehende Staat, das ist der Kapitalismus, das ist die Polizei,  das ist Deutschland und seine deutsche Unheilsgeschichte, das ist der Klimawandel  usw. usw. Die Figuren des Bösen sind austauschbar, entscheidend ist: Man versucht das Böse schlechthin, das Ungerechte schlechthin durch einen genialen, langfristig denkenden Plan abzuschaffen.
Es lohnt sich, originale Texte aus den 30er Jahren zu lesen! Das Wissen über die Bewusstseinslage der 30er Jahre speist sich heute fast nur noch aus zweiter Hand. Wie dachte man damals über die Sowjetunion? Woher speiste sich das Gefühl einer akuten Bedrohung durch die Bolschewisten und durch die Nationalsozialisten/Faschisten, das damals in allen nichtsozialistischen Ländern mit Händen greifbar war, von Spanien über Frankreich und Polen bis hin zu Italien und Deutschland?
Wie reagierte die Welt auf die Nachrichten vom massenhaften Hungertod, von Menschenfresserei und politischem Massenmord in der Ukraine? Warum wird heute verschwiegen, dass die millionenfachen „Säuberungen“, also der systematische Massenmord in der Sowjetunion der 30er Jahre durch die staatlichen Organe damals überall bekannt waren?  Warum schwiegen Bert Brecht und alle anderen westlichen intellektuellen Russlandreisenden über den millionenfachen Massenmord, der sich vor ihren Augen abgespielt hatte?
Kaum jemand liest noch die russischen, deutschen, amerikanischen, polnischen, französischen Quellen aus den 30er Jahren in den Originalsprachen. Die verdienstvolle Initiative „Zeitungszeugen“, also der Nachdruck originaler Tageszeitungen aus den 30er Jahren, wurde in Deutschland törichterweise unterdrückt und zum Teil gerichtlich verboten. Deshalb ist auch das Geschichtsbild der Deutschen, aber vor allem der Franzosen und Italiener so furchtbar verzerrt und einseitig, mit verheerenden Folgen bis in die Tagespolitik hinein. Siehe die europäisch-russischen, die europäisch-ukrainischen Beziehungen!
Aber auch die politischen Ansichten eines Jean-Paul Sartre oder Bert Brecht speisen sich aus bemerkenswerter Unwissenheit russischer Quellen und russischer Geschichte.
Das Vorwort Avrahm Yarmolinskys zu  Dostojewskis Dämonen, das ich heute zufällig in die Finger bekam, ist eine erstrangige Quelle für die Geschichtsschreibung und die Analyse der aktuellen politischen Strategien Russlands.
Nachweis:
Avrahm Yarmolinsky: „Foreword“, in: Fyodor Dostoyevsky: The Possessed. Translated from the Russian by Constance Garnett. With a foreword by Avrahm Yarmolinsky and a translation of the hitherto suppressed chapter „At Tihon’s“. The Modern Library, Random House, New York 1936
 Posted by at 19:40
Dez 082013
 

Die Amerikanerin Anne Applebaum, die Polen Donald Tusk und Radoslaw Sikorski, Tony Judt, Christopher Clark, Henry Rousso, Jörg Baberowski, Norman Davies, Timothy Snyder … das sind einige europäische und außereuropäische Historiker, die leider in Deutschland, Italien, Frankreich und den Benelux-Staaten viel zu wenig gelesen werden. Sie böten für die EU die Chance, allmählich ein gesamteuropäisches Geschichtsbewusstsein zu schaffen. Aber nein: die sechs Gründerstaaten der EU köcheln im eigenen Saft. Sie kriegen einfach nicht mit, was in Ukraine, Russland, Polen, in „Osteuropa“, den baltischen Staaten seit 1917/seit 1945 abgeht. Sie tun so, als hätte es die Sowjetunion nie gegeben. Schade. Aber es rächt sich bitter – siehe den Schlingerkurs der Ukraine!

 Posted by at 13:50

„Nazi bleibt Nazi!“ – „Warst du nicht auch ein Nazi?“

 1917, Das Böse, Europäischer Bürgerkrieg 1914-1945, Gedächtniskultur, Opfer  Kommentare deaktiviert für „Nazi bleibt Nazi!“ – „Warst du nicht auch ein Nazi?“
Nov 082013
 

2013-11-06 14.20.25Zu den zivilisatorischen Großtaten rechnet zu Recht Jörg Baberowski die Rede Nikita Chruschtschows beim XX. Parteitag der KPdSU im 1956. Tenor der Rede war aus heutiger Sicht wohl ungefähr: Furchtbare Verbrechen sind ab 1917 unter unserer kommunistischen Herrschaft geschehen. Wir Kommunisten haben entsetzlichen, millionenfachen Mord unfassbaren Ausmaßes an unserer  Zivilbevölkerung begangen. Nur die Nazifaschisten, also die Deutschen kommen im Ausmaß der Massenverbrechen eingermaßen an uns sowjetische Kommunisten heran.

Wie weiterleben? Antwort: Es war alles nur ein Mann. Wir sowjetischen Kommunisten waren es nicht. Jetzt verdammen wir diesen Mann und verbrennen seine Bücher! Und alles wird wieder gut. Nicht wir sowjetischen Kommunisten waren es, sondern es war alles nur Stalin. Und diese einfältige Mär glauben die allermeisten Sozialisten, Kommunisten und Antifaschisten der westlichen Länder weltweit bis zum heutigen Tage.

„Warst du nicht auch ein Nazi?“ So muss man alle Deutschen fragen, die ab etwa 1933 geboren worden sind. „Warst nicht auch du ein Faschist?“, muss man alle zwischen 1930 und 1940 geborenen Italiener fragen.

Die allermeisten dieser zwischen 1933 und 1940 geborenen Deutschen waren wohl  mehr oder minder begeisterte Nazis. Kinder waren es, und Kinder sind fast immer 100-prozentige Parteigänger der eigenen Gruppe! So war sicherlich Peter Härtling als Kind ein überzeugter Nazi, der es seinem Vater vorwarf, dass er „nicht richtig mitgemacht“ habe – siehe das Buch „Nachgetragene Liebe“.

„Kommunist bleibt Kommunist!“ „Nazi bleibt Nazi!“ – „Atomkraftbefürworter bleibt Atomkraftbefürworter!“ So hört man es immer wieder.

„Nazi bleibt Nazi!“, so schrieb es beispielsweise Christian Ströbele MdB in seinem Bürgerbrief an uns schlichte Kreuzberger Bürger, als er sich bei uns um ein weiteres Mandat im Bundestag bewarb.

