Lob der Barfüßer

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Jul 152023
 

Hier war einmal ein Kirchenschiff der Barfüßerkirche – heute ein Innenhof, frei zugänglich auch für Tauben, unter freiem Himmel

Μὴ κτήσησθε πήραν εἰς ὁδὸν μηδὲ δύο χιτῶνας μηδὲ ὑποδήματα μηδὲ ῥάβδον – „Nehmt weder Ranzen noch zwei Obergewänder, auch weder Schuhe noch Wanderstab mit“, auf dieses Gebot Jesu (hier aus Mt 10 zitiert), leichten Sinnes und ohne jede überflüssige Last barfuß zu gehen, bezogen sich die „Barfüßer“, also Angehörige jener Ordensgemeinschaften, die auch in Augsburg ihre eigene Kirche errichteten – die „Barfüßerkirche“, an der ich nach ungezählten Schultagen auf die Straßenbahnlinie 1 wartete (statt die 6 km nachhause barfuß zurückzulegen).

Hier in der Barfüßerkirche wurde übrigens Bert Brecht getauft, hier besuchte er den Religionsunterricht, hier wurde er konfirmiert. Eine Erklärtafel brachte bei unserem Besuch dieser Kirche am vergangenen Sonntag die Einzelheiten und zeigte uns den jungen Brecht mit Ranzen und gepflegtem Schuhwerk:

Die Kirche wurde im Februar 1944 durch verheerende Bombardierungen völlig zerstört, heute ist sie mit ergreifender Dürftigkeit, fast ohne Schmuck, beraubt, ein Denkmal der Obdachlosigkeit, mit offenem Gewölbe als eine Kirche der Armut wieder hergerichtet; von der ursprünglichen Ausstattung ist alles verloren gegangen. Im Altarraum sahen wir zwei Mal Jesus, beide Male unbeschuht, ohne Obergewand, ohne Ranzen, ohne Wanderstab, beraubt und schmucklos – und in hebräischen goldenen Lettern das Tetragramm. Das heute zu sehende „Christkind“ schuf übrigens Georg Petel.

So wenig braucht es, um so viel zu sagen.

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Auf Flügeln des gesprochnen Wortes: Tennyson, Strauss, Kowalski, Albers

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Sep 262020
 
Gleich öffnen sich die Flügel der Zauberbühne: Hier geht es zum Piano Salon Christophori, Uferstr. 8, Berlin-Wedding, gestern, 18.50 Uhr!

25.09.2020. 20.00 Uhr. Pianosalon Christophori, Uferstr.8, 13357 Berlin
Melodram „Enoch Arden “ von Richard Strauss. Jochen Kowalski und Günther Albers, Klavier

Der aus dem brandenburgischen Wachow stammende Sänger Jochen Kowalski leistete gestern Abend Verzicht auf die Flügel des Gesanges. Er verwirklichte seinen Traum, Schauspieler zu werden. Er vertraute an diesem Abend ganz der Kraft des gesprochenen, klaren, leuchtenden Wortes, das sich vor dem Hintergrund des Klavierspiels mühelos entfalten konnte.

Long lines of cliff breaking have left a chasm;
And in the chasm are foam and yellow sands;
Beyond, red roofs about a narrow wharf
In cluster; then a moulder’d church; and higher
A long street climbs to one tall-tower’d mill…

So beginnt im englischen Original Alfred Tennysons Gedicht Enoch Arden, 1864 erstmals veröffentlicht. Tennyson erzählt darin die Geschichte Enochs, des Mannes, der mit Gott wandelt, der nach 10 Jahren Verschollenheit in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort erfahren muss, dass seine Ehefrau Annie mittlerweile seinen Jugendfreund Philip geheiratet hat und glücklich in neuer Familie lebt.

Jochen Kowalski leistete als Erzähler der deutschen Übersetzung Außerordentliches. Wir waren alle von der ersten bis zur letzten Minute gebannt. Er gab aber auch alles – wie er dies auch als Sänger tut. Wieder einmal wurde uns klar: Wenn man heute noch das gute, bis in den letzten Laut hinein gut gearbeitete Deutsch hören will, dann sollte man sich weniger an die Schauspieler, sondern mehr an die klassisch ausgebildeten Sänger wenden! Günther Albers sekundierte sehr einfühlsam, deckte niemals das gesprochene Wort Tennysons zu, leistete aber auch Führungsarbeit da, wo Richard Strauss ganz bewusst seine Musik als eine Art Resonanzboden den Faserverläufen des Textes folgen lässt.

Und warum war das Publikum so still? Warum hätte man eine Stecknadel fallen hören können? Warum erblühte die Akustik des Leeren?

Antwort: Kowalski tat im Grunde mit den gesprochenen Worten das, was jeder gute Sänger auch mit den gesungenen Worten tut: Er verströmt sich, er legt Hingabe, Zuneigung, Mitfühlen in jeden einzelnen Laut. Ihm bleibt beim Sprechen wie beim Singen kaum etwas anderes als die Stimme, um seine ganze Bühnenpräsenz zu entfalten. Leidenschaftlich steigerte er sich in die Wendungen des Erzählten hinein, wandte sich mitunter dem Klavierpartner zu, trug auch das eine oder andere Mal die im Text liegende Ironie deutlich auf, etwa beim Vers Miriam Lane was good and garrulous. Unterstützt selbstverständlich durch Gesten, durch Wendungen und Neigungen des Kopfes und des Körpers, das ja. Aber das dichterische, in Freiheit gesprochene Wort trug alles, trug uns alle wie auf Flügeln.

Als echtes Schatzkästlein auf der Seefahrt des epischen Wortes erwies sich der Pianosalon Christophori, an dessen Wänden wie in einer alten Schiffswerft zahllose hölzerne Bauteile hingen, wie etwa vor allem die Lyras, also jene kunstvoll geschwungene Stützen, an denen bei älteren Flügeln die Pedale angebracht waren, ferner Hämmer, Böden, Stege, Deckel: ein ganzes Arsenal an Resonanzräumen schuf diese in sich geschlossene prachtvolle Welt, in der die Erzählung erklingt, Musik zu den Worten spricht.

Gerade in Zeiten der kulturellen Verknappung, der seuchenbedingten Vereinzelung, der Kargheit zeigt sich der Reichtum, der seit Jahrhunderten in den allereinfachsten Mitteln des Bühnenkunst liegt: Worte, Blicke, Gefühle, Töne. Unplugged. Das sind die Zutaten. Mehr brauchst du nicht. Armes Theater am Ufer der Panke im Weddinger Industriegebiet, wie dankbar radelten wir durch das Brandenburger Tor mit seinem aufgeschmückten Festival of Lights nachhause, wie reich bist du!

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„Trinke Mut des reinen Lebens!“

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Okt 072016
 

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Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.

„Ich verstehe die Belehrung. Aber ich weiß nicht mehr welche.“ Welches war die Lehre eigentlich? Worum ging es? War es das höchste Gut? Ging es um die größte Not?

Wir vermochten es nicht zu erraten bei einem kleinen Gastmahl, das wir am Abend nach der sauren Arbeit des Tages zu uns nahmen. Soviel war sicher: Goethe hatte diese Belehrung empfangen. Aber von wem stammte sie?

Arm an Beutel, krank am Herzen
Schleppt‘ ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Eine kleine Nachforschung erbrachte die Lösung. Der Spruch „Trinke Mut des reinen Lebens“  stammt aus Goethes Gedicht „Der Schatzgräber“, erschienen erstmals im Musen-Almanach für das Jahr 1798, den Friedrich Schiller 1797 herausbrachte. „Artige Idee, daß ein Kind einem Schatzgräber eine leuchtende Schale bringt“, vermerkt Goethe am 21.05.1797 in seinem Tagebuch dazu. Und es ging tatsächlich um das höchste Gut im Menschenleben, den Reichtum.

So fährt er fort:

Und so zog ich Kreis‘ um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze,
Auf dem angezeigten Platze.
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten;
Und es kam gleich einem Sterne,
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward’s mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter einem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: es kann der Knabe,
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich! nicht der Böse sein.

Trinke Muth des reinen Lebens
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens.
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

Zitiert nach: Johann Wolfgang Goethe. Gedichte 1756-1799. Herausgegeben von Karl Eibl, Deutscher Klassiker Verlag, Sonderausgabe 1998, S. 668-669 (Text) sowie S. 1224 (Kommentar)

Bild: Blick von Schloss Rheinsberg auf den Grienericksee, Aufnahme vom 03.10.2016

 

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„Ich habe sechs Kinder. Und du?“

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Nov 122015
 

Herrliche, tiefe Gespräche führe ich immer wieder mit Männern aus verschiedenen Ländern in Afrika und Syrien und aus Libanon und aus Jordanien! Zentrale Themen sind in unseren Gesprächen – Familie, Kinder und Religion! Hurra, Kinder, Religion und Familie, drei zentrale Fragen! Und immer wieder höre ich in verschiedenen Variationen folgende zwei Fragen:

„Warum glaubt ihr Deutschen nicht an Gott?“
„Warum habt ihr Deutschen nur so wenige Kinder?“

Ich versuche dann immer, in ganz schlichten, leicht fasslichen Worten zu antworten, so gut ich kann.

Zunächst die zweite Frage, ein Gefährte aus Homs stellte sie mir: „Ich habe sechs Kinder. Und du?“ Ich nannte die Zahl meiner Kinder. Rückfrage: „Warum habt Ihr in Deutschland so wenige Kinder?“

Meine Antwort: „Für uns in Deutschland steht der Einzelne ganz im Mittelpunkt. Das Ich ist der King. Jeder und jede sucht sein größtmögliches Glück, Geld und Gesundheit. Kinder gelten in Deutschland oft als hinderlich. Eins oder zwei kriegt man meist noch mit Müh und Not unter, aber oft fehlt halt einfach in Deutschland das Geld für Kinder. Und der Job geht vor. Für mehr Kinder fehlt uns Deutschen oft das Geld. Und es fehlt oft der sichere Job.“

Meine Antwort stößt auf Zweifel, Staunen, Fassungslosigkeit bei den Menschen aus Homs, aus Lagos, aus Damaskus. Für sie sind Kinder mit das Schönste. „Ohne Kinder ist das Leben nur halb so schön.“ Nicht zuletzt stiften die Blutsbande ein unzerreißbares soziales Netzwerk. Über viele Länder hinweg reicht das Netzwerk. Jeder hilft jedem, das Wohlergehen der gesamten Familie steht im Mittelpunkt, selbst wenn ein Mitglied der Familie oder ein Teil der Familie nach Deutschland ausreist, wird doch stets materiell und auch finanziell die Verbindung in die Heimat gehalten.

Dagegen soll in Deutschland jeder einzelne Mensch ein Höchstmaß an Wohlstand, beruflichem Erfolg, gesellschaftlicher Anerkennung, körperlicher Fitness, politischer Partizipation, politischer Macht und sozialer Gleichstellung und körperlicher Schönheit erzielen. Und Kinder sind dabei in der Tat eher hinderlich. Das gilt insbesondere auch für Frauen. Die deutsche Politik legt sich mächtig in die Ruder, damit keine Frau sich gegen Kinder entscheiden muss, weil das Geld und der sichere Job fehlen. Viele deutsche Kinder wachsen dennoch in Armut auf. Aber der Sozialstaat hilft, so gut er kann. Viele sagen: Deutschland ist nicht kinderfreundlich.