Wirklich – ist die Welt so einfach? Warst nicht auch du einst als Kind ein Nazi? Warst nicht auch du einst als junger Mensch ein Atomkraftbefürworter? Musst du nicht allen anderen Nazis und Atomkraftbefürwortern zugestehen, dass sie sich ändern können?

Bilder: Zwangsarbeit, Massenmord, Entrechtung, Nationalsozialismus prägen in diesen Tagen immer stärker für Kinder, Erwachsene, für Besucher aus nah und fern das Deutschlandbild allgemein und auch das Straßenbild Berlins. Aufnahme aus Berlin-Mitte vom 06.11.2013

Lesehinweis: Jörg Baberowski: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. C.H. Beck Verlag, München 2012, S. 500

 

 Posted by at 15:25
Feb 182013
 

2013-01-27-143641-1024×768.jpg

Immer wenn ich meine russischen Gesprächspartner so richtig ärgern will, erzähle ich ihnen die neuesten Schmeicheleien über Lenin, Stalin, Trotzki usw., die die westlichen Medien regelmäßig wieder auftischen: „Also, in der BBC-Dokumentation Die Geschichte des Menschen, geschrieben von Andrew Marr, produziert von Kathryn Taylor, präsentiert von Dieter Moor, wird Lenin als höflicher Mann dargestellt, der einen Raucher aus dem Abteil bittet, als er im verplombten Abteil von Zürich nach Petersburg gondelt! Und dann wird die Sowjetunion als erster sozialistischer Staat begrüßt! Euer Lenin, das war offenbar ein netter, lächelnder  Mann! So zeigt ihn die BBC!“

Die Reaktionen der Russen kann man so zusammenfassen: „Es ist hoffnungslos mit euch Europäern! Wann lernt ihr endlich mal die Geschichte der anderen Hälfte Europas kennen? Hättet ihr Deutschen uns Lenin und seine ganze Banditen- und Verbrecherbande nicht auf den Hals gehetzt, wäre Russland das Schlimmste erspart geblieben! Wir waren vor dem Ersten Weltkrieg auf einem guten Weg! Ihr Deutschen habt euch unentwirrbar als Totengräber des alten Russland schuldig gemacht – durch die Begünstigung der Revolution, aber nicht zuletzt auch durch das famose Waffenbündnis zwischen Deutschem Reich und Sowjetunion von 1939, das bis August 1941 hielt.  Toll toll toll! Und ihr wollt jetzt nichts mehr davon wissen!“

Derartige Reaktionen zeigen mir, wie völlig unterschiedlich die Geschichtsbilder der Deutschen, der Russen, der Briten, der Polen, der Letten, der Rumänen seit 1945 waren und auch weiterhin sind. Diesem Thema widmet sich auch Arnd Bauerkämper in folgendem Buch:

Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Schöningh Verlag, Paderborn 2012

Das Buch kenne ich leider noch nicht, aber aus der Besprechung, die Wolfram Pyta heute auf S. 8 der FAZ bringt, meine ich erkennen zu können, dass Bauerkämper den vielfach beklagten Befund einer zersplitterten europäischen Geschichtserzählung bestätigen kann. Das historische Gedächtnis ist – wie es die FAZ titelt – „Ein politisch umkämpftes Terrain: Europa konnte nach dem Zweiten Weltkrieg keine einheitliche Erinnerungskultur hervorbringen.“

So wie noch bis ins 17. Jahrhundert jeder Zweifel an der Existenz Gottes bei Strafe untersagt war, so hat sich mittlerweile in Deutschland und im westlichen Europa eine gleichsam theologische, mit strafrechtlichen Verboten bewehrte Dogmatik anstelle einer echten Geschichtserzählung herausgebildet. „Daran, an DIESEM EINEN darfst du nicht zweifeln!“, ist das Motto einer derartigen starren Dogmatik. So wie die scholastische  Theologie mit dem Begriff des Summum bonum, des absoluten Guten, des unhintergehbar Einzigartigen operierte, welches sie in der natura naturans dei erblickte, so bedient sich die gegenwärtige vorherrschende Geschichtstheologie des Summum malum, des absoluten Bösen, des Unvergleichlichen und Einzigartigen, welches sie im Massenmord an den europäischen Juden erblickt.

Diese geschichtstheologische, je „eschatologische“  Dogmatik ist stets durch das Datum des 08./09.05.1945  geprägt. Sie versagt aber meist hoffnungslos dabei, die Zeit vom 28.06.1914 bis zum 22.08.1941 einigermaßen vollständig zu erzählen.

Was tun ?

Ich meine erstens: eine gesamteuropäische Geschichtserzählung muss stärker die Quellen in den östlichen Sprachen einbeziehen. Allein deutsche und englische Bücher zur Kenntnis zu nehmen, genügt nicht. Polnische, russische, rumänische, lettische, finnische, jiddische, hebräische Quellen und solche in anderen Sprachen müssen ebenfalls eingearbeitet werden.

Jede gesamteuropäische Geschichtserzählung muss zweitens auch den realen Kommunismus als mentalitätsverändernde Macht miteinbeziehen. Alle Quellen aus jener Zeit – z.B. Tageszeitungen –  belegen, dass die Oktoberrevolution nach und neben dem Kriegsausgang von 1918 eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Ereignis war, das damals die Geister und Herzen beherrschte.

Die Massenhinrichtungen, die Gräuel, die Hungersnöte, die erbitterten Bürgerkriege, die zahlreichen kleineren zwischenstaatlichen Kriege, die seit der russischen Oktoberrevolution und insbesondere ab 1921 die gesamte kleinteilige Staatenlandschaft der Osthälfte Europas prägten, müssen auch bei uns in Deutschland oder Frankreich endlich zur Kenntnis genommen und ins Geschichtsbild eingefüttert werden!

Drittens: Immer nur an Nationalsozialismus, Faschismus und Weltkrieg zu erinnern, reicht nicht aus. Man muss auch an den Kommunismus, an seinen ab 1918 entfesselten unbändigen Terror, an Bürgerkriege und an Hungersnöte, an Zwangsumsiedlungen und Deportationen, an das Kulakenelend im Osten der Ukraine, an die Zwangssäkularisation der Muslime in den ab 1921 annektierten Gebieten der Sowjetunion, an die Ausplünderung und Zerstörung der Klöster und Kirchen in Russland erinnern. Wenig hilfreich ist es, stets und dogmatisch alle Verbrechen des Kommunismus nur Stalin und dem sogenannten „Stalinismus“ in die Schuhe zu schieben. War etwa Lenin, der höfliche Massenmörder, ein Stalinist? So weit wird und sollte sich niemand versteigen, der sich auch nur oberflächlich mit der russischen Geschichte vertraut gemacht hat!