Also Kinderlosigkeit bei den Deutschen aus Geldmangel! Kinderlosigkeit bei den Deutschen wegen des hohen Armutsrisikos in Deutschlands! Staunen, Fassungslosigkeit, Lachen bei den Flüchtlingen.

Was für Länder wie Syrien, Nigeria oder Jordanien das unzerreißbare, grenzüberschreitende Netz der Verwandtschaft, das ist für uns in Deutschland das unzerreißbare Netz des Sozialstaates. Er trägt und hält uns alle. Er ist der gute, der fürsorgliche Leviathan. Er ist der „sterbliche Gott“, wie ihn Thomas Hobbes genannt hat.

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In ihrem Wohl liegt euer Wohl

 Antike, Armut, Flüchtlinge, Integration, Koran  Kommentare deaktiviert für In ihrem Wohl liegt euer Wohl
Okt 082015
 

Gewissermaßen eine orientalisch-europäische Bibel der Flüchtlingsdebatte ist – neben und zugleich mit Aischylos‘ griechischer Tragödie Hiketiden („Asylbewerberinnen“) – die Bibel. Die Bibel – bestehend aus dem Alten und dem Neuen Testament – ist gespickt mit den Themen Vertreibung, Flucht, Überfremdungsangst, Multikulturalismus, sie ist angefüllt mit Ethnizitätskonflikten, mit Religionskonflikten, mit Gewalt und Gewaltverzicht, mit Terror und Barmherzigkeit. Barmherzigkeit gilt sowohl bei Aischylos‘ „Hiketiden“ wie in der Bibel (an sehr vielen Stellen bei Jesaias und Jeremias, und durchweg überall im Neuen Testament) als Antwort auf den Terror, der die Asylanten schlug. Eine Obergrenze der Barmherzigkeit gibt es nicht. Ganz im Gegenteil ist „Unendlichkeit“ eines jener Attribute, welches sowohl in der Bibel wie auch im Koran der Muslime der Barmherzigkeit beigelegt wird.

Heute fällt mir wieder der Brief des Jeremias ein, den er an die Verbannten und Vertriebenen seines Volkes  im Babylonischen Exil schrieb. Wann schrieb er den Brief? Wohl nach 597 v.d.Z., kurz nach der Massen-Deportation und Massen-Flucht von Jerusalem nach Babylon. Rechtschaffenheit, Dienst am Gemeinwohl, Integration in eine fremde Umgebung waren in der Stimme des Jeremias die Gebote der Stunde. Sie waren das rechtlich und moralisch Gebotene in Zeiten der Not, des Krieges und der Flucht. Wie das dann im einzelnen zu schaffen war, lag selbstverständlich in den Händen der Beteiligten. Entscheidend ist, dass den ganzen Brief des Jeremias der Geist des „Wir schaffen das“ prägt und trägt. Er trug und trägt die Traglufthalle der Erstaufnahmeeinrichtung.

Teile des Jeremias-Briefes (nämlich Kap. 29, Vers 76) waren groß aufgemalt an der Decke der Berliner Notunterkunft, die wir im Mai dieses Jahres zum Singen und Spielen besuchten.

Bemerkenswert: Jeremias fordert von den Flüchtlingen von Tag 1 des Babylonischen Exils an Arbeit, Integration, Fleiß und Mühsal.

Die entsprechenden Verse seien hier angeführt:

Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte!

Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern.

Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl.

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Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates?

 Armut, Flüchtlinge, Krieg und Frieden, Migration, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates?
Sep 062015
 

Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates? Antwort: die Machthaber dieses Staates zunächst einmal; sofern es sich um eine echte Demokratie handelt, tragen die Bürger selbst die Hauptverantwortung.

Immer wieder wird auf ein angebliches Versagen oder auch auf unterstellte Konzeptionslosigkeit  der europäischen Staaten bei der Aufnahme der afrikanischen und orientalischen Flüchtlinge hingewiesen. Dem kann ich mich nicht anschließen. Ich vermisse bitter bei der ganzen Flüchtlingsdebatte den dringend nötigen Hinweis auf die Verantwortung der Machthaber in den jeweiligen Herkunftsstaaten. Afrika und der Nahe Osten hätten eigentlich das Zeug dazu, auf eigenen Beinen zu stehen: es gibt Ressourcen ohne Ende, die Bevölkerung ist jung, lernfähig; kein üppiges Sozialsystem ist durch den Staatshaushalt zu finanzieren. Die Menschen wissen, dass der Staat sich nicht um sie kümmert,  wenn sie alt und krank sind, und dementsprechend sind sie bereit zu arbeiten, zu lernen und füreinander zu sorgen.

Es gibt meines Erachtens keine Ausrede mehr, keine Entschuldigung für das verheerende Chaos, das die Machthaber in den afrikanischen und den vorderasiatischen Staaten angerichtet haben; so verheerend ist das Chaos, dass ihnen die Menschen davonlaufen. Sie fliehen aus ihren eigenen Ländern. Dafür trägt nicht Europa, am allerwenigsten die Europäische Union die Schuld.

Beim Lesen der Bücher von Rafik Schami findet der Germanist Kurt Rothmann für hundert Jahre syrischer Geschichte die folgenden treffenden Worte, die, stellvertretend für andere Länder, hier ungefähr aneinandergereiht sein mögen – die meisten Syrer würden sie ohne Bedenken unterschreiben:

„Lächerlich eitle, gesichtslose politische Machthaber, die Putschisten, Diktatoren sowie deren Generäle und Geheimdienstler“ schaffen in der Bevölkerung ein Klima der Angst „voller Zwietracht, Dünkel, Demütigungen, Intrigen, Verrat, Hass, Blutfehden, Folter und Mord“.  Es fehlt an Rechtsstaatlichkeit, an Freiheit, an Friedenswillen bei den Mächtigen.