Hier sollte man viertens auch die zeitliche Abfolge nicht verwischen: Der linke, auf Gewalt, Terror, Massenverbrechen gestützte Kommunismus kam zuerst, er ist das Prius für jede Befassung mit den auf ihn folgenden Massenbewegungen der rechtsnationalistischen, auf Gewalt, Terror, Massenverbrechen gestützten Strömungen in fast allen damals noch nicht kommunistischen Ländern Europas.

Dabei bleibt es selbstverständlich unbenommen, dass es eine nette höfliche Geste ist, wenn man zum Rauchen das Eisenbahnabteil zu verlassen bittet. Nicht alles ist böse, was der höfliche Lenin gesagt und gemacht hat.

 Posted by at 15:55
Nov 272012
 

Immer wieder höre ich derartige Sätze: „Also, wir Deutsche haben gar keinen Grund, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Zwar stimmt es, dass auch Stalin einiges auf dem Kerbholz hat, aber am schlimmsten ist und bleibt der Holocaust. Am schlimmsten sind und bleiben die Nationalsozialisten, also die Faschisten, also die Deutschen. – Die Deutschen sollen deshalb mal ganz schön stillhalten.“

Kein Zweifel: Der Holocaust wird häufig in den ehemals westlichen, außerhalb des kommunistischen Machtbereichs liegenden Ländern Europas stillschweigend als absoluter, negativer Ursprungsmythos des heutigen Europa ausgegeben. Claus Leggewie nennt ihn deshalb treffend und offenbar ganz ernst gemeint einen „negativen Gründungsmythos Europas„. Der Holocaust ist singulär und beispiellos für unser Land, beispiellos für Europa, beispiellos für die Weltgeschichte. Jeder, der die Beispiellosigkeit des Holocaust auch nur im Mindesten anzweifelt, die Einzigartigkeit des Holocaust, die Zentralität des Holocaust relativiert, sieht sich dem Verdacht der Verkleinerung, des Revisionismus, der Kontextualisierung ausgesetzt. Selbst ein Zweifel am zutiefst religiös aufgeladenen Begriff „Holocaust“ wird nicht mehr zugelassen, verfällt dem Anathema des strafrechtlich bewehrten Holocaustleugnungsverbotes.

Und die zwischen 1885 und 1908 10 Millionen durch belgisch-europäische Truppen bestialisch ermordeten, die im Dschungel verstümmelten Afrikaner im belgisch beherrschten Kongo? Ist dieses Massenverbrechen nicht ebenfalls beispiellos? Und die beispiellose Mordserie der Zwickauer Terrorzelle mit 10 Ermordeten in weniger als zehn Jahren? Hatte Bundeskanzlerin Merkel denn etwa nicht Recht, als sie diese Mordserie „beispiellos für unser Land“ nannnte?  Und die beispiellose Kreuzberger Serie an Ehrenmorden hier um die Ecke an muslimischen Frauen durch ihre eigenen Brüder und Ehemänner in den Jahren 2007 bis (vorläufig)  2012 – ist sie nicht auch einzigartig? Oder zählt ein Mordopfer der Zwickauer NS-Terrorzelle mehr als ein Mordopfer der Familien, die Ehrenmorde beauftragen? Und die Giftgasangriffe der Italiener im besetzten Abessinien – waren sie nicht auch beispiellose Verbrechen für unseren Kontinent?

Der italienische Kommunist Antonio Gramsci hat es immer wieder gelehrt: WER DIE HERRSCHAFT ÜBER DIE BEGRIFFE ERREICHT, DER WIRD AUCH DIE POLITISCHE MACHT ERRINGEN. Das ist das Streben nach der hegemonialen Herrschaft im Reich des Geistes, von dem neuerdings die Grünen Baden-Württembergs ebenfalls beseelt sind.

In diesem Sinne bemühen sich starke gesellschaftliche Kräfte, das Attribut der Einzigartigkeit für den Holocaust und für die deutschen Massenverbrechen  zu beschlagnahmen. Punktsieg für die Kriegsgegner des Deutschen Reiches von Sowjetunion bis USA, Punktsieg auch für die ehemals zahlreichen Verbündeten des Deutschen Reiches – zu denen auch – was nur wenige wissen –  bis 1942 das unbesetzte Frankreich gehörte.

Ein später Sieg der Kommunisten über die Nationalsozialisten ist es auch ganz offensichtlich, dass die beispiellosen Verbrechen der Kommunisten heute weithin unter dem Eitikett „Stalinismus“ zusammengefasst werden.

Dabei spricht alles gegen diesen personalisierten Begriff! Warum? Ein Beispiel muss her!

„Die Polen müssen vollständig vernichtet werden.“ So lautet ein gut dokumentierter handschriftlicher Befehl eines führenden sowjetrussischen Kommunisten. Klarer Fall von Stalinismus, möchte man meinen! Also – ein klarer Fall von eliminatorischem Völkermord, diesmal gerichtet auf die Ausrottung der polnischen Minderheit in der Sowjetunion! Handschriftlich erteilt im Jahr 1937 vom NKWD-Chef Nikolai Iwanowitsch Jeschow. Wie üblich wurden diese Befehle durch Massenerschießungen umgesetzt. Eine zweistellige Millionenzahl von inneren Feinden wurde von den Kommunisten aufgrund derartiger schriftlicher, gut dokumentierter Befehle in den Jahren 1917 bis 1953 in Massenerschießungen hingerichtet. Für all diese Gräuel hat sich nach 1956 zunehmend der Tarn- und Verhüllungsbegriff Stalinismus durchgesetzt und wird heute in den westlichen Ländern (nicht in den ehemals besetzten Ländern) weiterhin ohne kritische Fragen treugläubig verwendet, übrigens auch von dem hier zitierten Claus Leggewie. Die Vernichtungsbefehle gingen dabei keineswegs alle von Stalin aus, im Gegenteil, manchmal unterband Stalin sogar den Massenmord während der „Jeschowschtschina“, also der „Jeschow-Zeit“. Nicht Stalin, sondern Jeschow wurde damals als Hauptverantwortlicher der Massenmorde entmachtet und von der kommunistischen Parteiführung hingerichtet wie Hunderttausende andere auch.