Falsch wäre es, so meine ich, angesichts der anschwellenden Migrationsströme den Regierungen Afrikas oder des Nahen Ostens noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen oder vielmehr in den Rachen zu werfen, sei es in Gestalt von noch mehr „Entwicklungshilfe“, noch mehr Militärhilfe, noch mehr Flüchtlingshilfe, „Rückkehrhilfe“  oder auch „Klimaschutz-Hilfe“ oder irgendetwas sonstiges. Diese mehr oder minder phantasievoll bezeichneten Formen der Hilfe führen absehbar nur zur weiteren Selbstbereicherung der Machthaber.

Auch die jüngste militärische Einmischung westlicher Staaten wie der USA, Frankreichs und Großbritanniens hat offensichtlich nichts Gutes gebracht. Im Gegenteil, sie hat die Lage verschlimmert.

Nein, bad governance, verheerend schlechte Regierungsführung, Unterdrückung und Ausplünderung des eigenen Volkes, darin meine ich nach zahllosen Gesprächen mit Flüchtlingen und Kennern jener Länder die Hauptursache des aktuellen Flüchtlingselends zu erkennen. Ich meine: die afrikanischen Staaten und die Länder des Nahen und Mittleren Ostens müssen im wesentlichen endlich selbst zurechtkommen; sie müssen die Verantwortung für ihre Bevölkerung endlich ernst nehmen.

Erfolgreiche Staaten Asiens wie etwa Südkorea, die selbst noch vor 50 Jahren relativ arme Entwicklungsländer waren, sind dafür ein Vorbild.

Zitate:
Kurt Rothmann: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. 20., durchgesehene und erweiterte Auflage, Philipp Reclam jun. Stuttgart 2014, S. 520-521

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Misère de l’Europe sans Dieu. Michel Houellebecqs Unterwerfung

 Advent, Armut, Europäisches Lesebuch, Geld, Jesus Christus, Südtirol, Unverhoffte Begegnung, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Misère de l’Europe sans Dieu. Michel Houellebecqs Unterwerfung
Aug 202015
 

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Die am letzten Samstag erfahrene Begegnung mit dem stummen geheimnisvollen Leser von Houellebecqs Soumission in der Eisenbahn nach Jacobsthal  und dann die Busfahrt nach Müllrose ermunterten mich, dieses Buch selber in 2 Tagen durchzulesen. Um es gleich zu sagen: Ich halte es für ein großes, ein geniales, ein wichtiges, dunkel strahlendes Buch. Eine blühende Rose im Müll! Eine politische Satire, bei der man häufig laut auflachen muss, ein groteskes, allzuwahres Portrait einer Gesellschaft ohne Gott, eines Europa ohne Geist.

Misère de l’homme sans Dieu, misère de l’Europe sans l’Esprit!

In seinem Sog erlebte ich Neugier, Erwartung, Trauer, Schmerz. Im Zentrum steht die Suche eines nur in sich selbst verstrickten Menschen nach dem Du, die Verzweiflung eines im Ich gefangenen Menschen ohne Gott, der die Annäherung Gottes verzweifelt sucht und der den sich annähernden Gott dann ausschlägt. Er – und mit ihm die ganze Gesellschaft – unterwirft sich ersatzweise einer trügerischen Gewissheit in der Unterwerfung unter eine halbverstandene bequeme Religion, die ihm Macht, Wohlstand, Frauen, Reichtum und Ewigkeit verheißt.

Zentral für diese Deutung ist also nicht die Politik, sondern die Religion, genauer: das in der Mitte des Buches stehende Erlebnis  einer versuchten Begegnung mit Maria. Houellebecq schreibt: „La Vierge attendait dans l’ombre, calme et immarcescible. Elle possédait la suzeraineté, elle possédait la puissance, mais peu à peu je sentais que je perdai le contact…“ – „Die Jungfrau wartete im Schatten, ruhig und unverwüstlich. Sie strahlte eine gesammelte Hoheit aus, eine bannende Macht, aber nach und nach spürte ich, dass ich den Kontakt verlor.“

Der Betrachtende kommt in Rocamadour jedoch nicht aus seinem reichen kulturellen Wissen über das „Christentum“ heraus. Er weiß zu viel über das Christentum. Ständig schiebt sich das Christentum vor Jesus Christus. Das ganze europäische Christentum versperrt ihm die Begegnung mit dem nächsten Menschen und folglich auch mit Jesus. Er ist nicht bereit, sich auf Maria und Jesus einzulassen. Ihm schwirren beständig Nietzsche, Péguy, Huysmans, Huizinga, das „christliche Mittelalter“, sein gesamtes historisches und politisches Wissen und Herr weißt-du-denn nicht und Frau hast-du-nicht-gelesen durch den Kopf. Sein Kopf ist voll, sein Herz ist leer. Er WUSSTE ZUVIEL. Sein Wissen trennt ihn von sich selbst und von den anderen Menschen, insbesondere von seiner Freundin Myriam, die ihn verlässt und nach Israel übersiedelt. Myriam? Das wäre ja seine Maria für ihn gewesen. Maria ist ja in Myriam. Gespenstisch!

Beklemmend ist auch das völlige Fehlen von Kindern im gesamten Buch. Der unfertige Mensch, der kleine Mensch, das ungeborene Buberl, das sich in der Begegnung zwischen der Base Elisabeth und Maria durch ein Hüpfen bemerkbar macht – das KIND interessiert dieses ICH nicht. Selbst in Jesus vermag er nur den erwachsenen Mann zu sehen. Er sieht nicht das Kind.

Das ICH verweigert sich dem DU. Der Erwachsene verweigert sich dem Kind. Der Mann verweigert sich der Frau. Der Sohn verweigert sich dem Vater.  Der Vater verweigert sich dem Sohn und stirbt, ohne dass die beiden sich vor dem Tod je wiedergesehen hätten. Der Mensch verweigert sich dem Menschen. Darin sehe ich die Tragik in diesem von der ersten bis zur letzten Seite inspirierten, genialen, komischen, satirischen, zum Totlachen lustigen und lächerlich traurigen Buch.  Eine glasklare, messerscharfe Analyse unserer EU-Gesellschaften. Unbedingt empfehlenswert!

Aus der Verweigerung des Du entspringt sekundär der Impuls zur Unterwerfung unter ein fix und fertiges Lehrgebäude, wie es der Islam dem Frankreich des Jahres 2022 zu bieten scheint. Ist also alles zu spät? Ist der Zug auf der Müllhalde der europäischen Geschichte abgefahren?  Die Europäische Union scheint ja mittlerweile ihre Ersatzgewissheit nicht in der Unterwerfung unter den Islam, sondern in der Monetären Union, im verehrten Euro gefunden zu haben. Und was gibt es sonst noch?

Bei einer Wanderung in Südtirol bestieg ich vor wenigen Wochen von Vahrn im Eisacktal hochwandernd die Karspitze. Nach drei Viertel des Wegs machte ich Rast auf der Ziermait-Alm. Dort sah ich eine kleine Marienstatue. Kunstgeschichtlich sicherlich unbeachtlich. Sie steht in keinem Reiseführer. Und doch – wie schön!

La Vierge attendait dans l’ombre, calme et immarcescible. Elle attendait, et elle attend toujours.

Nachweis:
Michel Houellebecq: Soumission. Paris, Flammarion 2015, hier bsd. S. 164-170
Bild: Maria auf der Ziermait-Alm

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Zukunftsperspektiven statt Flüchtlingselend für Afrika

 Afrika, Armut, Bitte zählen!, Europäische Union, Fernstenliebe, Flüchtlinge, Migration  Kommentare deaktiviert für Zukunftsperspektiven statt Flüchtlingselend für Afrika
Aug 062015
 

Soeben berichtete der Londoner Radiosender BBC 4 über den Bau der ersten Eisenbahnstrecke in Lagos, der Hauptstadt Nigerias. Lagos – mit 20 Millionen Einwohnern und derzeit noch unbeschreiblichem Verkehrschaos! Chinesische Unternehmen entwickeln gerade in Nigeria zusammen mit den Afrikanern eine zukunftsfähige Infrastruktur, bauen mit afrikanischen Arbeitern die erste Eisenbahn in Lagos, schaffen zusammen mit einheimischen Akteuren Arbeit, Industrie, Beschäftigung und folglich Wohlstand für die Menschen!

Der folgende wertende Schluss drängt sich mir aus derartigen Berichten wie dem von BBC 4 auf: Die Chinesen haben offensichtlich eine bessere Hand mit dem afrikanischen Elend als wir Europäer. Sie arbeiten an der Beseitigung der Ursachen des Flüchtlingselends, soweit es in der wirtschaftlichen Misere afrikanischer Staaten begründet liegt. Chinesische Firmen mit dickem Finanzpolster investieren in afrikanischen Ländern. Sie bezeugen damit ihren Glauben an die Zukunft des Kontinents. Im Gegenzug erhalten sie vorteilhafte Kontrakte zur Nutzung bzw. Ausbeutung von Rohstoffen, etwa Mineralien und seltenen Erden, wie sie bei der Computerproduktion benötigt werden. So profitieren beide Seiten. Die europäischen Länder hingegen …? Sie geraten zunehmend ins Hintertreffen, verlieren immer stärker den Anschluss an die großen Wirtschaftsräume, befassen sich überwiegend mit der eigenen Misere, den eigenen, obendrein hausgemachten Finanz- und Flüchtlingsproblemen.

Was bieten wir den afrikanischen Ländern, besser: den afrikanischen Menschen an konkreten Zukunftsperpektiven außer „Entwicklungszusammenarbeit“, „Nothilfe“, „Migrationsanreize“ … Bieten wir Europäer den afrikanischen Menschen wirtschaftliche Chancen, Perspektiven, bieten wir echte Zusammenarbeit statt dauerhaft entmündigender Abhängigkeit?

 Posted by at 11:02
Jun 012015
 

„Sonderfall Ukraine“, unter diesem zutreffenden Titel beschreibt Hugo Portisch in seinem phantastisch reich bebilderten Band über „Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus“ das in der Tat beispiellose Leiden der Ukraine unter der militärischen Bedrohung, der Unterdrückung und Zerstückelung der Ukraine durch Polen, durch das Russische Reich, durch die Sowjetunion und durch das Deutsche Reich in den Jahren 1917-1945. Wir fassen einige Grunddaten ukrainischer Geschichte zusammen:

Starke Bestrebungen, das Land aus russischer Herrschaft in die Unabhängigkeit zu führen, brachen sich nach der russischen Februarrevolution des Jahres 1917 Bahn. Alle ukrainischen Parteien – auch die linken Sozialdemokraten – forderten damals nationale Unabhängigkeit, wobei grundsätzlich der Verbleib innerhalb des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen wurde. Nach dem gewaltsamen bolschewistischen Staatsstreich, der „Oktoberrevolution“ des Jahres 1917, verweigerte die ukrainische Rada den Bolschewiki Lenins die Anerkennung und erklärt die staatliche Eigenständigkeit. Die neue Sowjetregierung erklärt der Ukraine umgehend am 17.12.1917 den Krieg.

Am 9. Januar 1918 ruft die Zentralrada in Kiew die „Unabhängige Souveräne Ukrainische Volksrepublik“ aus. Danach marschieren die deutschen sowie die österreichisch-ungarischen Truppen ein. Am 1. November 1918 wird die „Westukrainische Volksrepublik“ proklamiert. Am 6. Februar 1919 marschiert die Rote Armee Trotzkis in Kiew ein, und die Ukraine wird am 8. April 1919 fester Bestandteil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik. Am 25.04.1920 wiederum erteilt der polnische Diktator, der General Józef Piłsudski, den Befehl, Sowjetrussland entlang der gesamten Grenze anzugreifen.