Claus Leggewie fragt deshalb, ob Nationalsozialismus und Stalinismus gleichermaßen verbrecherisch seien. Im Licht der heute weitverbreiteten Holocaust-Theologie gilt: Die Frage muss verneint werden. Denn da der Holocaust durch den Nationalsozialismus verübt wurde, der Stalinismus hingegen nur durch Stalin verursacht wurde – und da der Holocaust als negativer Gründungsmythos Europas qua definitionem einzigartig ist, und da drittens Stalin – wie der Name schon sagt – Urheber der stalinistischen Verbrechen ist, trifft das damals kommunistische Land und auch die an sich gute Idee des Marxismus-Leninismus keine Schuld! Stalin ist letztlich an allem schuld. Und da Stalin tot ist, kann der Stalinismus sich nicht wiederholen, der Friede ist gesichert, der Kommunismus kann weiterhin ausprobiert werden. Der singuläre Rang des Holocaust bleibt auf alle Zeiten gesichert.

Alle Anstregungungen müssen gemäß der Holocaust-Dogmatik darauf gerichtet sein, dass der Holocaust sich nicht wiederholt. Alle anderen beispiellosen Massenverbrechen sind zweitrangig, sogar die beispiellose NSU-Mordserie der unvorstellbar grausamen Nazi-Zwickauer  Terrorzelle gewinnt ihre abscheuliche, teuflische Wucht nur deshalb, weil sie von Nazis verübt wurde. Der RAF-Terror der Baader-Meinhof-Gemeinschaft hat zwar weit mehr Morde ausgeführt und hatte im Gegensatz zur NSU-Terrorzelle ein klares Programm und eine erkennbare Propaganda, wie es sich für echte, reinrassige Terroristen geziemt,  war aber definitorisch weit weniger schlimm, da er nur von deutschen Linksterroristen, nicht von deutschen Rechts-Terroristen verübt wurde. Ganz zu schweigen von der fundamentalistischen Terrorserie der Kreuzberger Ehrenmorde. Diese Ehrenmorde sind definitorisch-dogmatisch nicht so schlimm wie die NSU-Morde, da sie weder von Nazis noch von Deutschen verübt worden sind.

Dies ist – knapp zusammengefasst – das Grundprinzip der negativen Theologie des Holocaust.

Dies ist ein stillschweigend akzeptiertes Dogma, das ich für das Gegenteil historischer Erkenntnis halte.  Es ist sogar ein fürchterlicher Unsinn, dem Teile der Soziologen und Geschichtspolitiker wie etwa Claus Leggewie aufsitzen. Schlimmer noch:  Unterschwellig durchherrscht dieses Dogma noch die heutigen Verhandlungen über die Euro-Krise: „Da die Deutschen am allerschlimmsten gehaust haben, sollen sie jetzt aber mal im Dienste des lieben Euro-Friedens schön die Füße stillhalten und zahlen.“  Diese Grundhaltung werden außer Dienst stehende Politiker wie Helmut Schmidt oder Martin Bangemann jederzeit erneut bestätigen.

Zum Weiterlesen:
Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt. Verlag C.H. Beck, München 2011, hier bsd. S. 14, S. 72, S. 144-151
Jörg Baberowski: Verbrannte Erde, München 2012, hier bsd. S. 350

Bild: Blick auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, den zentralen Erinnerungsort für den negativen Gründungsmythos Europas

 Posted by at 22:02

Im Zeichen von Hammer und Sichel: Verbrannte Erde

 1917, Das Böse, Ethnizität, Frau und Mann, Islam, Karl Marx, Kommunismus, Russisches, Sozialismus  Kommentare deaktiviert für Im Zeichen von Hammer und Sichel: Verbrannte Erde
Apr 032012
 

Soeben las ich Jörg Baberowskis „Verbrannte Erde“ in einem Zug zu Ende. Großartiges Buch, aber die sehr starke Personalisierung auf Stalin als schlechthin „bösartig“ finde ich denn doch überraschend. Denn solche Psychopathen wie Stalin gibt’s überall! Und der systematische Terror, die Massenhinrichtungen, die Ausmerzung der Volksfeinde und Verräter, die Ausplünderung und Vertreibung von ganzen Menschengruppen begann bereits mit der Oktoberrevolution 1917, also lange vor der Machtergreifung Stalins, wie Baberowski selbst sorgfältig herausarbeitet (S. 33-109). Allerdings erreichte erst mit und durch Stalin der Terror eine völlig neue Stufe, weil nunmehr jeder, auch engste Freunde, Verwandte und Mitarbeiter jederzeit den Mordbefehlen ausgesetzt sein konnten.  

Warum konnte Stalin sich über Jahrzehnte gerade im Zeichen von Hammer und Sichel und unter der roten Fahne des Marxismus-Leninismus so lange an der Macht halten?

Aufregend und hochaktuell für uns Deutsche ist es, wie Baberowski die Verfolgung und Unterdrückung der islamischen Völker anreißt! In Deutschland weithin unbekannt: Es gab staatlich befohlene Zwangsentschleierungen der usbekischen, der tatarischen Frauen, die Frauen wurden als unterdrückte Opfer durch die Bolschewiki „befreit“ – und nach der „Entehrung“ oft von den eigenen Männern des Clans ausgestoßen, kollektiven Schandstrafen unterzogen. Es gab hunderte Ehrenmorde.

Die Frauen wehrten sich gegen die erzwungene Befreiung, indem sie sich bewusst re-islamisierten und re-nationalisierten: „Einen Schleier zu tragen und religiöse Bräuche auszuüben, hieß jetzt nationalen Widerstand zu leisten“ (S. 149-154, vor allem S. 153).

Mein Tipp: Von hinten her, also vom letzten Kapitel anfangend, lesen!

Bild: Sehnsucht nach Hammer und Sichel. Das Bild, das sich mir täglich beim Verlassen meines Hauses bietet.

Jörg Baberowski

Verbrannte Erde

Stalins Herrschaft der Gewalt

Cover: Verbrannte Erde

C. H. Beck Verlag, München 2012
ISBN-10 3406632548
ISBN-13 9783406632549
Gebunden, 606 Seiten, 29,95 EUR

Verbrannte Erde | Baberowski, Jörg | Verlag C.H.Beck Literatur – Sachbuch – Wissenschaft

 Posted by at 11:45
Mrz 222012
 

Ein hübscher, polemisch zuspitzender Ausdruck, den ich von Leo Trotzki übernehme, ist der Ausdruck „Nationalkommunismus“. Bekanntlich sprach Trotzki sich gegen das Leninsche Konzept vom Sozialismus in einem Lande aus, wonach die kommunistische Revolution ruhig zuerst einmal in einem rückständigen Musterland durchgeführt werden solle, auch dann, wenn die Stunde der Weltrevolution noch nicht geschlagen habe. Stattdessen verfolgte er unbeirrt das übergeordnete Ziel der Weltrevolution. Das hat ihn sein Leben gekostet, die von ihm kritisierten russischen Nationalkommunisten jagten ihn aus dem Land und ermordeten ihn schließlich am 20.08.1940 in Mexiko wie so einige Millionen andere tatsächliche oder vermeintliche Abweichler, Volksschädlinge, zersetzende Elemente usw. usw.