Allein schon diese wenigen Daten zeigen, dass die Ukraine in der sogenannten „Zwischenkriegszeit“ mehrfach von Polen, Russland und Deutschland angegriffen wurde, ehe sie dann vorerst endgültig Teil der Sowjetunion wurde.

Doch das Schlimmste waren nicht die Kriege, die Russland, Polen und das Deutsche Reich gegen die Ukraine vom Zaun brachen, das Schlimmste war der sowjetisch-nationalsozialistische Doppelschlag aus erstens dem Holodomor und zweitens dem Holocaust. Letzterer, der Holocaust, füllt viele Buchregale, Videotheken und Bibliotheken, der erste, der Holodomor ist nahezu vergessen. Wie kam es dazu?

Im Jahr 1929 fordern die sowjetischen Kommunisten wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage die Vernichtung eines Großteils der ukrainischen Landbevölkerung, der sogenannten Kulaken.

Die bäuerliche Landwirtschaft wird von der kommunistischen Führung im Zuge der Zwangskollektivierung systematisch zerstört. Die Kulaken – also die selbständige ukrainische bäuerliche Bevölkerung – werden teils sofort erschossen, teils in Lager deportiert, aus denen sie meist nicht wiederkehren. Andere Kulaken werden verbannt, die Menschen werden in Viehwaggons eingepfercht, „in eisiger Kälte oder in brütender Hitze ohne Wasser“. Die Ärmsten unter den Kulaken werden obdachlos gemacht, sie vegetieren in den 30er Jahren unter sowjetischer Herrschaft auf den Straßen dahin und sterben wie die Fliegen.

Es gibt Augenzeugenberichte und Fotos darüber, wie hungernde ukrainische Familien in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung nach und nach die Schwächsten töteten und danach verspeisten. Kannibalismus, Menschenfresserei aus Hunger – von Trotzki ausdrücklich gutgeheißen – war unter der Herrschaft der sowjetischen Kommunisten in der Ukraine, der einstigen Kornkammer des Russischen Reiches, ein nicht nur vereinzeltes Phänomen.

Berichte über diese Massenmorde, über die Vernichtung eines großen Teils der ukrainischen Bevölkerung erreichten sehr wohl regelmäßig das Ausland. Doch keine ausländische Macht griff ein.

Etwa 10 Millionen Ukrainer wurden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die sowjetische Führung planmäßig durch Massenerschießungen, durch Vertreibungen und Zwangsarbeit sowie durch gezieltes Verhungernlassen vernichtet. Massenerschießungen, Deportationen, häufig zum Tod führende Zwangsarbeit in der Sowjetunion: Es handelt sich zusammen mit den Kolonialgreueln in Kongo unter dem belgischen König Leopold und zusammen mit dem nationalsozialistischen Holocaust an den europäischen Juden wohl um den schrecklichsten Genozid im Europa des 20. Jahrhunderts. Je nach Bewertungsmaßstab übertrifft der Holodomor am ukrainischen Kulakentum den Holocaust an den europäischen Juden in Grausamkeit und Brutalität sogar noch oder kommt ihm nahe. Der Holodomor ist zweifellos grausamer und schrecklicher gewesen selbst noch als die auf ihn folgenden „Säuberungen“ des sowjetkommunistischen Systems der späten 30er Jahre. Denn der Holodomor dauerte länger als die Säuberungen, der Holodomor forderte nach Schätzungen 8 bis 10 Mal so viele Menschenleben, er betraf eine gesamte Bevölkerung. Und es gab fast keine Überlebenden. Selbst heute ist dieser Genozid am ukrainischen Volk, der ungesühnt und kaum erinnert dem ebenso schrecklichen Holocaust vorausging, selten Gegenstand der öffentlichen Erinnerung außerhalb der Ukraine.

Der Bildband von Hugo Portisch (ich kaufte ihn gestern auf dem Flohmarkt am Rathaus Schöneberg für € 1.-) sei allen empfohlen, die sich für eine vollständige Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts im Zeitalter der Weltkriege interessieren und insbesondere das militärisch-politische Zusammenspiel zwischen der kommunistischen Sowjetunion und dem Deutschen Reich in den Jahren 1924 bis 1941 näher erkunden möchten.

Hinweis:
Hugo Portisch: „Sonderfall Ukraine“, „Die Vernichtung der Kulaken“, in:
Hugo Portisch: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe. Mit zahlreichen Schwarzweißfotos. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993, S. 124-131 sowie S. 220-223

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Ein ökologisch vorbildliches Leben

 Armut, Klimawandel, Natur, Ökologie, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Ein ökologisch vorbildliches Leben
Nov 272014
 

Soeben lasen wir gemeinsam ein Kapitel aus dem schön-schaurigen Roman „Die Schwarzen Brüder“ von der großartigen Lisa Tetzner vor. Ja, Kinder, das waren noch tiefe, wühlende Sorgen, das war echte Armut  – als der Vater, um den schieren Lebensunterhalt und die ärztliche Behandlung für die Mutter zu sichern, seinen 12-jährigen Sohn Giorgio als Kaminkehrerbub nach Mailand verkaufen musste!

Giorgio fängt die jungen Käuzchen direkt aus dem Nest des Turmkauzes weg, lebt als Jäger und Sammler im Einklang mit der Natur. Er arbeitet an frischer Luft, Süßigkeiten gibt es nicht, keine Cola, keinen Hamburger. Dafür Vater und Mutter an einem Strang ziehend, mehrere Generationen hausen unter einem Dach. Man zahlt weder Renten- noch Arbeitslosen- noch Krankenversicherung. Wenn die Mutter nicht das Bein gebrochen hätte, hätte der Vater den Bub auch nicht als Kaminkehrersklaven nach Mailand verkaufen müssen.