Trotzki war einer der ersten, der in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bereits die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Nationalsozialismus und Nationalkommunismus herausarbeitete. Er sprach bereits viele Jahre vor dem deutsch-russischen Interessenaufteilungsabkommen vom 23.08.1939 von einer Art Volksfront der Nationalsozialisten und Nationalkommunisten gegen die wahren Kommunisten – die „Trotzkisten“ eben, wie sie sich später nannten. Gut gemacht!

Es wäre einmal interessant zu prüfen, ob die 1920 erfolgte Umbenennung der DAP in NSDAP ausdrücklich mit Bezug auf die Schriften Leo Trotzkis erfolgte, salopp formuliert:  „Wenn die Russen ihren Nationalkommunismus so erfolgreich durchziehen, dann probieren wir’s eben als Deutsche mit dem Nationalsozialismus. Könnte klappen! Probieren wir’s einfach!“ Und es hat – im zweiten Anlauf 1933 – geklapppt!

Wie und wann entstand der Nationalkommunismus? 1917 begann der Nationalkommunismus zunächst in Russland – und setzte sich in zunächst Russland und dann in anderen, durch Russland eroberten Ländern fort bis etwa 1956 … Massenerschießungen, Ausmerzung von „Schädlingen“, Zwangsrussifizierung der Minderheiten, hunderte von sogenannten „Konzentrationslagern“ (Концентрационный лагерь, später in „stalinistischer“ „Gulag“ umbenannt), Judenfeindschaft, übersteigerter russischer, später rumänischer, ungarischer, tschechischer, bulgarischer Nationalismus gehörten zum Kernprogramm dieser Nationalkommunismen.

Eine sehr hohe Millionen-Zahl an Terroropfern und einge verbrecherische Angriffskriege hat der nationalistische Kommunismus in Russland und den Nachbarländern ab 1917 produziert, und zwar bereits weit vor dem 1. September 1939. Alles vergessen? Nicht ganz, aber TOTgeschwiegen. Der eine oder andere Fachhistoriker wird wohl wissen, wovon ich hier rede.

Der durch die Oktoberrevolution 1917 eingeleitete russische Nationalkommunismus war nachweislich das große Strukturvorbild erst der italienischen Faschisten und dann der deutschen Nationalsozialisten! Nicht nur im Namen, sondern auch in den Propaganda-Methoden ahmten zuerst die italienischen Faschisten und dann die deutschen Nationalsozialisten das Vorbild der russischen Nationalkommunisten erstaunlich präzise nach. 

Zwangsrussifizierung der Ukrainer, Letten, Esten, Litauer, Zwangsitalianisierung der Slowenen und der Südtiroler, Zwangsgermanisierung der nichtdeutschen Minderheiten … die nationalistischen Programme der russischen, italienischen und deutschen Politik glichen sich im kommunistischen Russland, im faschistischen Italien, im nationalsozialistischen Deutschland mit erstaunlicher Präzision.

Ich kenne Plakate gegen Volksschädlinge in deutscher und in russischer Sprache aus den 30er Jahren, die einen von den russischen Nationalkommunisten, die anderen von den deutschen Nationalsozialisten gefertigt. Sie sind in der Bildsprache und selbst in den Slogans nicht zu unterscheiden.

Nur schweigt die Welt heute davon. Man will nichts von den Zwangsrussifizierungen, den Zwangsitalianisierungen wissen. SCHLUSS-STRICH endlich!

Wie kann man den Schlussstrich ziehen? Durch eine ganz einfache Friedensformel: Die Deutschen waren an  allem schuld. Und aus, fertig, erledigt. Die Deutschen sind die Urquelle allen Übels.

Das friedliebende Italien, nicht das kriegerische Deutschland hat Albanien am 2. April 1939 militärisch überfallen und besetzt und damit gewissermaßen das miltärische Vorspiel zum 2. Weltkrieg geliefert. Vergessen! Das friedliebende Italien hat am 28.10.1940 aus eigenem Antrieb Griechenland überfallen und besetzt. Vergessen! Ein unbedeutendes Detail. Zahlen müssen und sollen heute endlich die Deutschen. Weg mit den Tatsachen. Kommunistische italienische Partisanen haben im italienischen Bürgerkrieg Pier Paolo Pasolinis Bruder ermordet. Passt nicht ins Bild. Also weg mit diesen Tatsachen.  Denn sie könnten das Bild ins Wanken bringen, dass letztlich die Deutschen und nur die Deutschen an allem Bösen schuld sind.

Das ist die antideutsche Theologie oder auch Holocaust-Theologie, wie sie heute weltweit und tausendfach vertreten und gelehrt wird, vor allem auch in Deutschland selbst, aber daneben vor allem in tausenden von Filmen und Büchern über die „dunklen Zeiten“.

Bis hin zu dem Punkt, dass man sich an staatlichen deutschen Feiertagen schämt, die deutsche Sprache, die Muttersprache eines Martin Luther, Philipp von Zesen, Johann Sebastian Bach, Friedrich Schiller, Immanuel Kant, Albert Einstein, Karl Marx, Heinrich Heine, Sigmund Freud, Franz Kafka, Thomas Mann zu verwenden und stattdessen lieber Englisch oder gar nichts spricht und singt. Ist alles Deutsche böse?

Sind denn Martin Luther, Philipp von Zesen, Johann Sebastian Bach, Friedrich Schiller, Immanuel Kant, Heinrich Heine, Albert Einstein, Karl Marx, Sigmund Freud, Franz Kafka, Thomas Mann alle böse, nur weil sie Deutsche waren, die deutsche Sprache liebten und sprachen, oder im sprachlich-kulturellen Sinne als Deutsche anzusehen sind?

Stillschweigendes Motto des heutigen antifaschistischen, antirassistischen Kampfes:

a) Du sollst nicht wissen!
b) Du sollst nicht fragen!
c) Die Deutschen und nur die Deutschen haben mit ihren Helfershelfern ganz Europa verwüstet. Sie sind letztlich an allem Bösen in der europäischen Geschichte schuld.

Leo Trotzki: Gegen den Nationalkommunismus. Lehren des »Roten« Volksentscheids

 Posted by at 12:18
Nov 292011
 

Was wiegt ein Menschenleben? Alles! Was wiegen tausend, hunderttausend, eine Million Tote? Sie sind Statistik. Eines von Millionen Schicksalen greift heute dankenswerterweise Maxim Leo in der Berliner  Zeitung auf S. 3 heraus und erzählt es packend: Alex Glesels Eltern zogen als überzeugte Kommunisten 1931 aus Berlin nach Russland, um dort den Kommunismus mit aufzubauen. Im September 1937 holt ein sowjetisches Erschießungskommando seinen Vater aus der Wohnung. In einem Waldstück in der Nähe von Leningrad wird der Vater erschossen. Er ist einer von einer hohen zweistelligen Millionenzahl unschuldiger Menschen, die ab 1918 auf staatlichen Befehl innerhalb der Sowjetunion ermordet wurden. Maxim Leo schreibt:

In dem Waldstück, in dem Glesels Vater starb, wurden innerhalb einer Woche 43 000 Menschen von Erschießungskommandos ermordet und verscharrt. Das geht aus den Exekutionslisten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD hervor, die später gefunden wurden. Insgesamt wurden neuesten Forschungen zufolge allein in den Jahren 1937 und 1938 in der Sowjetunion etwa drei Millionen unschuldige Menschen auf staatlichen Befehl hin ermordet. Zu den Terroropfern gehören auch etwa dreitausend Deutsche, darunter viele Kommunisten.

Die Mutter wird 1941 kurz nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion vom Sohn getrennt. Erst 1948 wird er sie in Karaganda wiedersehen. Alex schuftet unter Tage.

1956 darf Alex Glesel nach Berlin ausreisen. Reden über das, was er erlebt hat, darf er nicht. DU SOLLST NICHT WISSEN!, ist die Devise. „Für die Deutschen ist er der Russe, der seltsame Typ, der nicht mit ihnen lachen kann.“

Ab 1956 etwa setzte eine Umkehr ein. Man einigt sich darauf, dass Stalin diese Millionen und Abermillionen Menschen umgebracht hat. Man spricht von Fehlern und dass man die Zukunft meistern müsse. Die Vokabel „Stalinismus“ wurde gefunden. Es waren nicht Ulbricht, Pieck und Wehner, die die Todeslisten ergänzten, sondern es war der „Stalinismus“.

Zeitgeschichte: Lebenslänglich | Gesellschaft – Berliner Zeitung
In dem Waldstück, in dem Glesels Vater starb, wurden innerhalb einer Woche 43 000 Menschen von Erschießungskommandos ermordet und verscharrt. Das geht aus den Exekutionslisten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD hervor, die später gefunden wurden. Insgesamt wurden neuesten Forschungen zufolge allein in den Jahren 1937 und 1938 in der Sowjetunion etwa drei Millionen unschuldige Menschen auf staatlichen Befehl hin ermordet. Zu den Terroropfern gehören auch etwa dreitausend Deutsche, darunter viele Kommunisten.

Quelle: Maxim Leo: Lebenslänglich. Berliner Zeitung, 29.11.2011

 Posted by at 19:12
Okt 102011
 

Wann begann für die Sowjetunion der 2. Weltkrieg? Dumme Frage, werdet ihr sagen – natürlich am 22. Juni 1941! Damals überfiel das Deutsche Reich aus heiterem Himmel die Grenzen zur stets friedliebenden Sowjetunion und brachte Massenmord, Vernichtung, Ausplünderung in das bis dahin wahrhaft menschenfreundliche kommunistische Reich.

So haben es Generationen von russischen und deutschen Schülern gelernt, so wird es auch heute noch sehr oft dargestellt. Ist das wirklich so, dass die Sowjetunion wider Willen in einen Weltkrieg hineingezogen wurde, mit dem sie bis zum 22.06.1941 nichts zu tun hatte?

Es nimmt mich schon nicht mehr wunder stets von neuem zu sehen, dass der Überfall der Sowjetunion auf Polen vom 17. 09.1939 und die anschließende Annexion Ostpolens im öffentlichen Bewusstsein unserer Länder (Deutschlands und Russlands) ebenso vergessen ist wie die sowjetrussischen Überfälle von 1939 auf die anderen Staaten im Ostseeraum, also auf die Staaten Litauen, Estland und Lettland, die von der friedliebenden Sowjetunion gewissermaßen verschluckt wurden, während das 1939 ebenfalls von der Sowjetunion angegriffene Finnland immerhin unter Abtretung eines Teilgebietes die staatliche Eigenständigkeit behielt. Wer kennt diese Tatsachen heute noch außer einigen wenigen Historikern – und den damals von der Sowjetunion friedlich verschluckten Völkern der Polen, Esten, Litauer und Letten?

Man ignoriert die außenpolitischen und militärischen Großtaten der Sowjetunion vor 1941 und lässt ansonsten Stalin weiterhin einen guten Mann sein. Völlig vergessen wird, dass die Sowjetunion ab 1939 sofort nach der Besetzung der genannten Länder einen unerbittlichen Terrorapparat mit Massenhinrichtungen (Stichwort Katyn), Arbeitslagern und grausamer Bekämpfung aller vermuteten oder echten Widerstandskämpfer und vermuteter oder echter Partisanen installierte.

Ein kürzlich erschienener Aufsatz von Irina Scherbakowa bringt mir einige dieser heute weithin vergessenen Tatsachen wieder ins Blickfeld. Die russische Historikerin berichtet darin auch von der heute längst vergessenen Русская освободительная армия РОА, der regulären „Russischen Befreiungsarmee“, die nach Angaben der russischen Wikipedia mit immerhin 350.000 Mann, also fast mit doppelter Stärke der heutigen Bundeswehr, Seit an Seit mit den deutschen Truppen gegen Stalin kämpfte. Waren dies alles Vaterlandsverräter? Die Befreiung Russlands von der Geißel des Stalinismus schien diesen Freiwilligen so wichtig, dass sie den Pakt mit dem Teufel Hitler eingingen.

Mein persönliches Zwischenergebnis: Europa leidet weiterhin an an einem höchst beunruhigenden Gedächtnisverlust. Man könnte es mit einem Ausdruck Jorge Sempruns auch „Doppelgedächtnis“ nennen, Teil-Amnesie, Phantom-Vergesslichkeit … wie auch immer: Mit derart einseitiger Historiographie wird bis zum heutigen Tage massive Geschichtspolitik betrieben. Daraus werden bis zum heutigen Tage Ansprüche gegenüber Deutschland begründet. Und diese Ansprüche leiten sich von der weithin geteilten Annahme her: Da Deutschland und nur Deutschland dem gesamten Kontinent einen Krieg aufgezwungen habe, müsse auch Deutschland und nur Deutschland die gesamten Kriegsfolgekosten tragen. Unterbewusst läuft dieser Film in einer Endlosschleife überall ab.