Ansonsten führt die Bergbauernfamilie aber ein ökologisch vorbildliches Leben: es gibt keine Autos, keine Maschinen, keinen CO2-Ausstoß, keinen Klimawandel, der Bub sichelt von früh bis spat an langem Seil hängend das duftende Gras für das Vieh. Ab und zu zersichelt er eine Viper. Und dann begegnet er einem Dachs.

Naturnahe Ernährung, reichlich Bewegung – so ist es gut! Hei, davon können unsere Kreuzberger Kids und unsere bezirksoberen Politiker hier nur träumen.

Und dieses Buch könnt auch Ihr lesen!
Lisa Tetzner: Die Schwarzen Brüder. Erlebnisse und Abenteuer eines kleinen Tessiners. Mit Illustrationen von Emil Zbinden.  Fischer Sauerländer Verlag, Frankfurt am Main 2014, darin: Kapitel 1: Wir lernen Giorgio und seine Tessiner Bergheimat kennen, aber sofort auch den Mann mit der Narbe und seine böse Prophezeiung, S. 11-30

 

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Grazil stabil! Oder: You lost – I gained!

 Armut, Kochen  Kommentare deaktiviert für Grazil stabil! Oder: You lost – I gained!
Mai 282014
 

2014-05-01 06.55.42

Ein Kreuzberger Vater erzählt:

„You look so slim … You lost – I gained!“ Derart scherzend begrüßte mich kürzlich nach längerer Abwesenheit ein gutgelaunter, gutgenährter  amerikanischer Freund, als er meinen neuerdings merklich schlankeren Leibesumfang bemerkte.

Yepp! Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt, sagt der schwäbische Leib- und Magendichter, unser Fritz. Why on earth?

Antwort: Bei uns schwingt Schmalhans den Kochlöffel. Pellkartoffeln, Krautsalat, dazu noch einen Kräuterquark, ferner selbstgekochten Pfefferminztee, wohl auch zur Abwechslung selbstgekochten Brennnesseltee. Das tischen wir gern immer wieder auf. Das reicht meist vollkommen aus in einem Vater-Kind-Haushalt. Als Nachtisch gibt es eine köstliche Banane oder eine saftige Birne oder einen kugelrunden leuchtenden Apfel.

 

Kommentar:

Ein Kilo Kartoffeln kostet ab 79 Cent.

Aufgepasst! 500 g kernige Haferflocken kosten beim Netto z. Zt. 39 Cent! Davon kann man 8 Mal frühstücken. Also bitte. Preiswert und gesund gemeinsam als Familie essen. Das wirkt Wunder. Der Geldbeutel erholt sich, der Arzt verdient nichts an der Behandlung von Diabetes, Fettleibigkeit, Attention Deficit Disorder.  Die Lebensmittelkonzerne verdienen weniger.

Es bedarf doch wahrlich keines zuckrigen Coca-Colas, keiner klebrigen Fritten, keines Nutellas, keines Hamburger-Fleischstückes, um satt zu werden.

Wenn Schmalhans Küchenmeister ist, freut sich der Magen. Es freut sich der Mensch.

Bild:

Grazil stabil. Die neue Gänsebachtalbrücke, Gewinnerin des Deutschen Brückenbaupreises 2014. Ausschnitt aus dem Kundenmagazin der Deutschen Bahn, db mobil, Aufnahme aus dem fahrenden ICE vom 01. Mai 2014

 

 Posted by at 12:07
Apr 162014
 

Immer wieder nutze ich meine zahlreichen Begegnungen mit Afrikanern und Europäern, die in Afrika leben, um mich aus erster Hand über die Lage in den 55 afrikanischen Ländern zu informieren.

Die Vorgänge am Kreuzberger Oranienplatz und in der besetzten Kreuzberger Schule lösen in mir seit langem nur noch Entsetzen und Staunen über so viel Leichtgläubigkeit und so viel Dilettantismus der Berliner Landespolitik aus. „Wie kann man sich so ins Bockshorn jagen lassen und zugleich die Rechtsstaatlichkeit preisgeben?“

Danke Dilek Kolat!?  Danke Monika Hermann?!  Danke Frank Henkel?! Danke Klaus Wowereit?! – Das alles klingt in meinen Ohren nur noch wie Hohn, zumal das lächerliche Stück noch nicht abgeschlossen ist. Es gibt sicherlich einen Nachschlag zu der ganzen Komödie, die wir Steuerzahler finanzieren müssen!

Ergebnis meiner tour d’Horizon unter Afrikanern: Afrika ist ein unermesslich reicher Kontinent, der riesige Entwicklungschancen hat. Vor allem sind reichlich Bodenschätze vorhanden, der Kontinent kann sich dank vieler landwirtschaftlicher Nutzflächen selbst ernähren, er kann eigene Produkte ausführen, und die Bevölkerungsstruktur ist günstig, da sehr viele junge Menschen aufwachsen.

Die Probleme liegen in den Kriegen einiger Länder um Ressourcen, im Mangel der Rechtsstaatlichkeit, in Diktaturen und in betrügerischen Kleptokratien.

Afrika hat etwa 1,2 – 1,3 Mrd. Einwohner. Zur Zeit sind etwa 12-14 Millionen Afrikaner auf dem Kontinent durch Vertreibungen und Kriege zur Wanderschaft gezwungen. Bei guter Bewirtschaftung, bei guter Regierungsführung hingegen braucht kein Afrikaner zu fliehen! Die Massenflucht, die Masseneinwanderung in andere Kontinente ist für die Afrikaner keine echte Perspektive.  Nur durch Befriedung der Staaten und durch den Aufbau funktionierender Strukturen kann ihnen  eine Perspektive geboten werden. Hierfür liegt die Hauptverantwortung bei den Mächtigen der afrikanischen Staaten.

Ich bin überzeugt: Die afrikanischen Länder müssen es selber schaffen. Sie können alle Voraussetzungen für einen Aufschwung des Kontinentes selber schaffen.