Auch die Griechen scheinen es aktuell – ebenso wie die Italiener selbst – vergessen zu haben, dass es Italien und nicht Deutschland war, das Griechenland am 28.10.1940 überfallen und in den Krieg gezogen hat. Und deshalb erinnern die heute gegen Deutschland demonstrierenden Griechen an den Plätzen gerne an Hitler, aber gar nicht an Mussolini.

Irina Scherbakowa: Vaters Wahrheit. Wie der Große Vaterländische Krieg das Leben der Russen bis heute prägt. In: Die ZEITGeschichte. Heft 2/2011: Hitlers Krieg im Osten, S. 26-33.

Zu diesem Thema des „geteilten Gedächtnisses“ erreicht mich auch soeben ein frisch erscheinender, höchst lesenswerter Band aus dem Wallstein Verlag:

Freiheit, ach Freiheit …

Vereintes Europa – geteiltes Gedächtnis

Freiheit, ach Freiheit ...

Herausgegeben von Zsuzsa Breier und Adolf Muschg

Wallstein Verlag Göttingen · Freiheit, ach Freiheit …

 Posted by at 14:35
Jan 112011
 

Ein recht aufschlussreicher Hörfunkbericht über die Rosa-Luxemburg-Konferenz lässt sich heute noch nachhören. Sehr unterhaltsam, sehr erbaulich!

Besonders beeindruckend:  Die laut gebrüllten Drohungen der Antifa-Saalschutzstaffeln: „Wir … kriegen … euch … alle … wir .. kriegen … euch .. alle …“

Die Drohungen richten sich gegen einige Demonstranten von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). Sie hatten sich erdreistet, an der Urania ein Transparent mit „Kommunismus  = 100 Millionen Tote“ zu entrollen.

Sofort stürzten sich Antifa-Sturmabteilungen mit Fußtritten und Faustschlägen auf die Gegendemonstranten. Das ist die berühmte „Antifa“, ein Berliner Zuchtgewächs.

Übrigens: Rosa Luxemburg setzte sich stets für die Freiheit der Andersdenkenden ein! Sie beklagte etwa, dass der russische Staat massiv gegen die Katholiken, Protestanten und Altgläubigen vorgehe und allein das Bündnis mit der orthodoxen Kirche pflege.

Außerdem war sie der Meinung, die ersten Christen seien – so wörtlich – leidenschaftliche Kommunisten gewesen, da sie privaten Reichtum abgelehnt hätten und alles der Gemeinde anvertraut hätten. Kommunismus wäre also im Grunde nichts anderes als ein politisiertes Christentum. Man lese doch ihren Aufsatz „Kirche und Sozialismus“ aus dem Jahr 1905!

Hierzu meine ich: Der Gemeindegedanke ist in der Tat zentral für das Christentum. Die Reichen sollen die Armen in der Gemeinde mittragen, sollen abgeben, so dass jeder einigermaßen würdig leben kann. Ganz entscheidend aber war: Der Reiche gab nicht aufgrund staatlichen Befehls seine Habe ab, sondern weil er es so wollte. Freiwilliges Abgeben, ja freiwillige Armut – das war und ist das Ideal für wichtige Strömungen im Christentum!

Niemand wurde gezwungen, Mitglied einer christlichen Gemeinde zu werden. Die frühen Christen, überhaupt das Christentum setzen kein messianisches Vertrauen in die Staatlichkeit, wie das die Sozialisten tun. Das Vertrauen der frühen Christen – und ich meine des Christentums überhaupt – galt und gilt dem vorbildlichen Menschen Jesus, galt und gilt überhaupt jedem Menschen in seiner Freiheit ja und nein zu sagen.

Das Christentum ist abgrundtief skeptisch gegenüber allen Heils- und Glücksversprechungen des Staates.

Der politische Kommunismus hingegen hat dieses Vertrauen in die Freiheit des Menschen nicht. Der politische Kommunismus ist absolut staatsgläubig – bis zum Erbrechen, bis zum Es-geht-nicht-mehr. Die kommunistischen Parteien haben überall und zu jeder Zeit, sobald sie an die alleinige Macht gelangt waren, vollständig auf die Zwangsmittel des Staates gesetzt.

Ob es bei der Durchsetzung des Kommunismus nun 70, 80, 90 oder 100 Millionen Tote „im Namen und zugunsten der kommunistischen Revolution“ gab, sei dahingestellt.

Die zentralen empirischen Analysen und messianischen Lehren des Marxismus halte ich für falsch.  Von der durch Marx, Engels und Luxemburg versprochenen Überwindung des Staates konnte und kann beispielsweise nirgendwo auch nur ansatzweise die Rede sein. Weder in den Staaten des demokratischen Sozialismus (etwa DDR oder UdSSR) noch in den skandinavischen Monarchien, noch in den autoritären Dynastien arabischer Prägung, noch auch in der freiheitlichen Demokratie (etwa EU oder USA) gab oder gibt es Anzeichen einer Abschaffung des Staates.

Entscheidend ist, dass weltweit alle real existierenden sozialistischen Staaten unter der Herrschaft der Kommunisten mit Terror, mit Unrecht, mit Gewalt ein staatliches Herrschaftssystem errichtet haben.

Ganz im Gegensatz dazu zeichnet sich die parlamentarische, rechtsstaatliche Demokratie dadurch aus, dass sie auf der Zustimmung der Mehrheit des Volkes ruht. Die parlamentarische, rechtsstaatliche Demokratie kommt mit einem Mindestmaß an staatlichem Zwang aus. Dass etwa Inge Viett weiterhin offen und öffentlich wie in den 70er und 80er Jahren in der Urania zu Straftaten aufforden konnte, werte ich als Beleg für die außerordentlich weitgefassten Grenzen der Meinungsfreiheit in der parlamentarischen Demokratie. In der DDR oder der UdSSR, in Nordkorea oder Kuba, aber auch in Algerien, Tunesien oder Syrien wäre sie mit ihrem offenen Aufruf zum gewalttätigen Gesetzesbruch nicht einmal ans Mikrophon gelassen worden. Und wenn sie doch einige ihrer Dreistigkeiten vom Stapel gelassen hätte,  wäre sie von der anwesenden Staatspolizei sofort verhaftet worden. Und wäre von den Kommunisten ab ins Lager verfrachtet worden.

Fazit: Die gebrüllten Rufe „Wie kriegen euch alle“ der Antifa-Sturmabteilungen lassen nichts Gutes hoffen. Das sind offenkundig schon die Sturmtruppen der angestrebten neuen Revolution.

Das ist eine Welt! Das ist die junge Welt! Möge sie niemals kommen.

Den Völkern hat diese kommunistische Suppe nicht geschmeckt. Soll man sie jetzt noch einmal anrühren?

Leseempfehlung:

Rosa Luxemburg: Internationalismus und Klassenkampf. Die polnischen Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Hentze. Luchterhand Verlag, Neuwied und Berlin 1971, hierin: „Kirche und Sozialismus“, Seite 44-77, insbesondere S. 47

 Posted by at 15:04
Jan 052011
 

Ein klares, leidenschaftliches Bekenntnis zum Kommunismus, zu Rosa Luxemburg, zum Ideal des Umsturzes der bestehenden Verhältnisse legt die Bundesvorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch MdB, in einem Beitrag für die junge welt vom 03.01.2011 ab.

In Lötzschs eigenen Worten klingt das so:

Thomas Edison soll gesagt haben: »Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.« Was für ein großartiges Selbstbewußtsein! Wie viele Wege haben die Linken gefunden, die nicht funktionierten? Waren es 100 oder 1000? Es waren bestimmt nicht 10000! Das ist genau das Problem! Wir sind zu oft mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen.

Wir erinnern uns: Die bolschewistische Revolution im rückständigen  Russland widersprach der marxistischen Theorie. Begeistert unterstützte dennoch Luxemburg die russischen Kommunisten bei ihrem Umsturz der eben erst eingeführten bürgerlichen Demokratie. Sie bejahte die handstreichartige Machtübernahme durch die Bolschewisten, sie bejahte die Gewalt, sie bejahte die Massenerschießungen, mit denen die Oktoberrevolution ihren Siegeszug einleitete. „Eine Revolution ist nicht mit Rosenwasser getauft.“Soeben las ich den Artikel ganz durch. Es ist faszinierend zu bemerken, mit welcher Einfühlung sich Gesine Lötzsch in die Logik der Debatten aus jenen Jahren hineinversetzt. Bei vielen Sätzen meint man Rosa Luxemburg selbst zu lesen. All jenes Beharren auf dem Lernen, auf tastendem Vorwärtsdenken, all jenes Hoffen und Sehnen, die geliebte Arbeiterklasse möge sich endlich den Vordenkerinnen und Vordenkern des Kommunismus anschließen!

Da schwingt viel Enttäuschung mit, dass die Arbeiterklasse mehrheitlich nie den Kommunismus gewollt hat. Der Kommunismus war stets und ist auch heute eine Sache der bürgerlichen Akademikerinnen und Akademiker, der sehnsuchtserfüllten Intellektuellen, der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, der Politologinnen und Politologen, die sich Betätigungsfelder als Berufspolitikerinnen suchen.

Liest man diesen Artikel aus der Feder Dr. Gesine Lötzschs, so ist plötzlich die Zeit wie weggewischt. Es ist, als hätte es die Millionen Todesopfer nicht gegeben, die die verschiedenen kommunistischen Bewegungen weltweit gefordert haben. Kein Wort zur Eliminierung des Lumpenproletariats, die Lenin 1918 anordnete. Kein Wort zur Tscheka, kein Wort zu Berija, kein Wort zum GULAG, kein Wort zu den von Lenin und Stalin angeordneten Massenhinrichtungen, kein Wort zu den Kulakenvernichtungen in der Ukraine, kein Wort zu den Massenmorden Pol Pots, kein Wort zu den Angriffskriegen der Sowjetunion auf ihre Nachbarn, kein Wort zu den Schauprozessen der 30er Jahre, kein Wort zum Bündnis zwischen Deutschem Reich und Sowjetunion, kein Wort zum gemeinsam geplanten Überfall Deutschlands und der Sowjetunion auf Polen, kein Wort zur Zwangsrussifizierung durch die sowjetischen Kommunisten, kein Wort zu den Internierungslagern Castros auf Kuba  usw. usw.

Schweigen im Walde.

Es ist, als wollte Dr. Lötzsch uns zu bedenken geben: „All jene sozialistischen Regimes, die es bisher gab, waren mit all ihrem Terror, all ihren Toten nur Versuche. Es war noch nicht richtig gemacht. ES HAT BISHER NICHT FUNKTIONIERT. Es wurde nur 1000 Mal versucht. Lasst es uns 10000 Mal versuchen!“

Da könnte man ebensogut sagen: „All jene faschistischen Regimes, die es bisher gab, waren mit all ihrem Terror, all ihren Toten nur Versuche. Es war noch nicht richtig gemacht. ES HAT NICHT FUNKTIONIERT. Lasst es uns noch 10000 Mal versuchen!“

Hier eine weitere kleine Leseprobe aus dem historischen Guckkästchen, das die junge welt gestern ausbreitete:

Die Novemberrevolution von 1918 wurde verraten und halbiert in den Absprachen zwischen Mehrheitssozialdemokratie und der kaiserlichen Armee, bevor sie überhaupt ihr ganzes Poten­tial entfalten konnte. In jenen wenigen Wochen, den knappen drei Monaten zwischen Entlassung aus dem Gefängnis und Ermordung, hat Rosa Luxemburg all ihre Kraft und Leidenschaft, Erfahrung und Wissen in die Waagschale geworfen, um zu verhindern, daß sich das Fenster zu einer radikalen sozialen und demokratischen Umwälzung wieder völlig schloß. In dem Maße, wie klar wurde, daß ein sozialistisches Deutschland nicht unmittelbar durchsetzbar war, suchte sie nach Möglichkeiten, zumindest bestimmte Optionen linker Politik offenzuhalten. Gemeinsam mit Karl Liebknecht und der revolutionären Linken kämpfte sie gegen die unheilige Allianz der rechten sozialdemokratischen Führer mit den Stützen des Kaiserreichs, mit den Hauptschuldigen von Krieg und Völkermord. Und zugleich appellierte sie nahezu verzweifelt an jene, die sich dem Linksradikalismus – dieser »Kinderkrankheit des Kommunismus« (Lenin) – zuwandten, nicht die Chancen, die auch in der Defensive und der Niederlage noch gegeben waren, ungenutzt verstreichen zu lassen.

 Posted by at 00:24