Größte Hochachtung hege ich beispielsweise für den Verein Center of Hope for Dakawa, der in Berlin-Kreuzberg seinen Sitz hat.  Dakawa liegt im Bezirk Morogoro im südlichen Hochland von Tansania. Für Tansania wird eine Schule, ein Waisenhaus, ein Altenheim, eine selbsttragende Landwirtschaft gepant.

http://www.centerofhopefordakawa.com/index.php/de

Der Verein beschreibt sein Vorhaben so:

Ziel des ‚Center of Hope for Dakawa e.V.‘ ist die Gründung und der Aufbau eines Bildungs- und Sozialzentrums zunächst als Internat und Waisenhaus. Dort sollen Waisen und behinderte Kinder als interne Schüler leben und Kinder aus der Umgebung als externe Schüler am Unterricht teilnehmen. Gleichzeitig soll Wohnraum für alte Menschen geschaffen werden, perspektivisch auch ein Ausbildungszentrum für erwachsene. Weitere Ziele des Projektes sind der Aufbau und die begleitende Unterstützung von Strukturen der Selbsthilfe und Selbstversorgung in den Bereichen Landwirtschaft und Viehzucht, Gesundheitswesen, sowie Aus- und Weiterbildungen.Landwirtschaft und Viehzucht sollen der direkten Versorgung des Zentrums dienen und dieses dadurch wirtschaftlich unterstützen.

via PROJEKT.

Was noch fehlt, ist Geld. Während am Oranienplatz in Kreuzberg laut Morgenpost vom 14.04.2014 6 Millionen Euro allein  für die Aufräumarbeiten eines schlecht inszenierten medialen Spektakels – genannt Flüchtlingscamp – bereitstehen, würden 200.000 Euro ausreichen, um in Tansania Land zu kaufen, Gebäude zu errichten und eine blühende Gemeinschaft in aufzubauen.

6-9 Milliarden kostet der neue Berliner Flughafen, 6 Millionen kostet das Beseitigen der Umweltschäden durch das Camp am Oranienplatz! Und für 200.000 Euro könnte man ein Vorzeigeprojekt in Tansania finanzieren, aufbauen und in eine selbsttragende Existenz entlassen.

6-9 Milliarden für einen Flughafen, der irgendwann vielleicht in Betrieb gehen wird  – 6 Millionen für die Schadensbeseitigung am Oranienplatz. Das sind die Dimensionen.

Mit derartiger unfassbarer Fahrlässigkeit gibt die Berliner Politik sinnlos Geld aus, das anderweitig viel besser verwendet würde.

Und 200.000 Euro für eine Schule und eine Landwirtschaft in Dakawa. Damit könnte man einen Keim der Hoffnung säen, der vielfache Frucht tragen wird.

 Posted by at 21:57
Okt 072013
 

 

„Ein hübscher Kirschenbaum in dem Garten wäre eine schöne Sache. Das Plätzchen schickte sich dazu. Warte nicht, bis er selber wächst, sondern setze einen. Ferner, ein Abzugsgraben, ein guter Weg durch das Dorf, wenigstens ein trockener Fußweg, ein Geländer am Wasser oder an einem schmalen Steg, damit die Kinder nicht hineinfallen, kommt viel geschwinder zustande, wenn man ihn macht, als wenn man ihn nicht macht.“

So Johann Peter Hebel in seinem Stück „Mohammed„. Wie in vielem anderen, so erweist sich Hebel auch in seinen „Denkwürdigkeiten aus der Türkei“, aus dem „Morgenlande“, wie man damals sagte, als unübertrefflicher Brückenbauer.

„Hast du ein böses Werk begangen, so mußt du es mit einem guten büßen“, legt Johann Peter Hebel seinem Mohammed in den Mund. Tätige Nächstenliebe, tätige Gestaltung der Beziehungen der Menschen untereinander, statt immer nur die Hand als Bettler dem Staat entgegenzustrecken, statt immer nur vom Staat, von der geschenkeverteilenden Obrigkeit alles und von sich selbst nichts zu erwarten – darin sieht Hebel das verbindende Ethos zwischen Islam und Christentum, zwischen Morgenland und Abendland. Es ist ein Ethos des guten Werkes, das letztlich im Herzen des Menschen verankert ist, in der Mitte der Person – nicht im System, nicht in der gnädigen Politik, nicht im gütigen Staate, und schon gar nicht in der mächtigen Europäischen Union.

„Mohammed“, „Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande“, „Das gute Werk“, „Die gute Mutter“ und einige andere mehr – ach, läsen doch mehr Menschen in der staats- und politikgläubigen Europäischen Union und in der Bundesrepublik Deutschland  ab und zu noch diese Kalendergeschichten des Rheinischen Hausfreundes! Der Staat kann nicht alles. Es gibt doch sogar eine Johann-Peter-Hebel-Schule in Charlottenburg! Die zeitüberdauernden Wahrheiten des Johann Peter Hebel können doch in Deutschland nicht so vollständig untergegangen sein, wie es oft den Anschein hat.

Soeben komme ich vom Rathaus Kreuzberg zurück. Dort vor dem Rathaus stand ein Bettler, ein Obdachloser, klagte mir beredt sein Leid. Ich gab ihm fast alles, was ich noch in der Geldbörse hatte. „Reicht Ihnen das für zwei Nächte?“ „Ja! Sie sind der erste, der mit mir redet heute! Sind Sie denn aus der Schweiz? Ihr Akzent klingt so schweizerisch?“, fragte er mich zurück.

„Nein, leider nicht, ich bin doch nur aus Schwabenland“, gab ich zurück.  Ich frage euch: Hatte ich dem Obdachlosen mit dem Geld geholfen? Vielleicht hätte ich ihm besser ein paar Geschichten von Johann Peter Hebel nacherzählt?

 

 

 

 Posted by at 15:46